Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 447

Antonio da Bitonto, Sermones quadragesimales de vitiis

Papier · 1, 131, 1 Bll. · 38,6 × 27,2 cm · Regensburg · Nach 20. Mai 1465, wohl vor 1470, s. Kommentar zur Provenienz)


Schlagwörter (GND)
Predigt / Homiliar / Traktat / Praktische Theologie.
Entstehungsort
Regensburg. (Krenn, Barbara Gonzaga).
Entstehungszeit
Nach 20. Mai 1465, wohl vor 1470, s. Kommentar zur Provenienz).
Typus (Überlieferungsform)
Codex.
Beschreibstoff
Papier.
Umfang
1, 131, 1 Bll.
Format (Blattgröße)
38,6 × 27,2 cm.
Zusammensetzung (Lagenstruktur)
(I-1)1a + 3 IV36 + V46 + 6 VI108 (die Bl.Nummern 63–72 sind zweimal vergeben) + (VI+1)121 + (I-1)122*. 1a bildet mit dem Vorderspiegel ein Doppelbl., 122* bildet mit dem Hinterspiegel ein Doppelbl.
Seiten-, Blatt- und Lagenzählung
Fehlerhafte römische Foliierung des 17. Jhs. (1–72, danach springt die Zählung auf 63 zurück und geht bis 121); das moderne Vor- und Nachsatzbl. der Hs. sind nicht gezählt, daher wird hier bei der Beschreibung die Zählung des Digitalisats übernommen.
Zustand
Im Wesentlichen sehr gut erhalten. Stellenweise leichte Bräunungen und an den Rändern minimal stockfleckig. Tinte an wenigen Stellen minimal berieben und verwaschen. Farben gelegentlich mit vereinzelten Abplatzungen.
Wasserzeichen
Bekrönte Säule (ähnlich WZIS DE4860-Ms1436_131, Deutschland [?], 3. Viertel 15. Jh. [um 1465?]). – Der Wasserzeichenbefund stützt die Datierung im Wesentlichen; hinsichtlich der Lokalisierung ist er freilich weniger aussagekräftigt, sodass hier sowohl die kunsthistorische Einordnung als auch die paläographischen Beobachtungen zu Grunde gelegt werden müssen.

Schriftraum
29,0 × 19,5 cm.
Spaltenanzahl
2 Spalten.
Zeilenanzahl
48 Zeilen.
Angaben zu Schrift / Schreibern
Qualitätvolle Schrift mit zahlreichen Kürzungen von einer Hand, durchgängig eine schleifenlose Bastarda auf einem kalligraphisch recht hohen Niveau. Die Versalien bzw. Satzmajuskeln weisen nach wie vor Elemente der Kanzleibastarda auf, zeigen aber bereits erste Tendenzen zur Fraktur, was für eine Entstehung der Handschrift in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts spricht, worauf auch die Verwendung von spätgotischen arabischen Ziffern hinweist, wie sie vor der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert üblich waren. Das nahezu durchgängig verwendete x-förmige r, das aus einem geraden Schaft und einem gleich großen, separat angesetzten c-förmigen Teil besteht, der Fahne und Fuß zugleich bildet, weist auf die Entstehung der Handschrift im oberdeutschen Raum hin. Denn diese Form des Buchstabens blieb neben Bayern-Österreich überwiegend auf den oberdeutschen Raum beschränkt (vgl. dazu Karin Schneider, Paläographie und Handschriftenkunde für Germanisten. Eine Einführung, Berlin/Boston 32014, S. 76f.). Das runde r wurde recht regelhaft nach Buchstaben mit mehr oder weniger ausgeprägten Rundungen geschrieben (so nach a, e und o).
Buchgestaltung
Die Anfänge der Predigten bzw. ihrer verschiedenen Teile werden durch verschiedenfarbige Initialen mit mehrfarbigen Akanthusranken mit Goldtropfen und endständigen Blüten gekennzeichnet (meist vierzeilig) sowie durch rubrizierte Überschriften hervorgehoben. Unterabschnitte des Textes werden durch kleinere verschiedenfarbige Initialen mit kleinerem Akanthusrankenwerk hervorgehoben (meist zweizeilig); Satzmajuskeln mit üblichen Rubrizierungen sowie rote Paragraphzeichen zur Kennzeichnung von weiteren Sinneinheiten. Seitentitel in Rot mit Angaben des Tages, des Titels und der Zählung der Predigt. – Verweise auf Bibelstellen und Kirchenvätertexte bzw. Literaturzitate sind zur besseren Erkennbarkeit rot unterstrichen. – Gelegentlich haben sich die Vorgaben des Schreibers für den Rubrikator erhalten bzw. sind diese noch sichtbar.
Buchschmuck
1r Rahmung: mehrfarbige, teils spiralförmig eingedrehte Akanthusranken mit Goldtropfen und endständigen Blüten; Wappen des Auftraggebers und Besitzers der Handschrift im Fußsteg (s. Kommentar zur Provenienz). S. auch Buchgestaltung.

Nachträge und Benutzungsspuren
Wenige (zeitgenössische?) Korrekturen, Ergänzungen und Anmerkungen; gelegentlich hat ein späterer Benutzer die ihm offenbar bereits ungewohnten spätgotischen Ziffern durch Ziffern in neuzeitlicher Form ergänzt (so z. B. 4rb: 5o). Vereinzelt Nota-Zeichen und Maniculae.

Einband
Römischer Einband zwischen 1626 und 1633: grünes Pergament (über Pappe); mit den Wappen von Papst Urban VIII. und des Kardinalbibliothekars Francesco Barberini. Rücken zwischen 1846 und 1853 erneuert, mit goldgeprägten Wappen von Papst Pius IX. und des Kardinalbibliothekars Luigi Lambruschini sowie goldgeprägter Signatur in schwarzem Signaturschild und blauem Signaturschildchen. Vgl. Schunke, Einbände 2.2, S. 836.
Provenienz
Regensburg / Nürnberg / Heidelberg.
Geschichte der Handschrift
Vorderspiegel mit Signaturschildchen. 1r mit der römischen Signatur und einem Titel von einer Hand des 17. Jhs. (?): Antonij Botontini fratris ordinis minorum Qûadragesimale. Das Wappen am Fußsteg von 1r ist das der Nürnberger Ehrbarkeit zugehörigen Gelehrtenfamilie Lochner und verweist auf ein Mitglied dieser Familie als Auftraggeber und Erstbesitzer der Handschrift: in einem blau-rot gespaltenen Schild ein mit einer roten und blauen Kugel belegter goldener Balken; Helmzier: Flug, wie das Schildbild. Vgl. Eugen Schöler, Historische Familienwappen in Franken (J. Siebmacher’s großes Wappenbuch, Band F), Neustadt a. d. Aisch, 31999, Taf. 132; eine ausführliche Beschreibung des Wappens bei Fritz T. Schulz, Eine Nürnberger Hauskapelle. Nachtrag, in: Mitteilungen aus dem Germanischen Nationalmuseum 1906, hier S. 50–54; s. auch: https://corpusvitrearum.de/id/F3081. Als Besitzer bzw. Auftraggeber der Handschrift kommen nach der bei Schulz dargestellten Genealogie der Familie Dr. Johannes Lochner, seit 1438 Nürnberger Stadtarzt und Jurist, der 1461 Genannter wurde und nach dem Tod seiner Frau 1467 in das Augustinerchorherrenstift Neunkirchen am Brand eintrat, wo er 1491 starb, oder sein gleichnamiger Sohn Dr. Johannes Lochner, seit 1477 erster Propst von St. Sebaldus in Nürnberg, in Betracht. Sowohl der Vater als auch der Sohn befanden sich um 1470 im geistlichen Stand, sodass ein Interesse am Thema der Handschrift durchaus plausibel erscheint. Und beide hatten Beziehungen bzw. Verbindungen zu Regensburg, wo die Hs. enstanden ist. So war Johannes Lochner senior mit Klara Pirckheimer, einer Base des Regensburger Dompropsts Thomas Pirckheimer, verheiratet. Johannes Lochner junior war seit 1453 Domherr in Regensburg, wo er seit 1473 überwiegend lebte, und später Propst in Forchheim; er starb hoch verschuldet 1484 und wurde in St. Sebaldus in Nürnberg begraben (vgl. zu den biographischen Angaben Hans J. Vermeer, Johann Lochners „Reisekonsilia“, in: Sudhoffs Archiv 56.2 (1972), S. 145–196, hier S. 153-155). Der jüngere Lochner lässt sich als Eigentümer der Hs. festmachen; denn dieser hatte am 20. Mai 1465 von Barbara Gonzaga leihweise für ein Jahr ein ‚Quadragesimale de fratre Antonio‘ erhalten, um diesen Codex zu kopieren; vgl. Claudia Märtl, Johannes Lochner il doctorissimo. Ein Nürnberger zwischen Süddeutschland und Italien, in: Pirckheimer Jahrbuch für Renaissance und Humanismusforschung 18 (2003), S. 86–142, hier S. 94f.). Damit beauftragte Johann Lochner den in Regensburg tätigen Miniatur- und Buchmaler Berthold Furtmeyr († nach 1501) und dessen Werkstatt, wie sich auf Grund der kunsthistorischen und stilistischen Merkmale wahrscheinlich machen lässt. Kennzeichnend sind die typischen Initialen mit aufgelegten Sichelblättern vor gestrahlten Goldgründen, von denen spiralförmig eingedrehte Ranken ausgehen, die sich um den Textspiegel legen, die in den zwischen 1465 und 1472 von Furtmeyr illuminierten Hss. und Inkunabeln zu finden sind und als Besonderheit dieser Werkphase rosettenförmige Blüten aufweisen, die die Gabelungen der Ranken markieren (vgl. Krenn, Barbara Gonzaga). Daher geht man sicher nicht fehl in der Annahme, dass die vorliegende Hs. nach dem 20. Mai 1465, aber wohl vor 1470 in Regensburg entstanden ist (Lochner sollte ja das geliehene Exemplar nach einem Jahr an die Gonzaga zurückgeben). Die Wzz. der verwendeten Papiere unterstützen diese Vermutung. In diese Reihe der von Furtmeyer und seiner Werkstatt illustrierten Hss. gehört auch Pal. lat. 820.

Faksimile
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bav_pal_lat_447
Literatur
Regina Cermann, Unter Druck? Buchmalerei im Wettstreit mit Reproduktionsmedien, in: Jeffrey F. Hamburger / Maria Theisen, Unter Druck. Mitteleuropäische Buchmalerei im 15. Jahrhundert, Petersberg 2018, S. 263–342, hier S. 266 mit Anm. 72 (Erwähnung der Hs.); Margit Krenn, Von Barbara Gonzaga über Johann Lochner zu Berthold Furtmeyr, Heidelberg 2018 (Universitätsbibliothek Heidelberg, 14.11.2018; Online-Ressource); Caelestinus Piana, Antonius de Bitonto O.F.M., praedicator et scriptor saec. XV, in: Franciscan Studies 13 (1953), S. 195 (Hs. erwähnt); Schunke, Einbände 2.2, S. 836; Stevenson, Latini, S. 142.
Verzeichnis der im Katalogisierungsprojekt abgekürzt zitierten Literatur

1) 1ra–121ra Digitalisat

Verfasser
Antonio da Bitonto (GND-Nr.: 101029772).
Titel
Sermones quadragesimales de vitiis.
Angaben zum Text
Die vorliegende Hs. bietet den vollständigen Text der 59 Fastenpredigten, der ‚Sermones quadragesimales‘, des Franziskanerpredigers Antonio da Bitonto (ca. 1385–1465), die als Dialog zwischen dem Autor und Guidantonio da Montefeltro (1378–1443; Cecil Clough, Montefeltro, in: Die großen Familien Italiens, hrsg. von Volker Reinhardt, Stuttgart 1992, S. 360–371, bes. S. 363f.) gestaltet wurden. Vgl. zum Autor, seinen Werken und deren Überlieferung Piana, Antonius de Bitonto, S. 178–197 (unter Angabe der älteren Literatur). Edition: Antonius de Bitonto, Sermones quadragesimales de vitiis, Venedig: Johann Hamann für Nikolaus von Frankfurt 1499 (GW 2216; Editio princeps). Im Gegensatz zum Druck von 1499 fehlt dem vorliegenden Codex die Inhaltsübersicht; er beginnt gleich mit dem Proömium. Nach zwei einführenden Prologen (1ra–3rb) folgt die Predigtreihe mit der Predigt zum Sonntag Septuagesima (3rb), dem ersten Sonntag der Vorfastenzeit, bis zur dreiteiligen Predigt De tribus preperacionibus [!] sacratissime communionis (119ra). - 1ar–v leer.
121v, 122*r–v leer.
Rubrik
1ra ›Ad illustrem et Religiossimum principem dominum Guidantonium Montis feretri Vrbini ac Durantis precellentissimum Comitem fratris Antonij Botonini ordinis minorum professoris indigni prohemialis. Exempla incipit vbi declaratur quare deus fecit peccabile genus humanum.
Incipit
1ra ›Dvbitari a quibusdam sepe numero solitum fuit religiosissime princeps, cur deus qui ut primo Genesis legitur vidit cuncta que fecerat et erant valde bona [Gn 1,31] humanam naturam peccabilem fecerit
Explicit
121ra … Vbi gloriosus dei filius mortis de uictori inferni predictam secum tenens cum ingenito patre et peraclito [!] spiritu sancto viuit et regnat in secula seculorum. Amen.
Edition
S. Angaben zum Inhalt.


Bearbeitet von
Dr. Uli Steiger, Universitätsbibliothek Heidelberg, 2024.


Zitierempfehlung:


Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 447. Beschreibung von: Dr. Uli Steiger (Universitätsbibliothek Heidelberg), 2024.


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