Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 448

Iordanus de Quedlinburg, Sermones de tempore per totum annum

Papier · 2, 460, 2 Bll. · 26,3 × 20,5 cm · Bayern-Österreich / Oberdeutschland (?) · 3. Viertel 15. Jh. (?)


Schlagwörter (GND)
Predigt / Homiliar / Praktische Theologie.
Entstehungsort
Bayern-Österreich / Oberdeutschland (?). (Zuordnung auf Grund der paläographischen Befunde.
Entstehungszeit
3. Viertel 15. Jh. (?) . Zuordnung auf Grund der Wz.-Befunde.
Typus (Überlieferungsform)
Codex.
Beschreibstoff
Papier.
Umfang
2, 460, 2 Bll.
Format (Blattgröße)
26,3 × 20,5 cm.
Zusammensetzung (Lagenstruktur)
[(I-1) + 1]2a (inkl. Spiegel) + 13a + 27 VI324 (mit Bl. a und Zählfehler) + (VI-1)335 + 10 VI455 + 3458 + [1 + (I-1)]460* (inkl. Spiegel). Bei der Zählung wurde Bl. 140 übersprungen; auf Bl. 139 folgt direkt Bl. 141, ohne dass ein Textverlust festzstellen ist. Bei den Bll. 3a und a handelt es sich um vorrömische Bll., wie an Hand der Allacci-Signatur sowie der Capsa-Nummer bzw. der älteren Besitzvermerke und der Aufstellung der Herstellungskosten ersichtlich ist.
Seiten-, Blatt- und Lagenzählung
Fehlerhafte römische Foliierung des 17. Jhs. (1–139, 141–458), moderne Foliierung Bl. a; die beiden ersten und letzten Bll. sowie das dritte Bl. der Hs. (= vorrömisches Vorsatz-Bl.) sind nicht gezählt, daher wird hier bei der Beschreibung die Zählung des Digitalisats übernommen.
Zustand
Im Wesentlichen recht gut erhalten; minimaler Wasserschaden. Tinte gelegentlich leicht berieben und verblasst bzw. verwaschen; stellenweise (leichte) Bräunungen mit beginnendem Tintenfraß.
Wasserzeichen
Vorsatzbl.: Ochsenkopf mit Augen sowie Unter- und Oberzeichen an zweikonturiger Stange (oben Blume, unten Kreuz). Vergleichbare Wzz. sind für den bayerisch-schwäbischen Raum bis hin nach Tirol für die Zeit zwischen 1460 und 1480 nachgeweisen. Dieser Befund würde für eine Bindung der Hs. in diesen Jahren sprechen, so dass sie entsprechend kurz zuvor geschrieben worden sein müsste. Das Wz. des Buchblocks – eine Traube mit zweikonturigem Stil und nach hinten geführter Ranke – tritt vergleichbar in der Zeit zwischen 1450 und 1475/80 im süddeutschen Raum auf; vgl. WZIS.

Schriftraum
17,7 × 13,5–14,0 cm.
Spaltenanzahl
2 Spalten.
Zeilenanzahl
37–40 Zeilen; im Register 34–35 Zeilen.
Angaben zu Schrift / Schreibern
Einfache und unkalligraphische, z. T. nachlässige Schrift mit zahlreichen Kürzungen des 3. Viertels des 15. Jhs. von einer Hand für die Predigtsammlung und das alphabetische Register; von einer weiteren Hand wenig später Nachtrag des numerischen Registers (s. Nachträge und Benutzungsspuren). – Auf eine Entstehung der Hs. in dieser Zeit weist auch die Verwendung von spätgotischen arabischen Ziffern hin, wie sie vor der Wende zum 16. Jahrhundert üblich waren. Das nahezu durchgängig verwendete r erinnert an das x-förmige r, das aus einem geraden Schaft und einem gleich großen, separat angesetzten c-förmigen 2 Teil besteht, der Fahne und Fuß zugleich bildet, und weist auf eine Entstehung der Handschrift im oberdeutschen Raum hin. Denn diese Form des Buchstabens blieb neben Bayern-Österreich überwiegend auf den oberdeutschen Raum beschränkt (vgl. dazu Karin Schneider, Paläographie und Handschriftenkunde für Germanisten. Eine Einführung, Berlin/Boston 32014, S. 76f.). Das runde r kommt immer wieder nach Buchstaben mit mehr oder weniger ausgeprägten Rundungen vor (so nach a, e und o), jedoch nicht regelhaft.
Buchgestaltung
Zweispaltige Anordnung des Textes. Der Beginn des Textes wird durch eine siebzehnzeilige, durchbrochene rote Initiale sowie einer gotischen Minuskel in roter Rahmung für die erste Zeile ausgezeichnet. Nachfolgend werden die Anfänge der Predigten durch meist drei- bis vierzeilige rote Lombarden (z. T. mit kleinerem Fleuronnée) sowie rubrizierte Überschriften hervorgehoben. Größere Abschnitte innerhalb der einzelnen Predigten werden durch rote Paragraphzeichen (vereinzelt mit fleuronnéeartigen Ranken) und eine alphabetische Nummerierung auf dem Rand gekennzeichnet; Satzmajuskeln mit üblichen Rubrizierungen zur weiteren Gliederung. Ganz vereinzelt weitere Verzierungen der Satzmajuskeln nach den Paragraphzeichen (z. B. 367v: mit Gesichtszügen). Die zitierten Bibelstellen sind zur besseren Sichtbarkeit unterstrichen. Die Anweisungen für den Rubrikator sind durchgängig erhalten. – Von der Registerhand wurde in Form von Seitentiteln die Zählung der Predigten hinzugefügt (unter Verwendung von römischen Zahlzeichen und/oder arabischen Ziffern).

Nachträge und Benutzungsspuren
Wenige Ergänzungen und Anmerkungen (in der Regel von der Schreiberhand). Das numerisches Register der Predigten von einer wenig späteren Hand nachgetragen, von der auch die Zählung der einzelnen Predigten am jeweils oberen Seitenrand stammt sowie die Nummerierung im alphabetischen Index.

Einband
Römischer Einband zwischen 1890 und 1903: helles Pergament (über Pappe?). Rücken mit goldgeprägten Wappen von Papst Leo XIII. und des Kardinalbibliothekars Alfonso Capecelatro sowie goldgeprägter Signatur in rotem Signaturschild und blauem Signaturschildchen. Vgl. Schunke, Einbände 2.2, S. 836, die jedoch eine fehlerhafte zeitliche Zuordnung bringt. Die Wappensupralibros des älteren grünen römischen Einbands sind auf das moderne Vor- bzw. Nachsatzbl. geklebt (Wappen von Papst Urban VIII. und des Kardinalbibliothekars Francesco Barberini; Rom, zwischen 1626 und 1633).
Provenienz
Bayern-Österreich / Oberdeutschland (?) / Germersheim / Heidelberg.
Geschichte der Handschrift
Vorderspiegel mit Signaturschildchen. 3ar mit Capsa-Nummer und der Allacci-Signatur: C. 38. / 157 sowie älteren (römischen) Signaturen, z. T. gestrichen, sowie der aktuellen römischen Signatur. Bl. ar mit Besitz- und Schenkungsvermerk (16. Jh.?): Germerscheim und Donatus est hic liber ecclesie Jn Germerschheym; sowie einer älteren Signatur (299?). Diese beiden Einträge weisen darauf hin, dass der Band nicht ursprünglich für Germersheim geschrieben worden war, sondern zu einem späteren Zeitpunkt dorthin gelangte. Der Schenkungsvermerk, der wohl dem 16. Jh. zugehört, weist darauf hin, dass die Handschrift erst nach der Umwandlung des Servitenklosters in ein Liebfrauen-Kollegiatstift 1527 in dessen Bibliothek kam, von wo sie nach 1556 mit der Aufhebung des Stifts im Zuge der Reformation nach Heidelberg verbracht wurde; vgl. zum Servitenkloster und Kollegiatstift Pfälzisches Klosterlexikon 1, S. 593–595. Ein weiterer Besitzeintrag auf 1r: Germerscheim. Ob die Handschrift vielleicht schon in der Bibliothek des Servitenklosters aufgestellt war, ist freilich nicht gänzlich auszuschließen. Denn in Pal. lat. 102 haben wir eine ebenfalls in Germersheim befindliche Handschrift vor uns, die einen stiftischen Besitzvermerk von derselben Hand wie der vorliegende Codex hat. Sie gehörte ursprünglich Nikolaus Kaps, einem Konventualen des Servitenklosters in Germersheim, und wurde nach dessen Tod im Jahr 1500 der Klosterbibliothek eingegliedert; vgl. Pal. lat. 102, 1ar (Besitzvermerk). Nach der Aufhebung des Servitenkonvents ging die Hs. in die Bibliothek des Kollegiatstifts Germersheim, der Nachfolgeinstitution, über und blieb dort bis zu dessen Auflösung nach 1556 (Pal. lat. 102, 1ar: Besitzvermerk des Stifts, der von derselben Hand stammt). Möglicherweise gilt das auch für Pal. lat. 448. Darüber hinaus befindet sich ein vergleichbarer Besitzvermerk von derselben Hand in Pal. lat. 155. Da dieser Band nach wie vor einen Ottheinrich-Einband von 1556 trägt, ist davon auszugehen, dass die Hs. durch Kurfürst Ottheinrich nach Aufhebung des Stifts in den Bestand der Palatina kam; Gleiches wird man wohl auch für die vorliegende Hs. annehmen dürfen. – av Titel von einer Hand des 17. Jhs. (?): Iordani sermones per totum annum. – Auf Bl. ar ist ein längerer Eintrag erhalten geblieben, der uns über den Aufbau und die Herstellungskosten des Codex informiert: Nota diß buch hat xxxvij [36½] sextern von ie vj ein gulden zu schriben dut [?] zu sammen vij [6½] gulden Jtem vor das bapier zu sammen ix schilling heller vor ix bucher vnd j [½] buch Jtem viiij [8½] schilling heller da von zu binden. Summa summarum totalis vij [7] gulden viiij [8½] schilling heller. Offenbar hat der Schreiber allerdings gleich Papier für mehrere Bücher geordert, da in der Aufstellung von neun und einem halben Buch die Rede ist. Für die vorliegende Sammlung der Predigten des Jordanus von Quedlinburg betrugen die Papierkosten offenbar einen halben Gulden, vorausgesetzt, die Summe, die sich aus den Kosten für die Schreibarbeit, das Papier und die Bindearbeiten zusammensetzt, ist korrekt wiedergegeben.

Faksimile
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bav_pal_lat_448
Literatur
Krämer, Handschriftenerbe 1, S. 292; Schunke, Einbände 2.2, S. 836; Stevenson, Latini, S. 142; Zumkeller, Mss., Nr. 643 (gibt hier für Pal. lat. 448 die Zahl von 292 Predigten an, in VL2 4, Sp. 859 dagegen 293).
Verzeichnis der im Katalogisierungsprojekt abgekürzt zitierten Literatur

1) 1ra–458vb Digitalisat

Verfasser
Iordanus de Quedlinburg (GND-Nr.: 100950744).
Titel
Sermones de tempore.
Angaben zum Text
(1. 1ra–437vb) ‚Sermones de tempore‘ des Augustinerpredigers Jordanus von Quedlinburg (um 1300–1380 [1370?]; NDB 10, S. 599; VL2 4, Sp. 857861). ›Jordanis conuersusest retrorsum [Ps 113,3] … 1rb ›De aduentu dominj in mentem sermo primumVtinam disrumperes celos et descenderes Ysa 64 [Is 64,1] … 437vb … Ihesus Christus qui cum patre et sancto spiritu viuit et regnat in secula seculorum AmenSequitur tabula secundum Ordinem alphabeti. Schneyer III, S. 825–843, Nr. 135–351. Die Sammlung, die auf Grund des Initiums von Jordanus auch als ‚Opus Jor‘ bezeichnet wurde, führt 293 Predigten auf, die mit einer Predigt über Ps 113,3 beginnen und dann die Sonn- und Feiertage des gesamten Kirchenjahres abdecken, einschließlich der gesamten Fastenzeit, angefangen mit dem ersten Adventssonntag bis hin zu drei Predigten für den 24. Sonntag nach Pfingsten. (2. 438ra–454vb) Alphabetischer Index der Predigten. Die Nummern der Predigten wurden von einer wenig späteren Hand ergänzt; es ist wohl dieselbe Hand, die das numerische Register nachgetragen hat. (3. 455ra–458vb) Numerisches Register der Predigten, das die Predigten darüber hinaus den Sonn- und Feiertagen zuordnet. Das ‚Opus Jor‘ ist nur in sechs Hss. überliefert und blieb bislang in seiner Gesamtheit ungedruckt; vgl. VL2 4, Sp. 859. Eine Teiledition bringt nun Nadia Bray mit: Opus Ior. Sermones selecti de filiatione divina, hrsg. von Nadia Bray, mit einer Einl. von Loris Sturlese, Hamburg 2008 (Corpus philosophorum Teutonicorum medii aevi. Miscellanea 7,3), S. 111–147 (Predigt 50–52 und 81–82, unter Angabe dieser Hs.).
1ar–v, 2av, 3av leer.
2ar bis auf aufgeklebte Wappenkartusche des älteren römischen Einbands leer.
3ar bis auf Signaturen leer.
ar-v Besitzvermerke und Aufstellung der Herstellungskosten; Titel von einer Hand des 17. Jhs. (?).
459*r, 460*r–v leer.
459*v bis auf aufgeklebte Wappenkartusche des älteren römischen Einbands leer.
Incipit
1r ›Jordanis conuersus‹ est retrorsum
Explicit
458vb … 292 Qui legit intelligat.
Edition
Bislang ungedruckt; s. Angaben zum Inhalt.


Bearbeitet von
Dr. Uli Steiger, Universitätsbibliothek Heidelberg, 2024.


Zitierempfehlung:


Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 448. Beschreibung von: Dr. Uli Steiger (Universitätsbibliothek Heidelberg), 2024.


Katalogisierungsrichtlinien
Die Katalogisierungsrichtlinien finden Sie hier.

Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Erschließung von 876 mittelalterlichen und frühneuzeitlichen lateinischen Handschriften der Heidelberger Bibliotheca Palatina in der Vatikanischen Bibliothek in Rom.