Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 502
Lectionarium missae
Pergament, Papier · 3, 175, 4 · 20–20,2 × 12,7–12,9 cm · Ravengiersburg (?) · Mitte 15. Jh.
- Entstehungsort
- Ravengiersburg (?).
- Entstehungszeit
- Mitte 15. Jh.
- Typus (Überlieferungsform)
- Codex.
- Beschreibstoff
- Pergament, Vorsatzbll. Papier (1a, 175*).
- Umfang
- 3, 175, 4.
- Format (Blattgröße)
- 20–20,2 × 12,7–12,9 cm.
- Zusammensetzung (Lagenstruktur)
- (I-1)1a + 23a + 10 IV80 + (IV+I)88 + 6 IV136 + (IV+1)144 + (IV+1)152 + IV160 + III166 + (III-1)171 + (II-1)174* + (I-1)175*. 1a bildet mit dem Vorderspiegel ein Doppelbl., 175* bildet mit dem Hinterspiegel ein Doppelbl.
- Seiten-, Blatt- und Lagenzählung
- Foliierung in römischen Zahlen, zeitgleich mit der Rubrizierung in roter Tinte eingetragen (I–Lxxxv, Lxxxvi–Cxxxvii, Cxxxviii–Cxlv, Cxlvi–Clxxi). Auf diese Foliierung wird in den Rubriken verwiesen. Die Bezeichnung unfoliierter Bll. folgt dem Digitalisat (1a–3a, 85a–85b, 137a, 145a, 172*–175*).
- Zustand
- Gut und sauber, die eingeklebten Holzschnitte etwas fleckig und mit Fraßstellen.
- Schriftraum
- 20–20,2 × 12,7–12,9 cm.
- Spaltenanzahl
- 2 Spalten.
- Zeilenanzahl
- 26 Zeilen.
- Angaben zu Schrift / Schreibern
- Regelmäßig und sorgfältig geschriebene Textura einer Hand. Kaum Zierstriche. Häufig Neumen als über die Zeile geschriebene Intonationshinweise, zumeist in Rot. Gesungene Teile mit Quadratnotation auf vier Linien. Zu den Passionsberichten übergeschriebene Buchstaben zur Bezeichnung der Stimmen (vgl. Bannister, S. 28, a).
- Buchgestaltung
- Spaltenbegrenzungen und Zeilenlinien in Metallstift. Rubriziert. Satzinitialen rot gestrichelt. Zweizeilige Lombarden zu Textabschnitten, abwechselnd Rot und Blau, zuweilen ornamental geteilt (z. B. 12ra). In den Gesangsteilen große Kadellen mit roten Zierstrichen (z. B. 7r). 1ra fünfzeilige ornamental geteilte Initiale mit ausgespartem Dekor zum Textanfang.
- Buchschmuck
- Zwei aufgeklebte Holzschnitte, jeweils mit integriertem Text. Süddeutschland, um 1470–1480. Vorderspiegel: Kreuzigung mit Maria und Johannes, im Hintergrund Jerusalem. Koloriert. Text: Crucem tuam adoramus et veneramur domine Iesu … – … qui pro nobis dignatus es nasci de virgine Maria. Per dominum. Oratio ad Christum crucifixum, GW M27909 (bezieht sich auf dieses Bl.). Hinterspiegel: Maria lactans mit musizierenden Engeln. Koloriert. Text: Sancta Maria succurre miseris … [CAO 4703] … – … eterna perfrui leticia. Per Christum. Marienantiphon mit Versus und Orationen, GW M27912 (bezieht sich auf dieses Bl.). Bilderschließung online in heidICON. Lamberto Donati, Iter iconographicum, Città del Vaticano, Crocefissione–La vergine col bambino e due angioli musicanti, in: Maso Finiguerra 1 (1936), S. 110–117 (Abb. der beiden Holzschnitte). Im GW unter: Paris, Jean Du Pré oder Antoine Vérard (?).
- Nachträge und Benutzungsspuren
- 85a und 85b bilden ein Doppelbl., das wohl schon im Laufe des Herstellungsvorganges in die Lage eingefügt wurde. Spätere Nachträge (15. Jh.): 112r Randeintrag: in commemoracione beati Christoferi martiris … . Eingefügte Bll.: 137ar ›Monice vidue. Ad Corintheos‹. 145ara ›Christoferi martyris lectio Ysaie‹. 145arb–145avb ›Anne vidue lectio libri sapiencie‹. Zwei Einfügungen zur Erweiterung der vorhandenen Lesungen für Christophorus und Anna auf 146ra–146va. 152v Randeintrag: Maynulphi confessoris … .
- Einband
- Braunes Rindsleder auf Holzdeckeln, Blindstempel- und Streicheisendekor. Mitte 15. Jh. Stempel u. a.: pfeildurchbohrtes Herz in umrandeter Raute (ähnlich EBDB s030962, unter https://www.hist-einband.de/, abgerufen 31.03.2022); rechteckiges Schriftband: Ihesus; Staude. Vorderdeckel: mittig ein Relief aus Walrosszahn-Elfenbein (thronender Christus auf der Sphaera) und 12 Appliken aus vergoldetem Kupferblech mit farbigem Email (4 Evangelistensymbole, Paradiesesflüsse Geon und Fison, 6 ornamentale Plaketten). Kahsnitz datiert das Elfenbeinrelief auf das 3. Viertel des 12. Jhs. und geht von der Entstehung in einer Kölner Werkstatt aus. Die Emails schreibt er dem Maasgebiet der Jahre um 1160–1170 zu. Kahsnitz, Prachteinband, s. Literatur. Hinterdeckel mit 5 getriebenen Messingbuckeln, durchbrochen und mit blauem Stoff unterlegt. Zwei lederne Bandschließen entfernt. Befestigungsbleche und Schließenanker erhalten. Rücken mit vier erhabenen Doppelbünden, erneuert Rom, 1846–1853. Braunes Rindsleder mit Goldpressung, oben das päpstliche Wappen (Pius IX., 1846–1878), darunter: PAL. 502, darunter das Wappen des Kardinalbibliothekars Luigi Lambruschini (1834–1853). Farbschnitt gelb. Schunke, Einbände 2,2, S. 839, vgl. Schunke, Einbände 1, S. 257.
- Provenienz
- Augustinerchorherrenstift St. Christophorus in Ravengiersburg / Heidelberg.
- Geschichte der Handschrift
- Die Hs. wurde für ein Augustinerkloster geschrieben. Dafür spricht das Translationsfest des Hl. Augustinus mit eigener Epistel und Evangelienlesung (153ra) wie auch die Nennung des hl. Kirchenvaters als erster Bekenner in der Litanei der Osternacht (85ara). Im Sanctorale findet sich ein eigener Alleluia-Gesang für seinen Festtag (148va–149ra, Cantus ID: g03965). Die nachträgliche Einfügung einer Epistellesung für die hl. Monika, die Mutter des Augustinus, spricht ebenfalls für ein augustinisches Milieu. Die auffällig starke Präsenz des hl. Christophorus, der zudem 146ra als "patronus noster" bezeichnet wird, deutet jedoch auf eine Stiftskirche mit Christophorus-Patrozinium als ursprünglichen Bestimmungsort. Dazu kommen zwei Nachträge: 112r in commemoracione beati Christoferi martiris …; 145arab ›Christoferi martyris lectio Ysaie‹. Somit kommt vor allem das Augustinerchorherrenstift St. Christophorus in Ravengiersburg im Hunsrück in Frage. Der Besitzeintrag des 16. Jhs., heute unvollständig verwischt, bestätigt diese Zuordnung: 173*v Evangelicus liber pertinet ad Raversburg [?]. Die verkürzende Benennung "Raversburg" (auch "Revenssburgk") ist bis in die Neuzeit regional belegt (Kahsnitz, Prachteinband, S. 510). Vgl. Willi Wagner, Das Augustiner-Chorherrenstift Ravengiersburg. Geschichte des Stiftes, der Grundherrschaft und des Besitzes von den Anfängen bis zur Aufhebung 1803, Simmern 1977. Die Angaben zu Lesungen für die Messe des hl. Meinolf am 5. Okt. sind ein Nachtrag (152v: Maynulphi confessoris …). Die Verehrung des hl. Meinolf beschränkte sich weitestgehend auf das Kloster Böddeken im Bistum Paderborn. Dieses war 1409 durch die Windesheimer Augustiner-Chorherren aus Zwolle reformiert worden. Mitte des 15. Jhs. war es seinerseits ein bedeutendes Reformzentrum, das u. a. das Kloster Kirschgarten in Worms sowie Gross-Frankenthal reformierte. Als das Kloster in Ravengiersburg 1469 dazu gezwungen wurde, sich der Windesheimer Kongregation anzuschließen, kamen die hierzu eingesetzten Kanoniker aus Böddeken (Wagner, Ravengiersburg, S. 62). Hierzu auch: Joachim Kemper, Klosterreformen im Bistum Worms im späten Mittelalter, Mainz 2006 (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 115), S. 268. Der Meinulf-Nachtrag dürfte somit nicht vor 1469 geschrieben worden sein. Das Augustinerchorherrenstift St. Christophorus in Ravengiersburg kam 1410 zum Herzogtum Pfalz-Simmern-Zweibrücken (später Pfalz-Simmern). 1564 wurde es im Zuge der Reformation aufgelöst. Wahrscheinlich gelangte die Hs. in dieser Zeit an die Kurpfalz, die 1559–1576 von Kf. Friedrich III. aus der Linie Pfalz-Simmern regiert wurde. Mit den Hss. der Heidelberger Palatina 1623 in die vatikanische Bibliothek gelangt. 3ar C. 120/ 1394. Entsprechend im Allacci-Register (Pal. lat. 1949, 34v: 1394 Missale. fol. C. 120.). Ältere Signaturen: 2ar 703 (gestrichen), am unteren Seitenrand: 170 (gestrichen). Besitzstempel der BAV: 1r, 171v.
- Besonderheiten
- Die Hs. weist den einzigen erhaltenen mittelalterlichen Prachteinband der Palatina-Hss. auf (vgl. Trost, Einbände, s. Literatur, S. 509).
- Literatur
- Bannister, S. 28, Nr. 105, S. 186, Nr.
7; Stephan Beissel, Vaticanische Miniaturen. Quellen zur
Geschichte der Miniaturmalerei, Freiburg im Breisgau 1893, S. 29, Nr. 4; Anne Bondeelle-Souchier, Les moniales cisterciennes et
leurs livres manuscrits dans la France d’Ancien Régime, in: Cîteaux.
Commentarii Cistercenses 45 (1994), S. 193–337, S. 317*, 336; Ehrensberger, Libri liturgici, S.
435f.; Wilma Fitzgerald, "Ocelli nominum": Names and shelf marks
of famous, familiar manuscripts, Toronto 1992 (Subsidia mediaevalia, 19), S.
99; Rainer Kahsnitz, Kirchlicher Prachteinband, in:
Ausst.-Kat. Palatina, Textbd., S. 510–512; Montuschi, biblioteche, S. 319, S. 335
Anm. 208; Montuschi, Letture bibliche per uso liturgico:
evangelistari, epistolari e salteri liturgici, in: Bibbia. Immagini e scrittura
nella Biblioteca Apostolica Vaticana, a cura di Ambrogio Maria
Piazzoni, Mailand 2017 (Monumenta Vaticana selecta), S.
281–301, S. 285f., 293 (Abb.), 347; Charles Rufus Morey, Catalogo del museo sacro, Bd. 1: Gli
oggetti di avorio e di osso, 1936, Nr. 63; Salmon, Mss. liturgiques 2, S. 54, Nr.
102; Stevenson, Latini, S. 168; Alfons Maria Stickler (Hrsg.), Biblioteca Apostolica Vaticana, Stuttgart/Zürich 1986, S. 158f., Tafel LXXV; W. Frederick Stohlman, Gli smalti del Museo Sacro
Vaticano, Vatikanstadt 1939 (Catalogo del Museo Sacro della Biblioteca
Apostolica Vaticana, 2), S. 29 und Tafel III; Vera Trost, Einbände, in: Ausst.-Kat. Palatina, Textbd.,
S. 509f.; Wolfgang Fritz Volbach, La legatura del codice Pal. lat.
502 nella Biblioteca Apostolica Vaticana, in: Bibliofilia. Rivista di storia
del libro e di bibliografia 39 (1937), S. 433–439.
Verzeichnis der im Katalogisierungsprojekt abgekürzt zitierten Literatur
1) 1ra–171ra
- Titel
- Lectionarium missae.
- Angaben zum Text
- Temporale. ›Dominica prima in adventu domini‹. Ad te levavi animam. Invitatorium zum ersten Advent (Cantus ID: g00489). ›Ad Romanos‹. Fratres scientes quia hora est iam vos de sompno surgere [Rm 13,11] … – … ›Evangelium‹. Cum sublevasset. L. ›Require in evangelio in dominica letare‹. (85va –85bva) Allerheiligenlitanei für die Ostervigil, mit Musiknotation: ›Post ultimum tractum 'sicut cervus' et post collectam 'concede' ministri ante sanctuarium cantent letanias sequentes‹. Kyrieleison … – … Agnus dei qui tollis peccata mundi. Christe audi nos. Darin unter den Bekennern an erster Stelle genannt der hl. Augustinus (85ara), am Ende die hll. Willibrord und Benedikt. (131va–155va) Sanctorale. ›In vigilia sancti Andree apostoli. Clvi. Secundum Johannem‹. Benediccio do[mini] super ca[caput … , Prv 10,6]. In illo tempore stabat Iohannes et ex discipulis eius duo [Io 1,35] … – … ›Lini pape et martiris ‹. Ecce sacerdos mag[nus qui in diebus suis placuit deo … , Sir 50,1]. ›Clxv‹. Homo quidam no[bilis abiit … , Lc 19,12]. ›Clxviii.‹ Dedicatio ecclesiae und dedicatio altaris (138rb–139vb) stehen zwischen Basilidis et sociorum am 12. Juni und Viti et Modesti am 15. Juni. (155va–171ra) Commune sanctorum. ›In vigilia unius apostoli. Lectio libri sapiencie‹. Beatus homo qui invenit sapientiam [Prv 3,13] … – … quia nescitis diem neque horam [Mt 25,13]. Biblische Lesungen zur Messe im Jahreslauf. Bei den nur mit Incipit angegebenen Lesungen verweist die abschließende Zahl in der Rubrik jeweils auf die Seite, die den vollständigen Text der Lesung bietet.
- Rubrik
- 1ra ›Dominica prima in adventu domini‹.
- Incipit
- 1ra Ad te levavi animam …
- Explicit
- 171ra … quia nescitis diem neque horam [Mt 25,13].
- Edition
- Biblia sacra iuxta Vulgatam versionem, hrsg. von Robert Weber / Roger Gryson, Stuttgart 52007.
2) 171rab
- Titel
- Alleluia in festo corporis Christi.
- Angaben zum Text
- ›Alleluia in festo corporis Christi. Cxi‹. Alleluia. Caro mea vere est cibus … – … sanguinem in me manet. Die Seitenangabe zeigt, wo der Gesang seinen Platz im Missale hat (siehe 110va).
- Rubrik
- 171ra ›Alleluia in festo corporis Christi‹.
- Incipit
- 171rb Alleluia. Caro mea vere est cibus …
- Explicit
- 171rb … sanguinem in me manet.
- Edition
- im Graduale Romanum, z. B. GW 10978, LXVrv.
3) 171vab
- Verfasser
- Anonymus.
- Titel
- Orationes in die parasceves.
- Angaben zum Text
- ›In die parasceves post passionem, egressus Ihesus‹. Oremus. Flectamus genua. Omnipotens sempiterne deus qui gloriam tuam … – … qui non mortem nominis tui. Levate. P. Gebete für die Messe am Karfreitag.
- Rubrik
- 171va ›In die parasceves post passionem‹.
- Incipit
- 171va Omnipotens sempiterne deus qui gloriam tuam …
- Explicit
- 171vb … qui non mortem nominis tui.
- Edition
- im Missale Romanum in der Karfreitagsliturgie, z. B. GW M23969, 101ra–102ra (online unter: https://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb00043279–9, abgerufen am 29.03.2022).
- Bearbeitet von
- Dr. Wolfgang Metzger, Universitätsbibliothek Heidelberg, 2012.
Zitierempfehlung:
Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 502. Beschreibung von: Dr. Wolfgang Metzger (Universitätsbibliothek Heidelberg), 2012.
- Katalogisierungsrichtlinien
- Die Katalogisierungsrichtlinien finden Sie hier.
Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Erschließung von 876 mittelalterlichen und frühneuzeitlichen lateinischen Handschriften der Heidelberger Bibliotheca Palatina in der Vatikanischen Bibliothek in Rom.