Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 539

Zusammengesetzte Handschrift

Pergament · 3, 132, 3 · 14,2 × 9,2 cm · Augsburg / Süddeutschland · um 1200 / 2. H. 15. Jh.


Schlagwörter (GND)
Liturgie / Stundengebet / Totenoffizium.
Typus (Überlieferungsform)
Codex.
Beschreibstoff
Pergament (Vorsatzbll. Papier: 1a–3a, 133*–135*).
Umfang
3, 132, 3.
Format (Blattgröße)
14,2 × 9,2 cm.
Zusammensetzung (Lagenstruktur)
Hs. aus 2 Faszikeln zusammengesetzt (I. Bl. 1–116; II. Bl. 117–131). (II-1)3a + … + (II-1)135*. 3a bildet mit dem Vorderspiegel ein Doppelbl., 133* bildet mit dem Hinterspiegel ein Doppelbl. Die Abfolge der Lagen wurde verändert (s. Faszikel I, Blattzählung und Geschichte des Faszikels).
Seiten-, Blatt- und Lagenzählung
Tintenfoliierung, Rom 17. Jh. (1–56, 67, 58–132). Ein Bl. zwischen 56 und 58 irrtümlich als 67 foliiert. Zur älteren Foliierung s. Faszikel I, Blattzählung).
Zustand
Einige Bll. beschädigt (20, 31, 50, 110). Deutliche Griffspuren. An einigen Stellen fleckig (z. B. 36v, 62v–64v). Die Rankeninitialen korrodiert und auf die Rückseite des Pergaments durchgeschlagen.
Wasserzeichen
Auf dem Vorsatzbl. 3a ist ein aufgrund des kleinen Formates unvollständiges Wasserzeichen zu erkennen (Krone).


Einband
Weißes Pergament auf Pappe, Rom um 1780. Auf beiden Deckelflächen sind Spuren textiler Schließenbänder zu erkennen. Rücken mit drei erhabenen Doppelbünden, oben älteres Signaturschild (Kupferstichkartusche, darin in schwarzer Tinte: 539), darunter Rückentitel: Horae B. Virg. Defunctorum. Psalmi Poen. Unten das blaue Signaturschild der BAV. Kapital mit farbigen Seidenfäden umflochten (gelb-braun). Schunke, Einbände 2,2, S. 841, vgl. Schunke, Einbände 1, S. 256.
Provenienz
Heidelberg.
Geschichte der Handschrift
Die Faszikel wurden wahrscheinlich schon in Heidelberg, möglicherweise aber erst in Rom vereinigt. 1623 mit den Bänden der Heidelberger Palatina in die vatikanische Bibliothek verbracht. 1r Capsa-Nummer C. 2. Im Allacci-Register zu identifizieren (Pal. lat. 1949, 39r: 324 Aliud simile [i.e. officium beatae Mariae]. 8. C. 2.). Ältere Signaturen 1r: 404, 132v: 674. Besitzstempel der BAV 1r, 116v.

Faksimile
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bav_pal_lat_539
Literatur
Bloh / Berg, Gebetbuch, S. 257; Ehrensberger, Libri liturgici, S. 377f., Nr. 58; Morello, Libri d'ore, S. 35; Ottosen, Responsories, S. 128, 268; OVL, Pal.lat.539; Pierre Salmon, Analecta liturgica, Vatikanstadt 1974 (Studi e testi 273), S. 80; Salmon , Mss. liturgiques 4, S. 156, Nr. 487; Stevenson, Latini, S. 175.
Verzeichnis der im Katalogisierungsprojekt abgekürzt zitierten Literatur

Faszikel I (Bl. 1–116)

Sachtitel / Inhalt
Officium parvum beatae Mariae virginis, Officium defunctorum.
Entstehungsort
Augsburg.
Entstehungszeit
um 1200.
Typus (Überlieferungsform)
Faszikel.
Beschreibstoff
Pergament.
Umfang
116 Bll.
Format (Blattgröße)
14,2 × 9,2 cm.
Zusammensetzung (Lagenstruktur)
12 IV96 + III102 + IV110 + (IV-2)116.
Seiten-, Blatt- und Lagenzählung
Ältere Foliierung (13.–15. Jh.?) i–lxxx, lxxxxv–C, i–xvi, lxxxi–lxxxiiii (stellenweise vom Beschnitt des Buchblocks betroffen). Das C für die Hundert wurde nur einmal eingetragen, dann folgen [C]i-[C]xvi. Die Bll. lxxxi bis lxxxxiiii, d. h. die letzten beiden Lagen (Bl. 103–116), haben bei einem Neueinband ihren Platz gewechselt und folgten ursprünglich auf lxxx (=Bl. 80).
Zustand
Einige Bll. beschädigt (20, 31, 50, 110). Deutliche Griffspuren. An einigen Stellen fleckig (z. B. 36v, 62v–64v). Die Rankeninitialen korrodiert und auf die Rückseite des Pergaments durchgeschlagen.

Schriftraum
11 × 8,7 cm.
Spaltenanzahl
1 Spalte.
Zeilenanzahl
16 Zeilen.
Angaben zu Schrift / Schreibern
Späte Ausprägung der Karolingischen Minuskel am Übergang zu gotischen Formen. Weit überwiegend langes end-s, durchgängig et-Ligatur, das runde r findet sich nur in der Ligatur der Genitiv Plural Endung. Beginnende Brechungen an den unteren Schaftenden, Verbreiterung der oberen Schaftenden, v. a. bei d, b und l. Das allgemeine Erscheinungsbild zeugt eher von einer konservativen Tendenz.
Buchgestaltung
Rubriziert. Satz- und Absatzinitialen in Rot, überwiegend in Lombardenform. Zu Textabschnitten zweizeilig Rot oder Blau mit einfachem Palmettenfleuronné in der Gegenfarbe.
Buchschmuck
1r zum Textbeginn eine neunzeilige Rankeninitiale mit blau-grüner Farbfüllung, zu den Anfängen von Bußpsalmen, Totenoffizium und Psalterabbreviatur jeweils fünfzeilig. Die Ranken wurden mit einer wohl Gold imitierenden Farbsubstanz ausgeführt und rot konturiert. Das Metall der Farbe ist heute oxidiert und weist eine dunkle braun-graue Farbe auf.

Provenienz
Augsburg / Heidelberg.
Geschichte des Faszikels
Der Faszikel entstand für die Benutzung in Augsburg, sehr wahrscheinlich wurde er auch dort geschrieben. Aufgrund der Schrift- und Ausstattungsmerkmale ist eine Entstehungszeit um das Jahr 1200 anzunehmen. Die ältere Foliierung dokumentiert eine Veränderung der Lagenabfolge, ursprünglich stand das "Breviarium Psalterii" (Text 7) vor dem Totenoffizium (Text 6). 1r unten verblasst und teilweise vom Besitzstempel der BAV überschnitten ist die ältere Signatur p. 2 … N … zu erkennen. Es handelt sich um den Rest einer Fugger-Signatur. Möglicherweise ist der Band unter den gebundenen und ungebundenen Büchern, die der Buchbinder Hans Schick "uff ein grempelmarck" für Ulrich Fugger erworben hatte. Im Inventar Pal. lat. 1921, 123v erscheint unter den "in octavo altt gebunden bucher" auch der Eintrag "Horae Mariae Virginis" (Lehmann, Fuggerbibliotheken 2, S. 307, Z. 5539) hinter dem sich Pal. lat. 539 verbergen könnte. Mit den Büchern Ulrich Fuggers nach Heidelberg und in die Palatina gekommen. Wahrscheinlich in Heidelberg, möglicherweise auch erst in Rom mit Faszikel II vereinigt.

1) 1r–58v Digitalisat

Titel
Officium parvum beatae Mariae virginis.
Angaben zum Text
Die Capitula von Prim und Non entsprechen nach Falconer Madan (The localization of manuscripts, in: Essays in History, presented to Reginald Lane Poole, Oxford 1927, S. 5–29, dort S. 23) dem Brauch von Basel, dazu stehen jedoch andere Antiphonen: zur Prim: Ortus conclusus est dei genitrix … >Capitulum<. Ego sapientia ex ore altissimi … ; zur Non: Sub tuam protectionem confugimus … , >Capitulum<. Trahe me post te curremus … . Die Hymnen sind: Matutin: Fit porta Christi pervia … (AH 27, S. 118, Nr. 82 Strophe 4–6 und 15); Laudes: Quem terra pontus ethera … (AH 50, S. 86–88, Nr. 72); Prim: Beata dei genitrix, nitor … (AH 48, S. 34f., Nr. 23); Terz: Maria decus hominum … (AH 48, S. 35, Nr. 24); Sext: Maria templum domini … (AH 48, S. 36, Nr. 25); Non: O singularis femina … (AH 48, S. 36f., Nr. 26); Vesper: Ave maris stella dei mater … (AH 51, S. 140f., Nr. 123); Complet: Virgo singularis inter omnes … (AH 51, S. 140f., Nr. 123 Strophe 5). Sehr wahrscheinlich liegt dem Offizium der liturgische Gebrauch von Augsburg zugrunde (vgl. Texte 4 und 6).
Rubrik
1r ›Incipit cursus sancte Marie<.
Incipit
1r Domine labia mea aperies.
Explicit
58v … Benedicamus domino. Deo gracias.

2) 58v–68r Digitalisat

Titel
Psalmi poenitentiales.
Angaben zum Text
Die sieben Bußpsalmen: Ps 6, 31, 37, 50, 101, 129 und 142.
Rubrik
58v ›Incipiunt septem psalmi<.
Incipit
58v Domine ne in furore tuo arguas me [Ps 6,2] …
Explicit
68r … ego servus tuus sum [Ps 142,12].
Edition
Biblia sacra.

3) 68r–75r Digitalisat

Titel
Psalmi graduales.
Angaben zum Text
Die 15 Gradualpsalmen: Ps 119–133.
Rubrik
68r ›Canticum graduum<.
Incipit
68r Ad dominum cum tribularer.
Explicit
75r … qui fecit celum et terram .
Edition
Biblia sacra.

4) 75r–78v Digitalisat

Titel
Litaniae.
Angaben zum Text
Allerheiligenlitanei für die Diözese Augsburg. Darin finden sich u. a. die Anrufungen der hll. Korbinian, Ulrich, Othmar, Afra, Hilaria, Digna, Eunomia und Eutropia. Der Heiligen Hilaria mit ihren Gefährtinnen Digna, Eunomia und Eutropia galt in Augsburg ein Hochfest (12. August), gefeiert wurde der Tag auch in Konstanz und Freising. Auch die hll. Ulrich und Afra wurde in Augsburg mit Hochfesten verehrt. Die Litanei ist damit sicher Augsburg zuzuschreiben.
Rubrik
75r ›Letania incipit<.
Incipit
75r Kyrieleyson, Christeleyson
Explicit
78v … Christeleyson, Kyrieleyson. Pater noster.
Edition
In zahlreichen liturgischen Drucken der Diözese Augsburg, z. B. GW 5266, XXXIrb–XXXIIrb.

5) 78v–80v Digitalisat

Titel
Orationes.
Angaben zum Text
Gebete im Anschluss an die Litanei. 79r >Preces<. Oremus pro omni gradu ecclesie. Sacerdotes tui induantur iusticiam [Ps 131,9] …
Rubrik
78v ›Psalmus David<.
Incipit
78v Deus in adiutorium meum intende [Ps 69,2] …
Weiteres Initium
79r Sacerdotes tui induantur iustitiam et sancti [Ps 131,9] …
Explicit
80v … et gaudia consequi mereantur eterna. Per dominum nostrum. [Ps 131,9] …
Edition
Das abschließende commune in: Die Visionen der hl. Elisabeth und die Schriften der Äbte Ekbert und Emecho von Schönau, hrsg. von Ferdinand Wilhelm Emil Roth, Brünn 1884, S. 174.

6) 81r–102v Digitalisat

Titel
Officium defunctorum.
Angaben zum Text
Totenoffizium. Nach Ottosen, Responsories (S. 128, 268) von unbekannter Herkunft. Responsorienreihe: R 14, 72, 24, 32, 57, 68, 82, 28, 40. Die gleichen Responsorien hat Pal. lat. 523 aus Augsburg, lediglich das erste und letzte Responsorium der dritten Nokturn sind vertauscht (vgl. Ottosen, Responsories, S. 125). Es ist davon auszugehen, dass auch das hier vorliegende Totenoffizium für den Gebrauch in Augsburg geschrieben wurde (vgl. auch die Litanei, Text 4). Das Ende 102v abgerieben und weitgehend unleserlich.
Rubrik
81r ›Ad vesperas mortuorum<.
Incipit
81r Placebo. Dilexi quoniam exaudiet [Ps 114,1] …
Explicit
102v … per dominum nostrum.
Edition
Die Inkunabeldrucke von Erhard Ratdolt (GW M50445 und M50447) bieten keinen identischen Text.

7) 103r–116v Digitalisat

Verfasser
Prudentius Trecensis (GND-Nr.: 100958753).
Titel
Breviarium Psalterii.
Angaben zum Text
Dem hl. Prudentius von Troyes zugeschriebene Psalterabbreviatur, hier ohne den Prolog und die einleitende Oratio. Am Ende unvollständig (Verlust der beiden letzten Bll. der Lage, siehe Lagenstruktur). Vgl. Stegmüller, RB, Nr. 7016. Salmon, Analecta, s. Literatur, S. 80.
Rubrik
103r ›Incipit minus psalterium<.
Incipit
103r Verba mea auribus percipe domine [Ps 5,2] …
Explicit
116v … vivificabis me in equitate tua [Ps 142,11].
Edition
Migne PL 115, Sp. 1451-1456.

Faszikel II (Bl. 117–132)

Sachtitel / Inhalt
Officium parvum beatae Mariae virginis.
Entstehungsort
Süddeutschland.
Entstehungszeit
2. H. 15. Jh.
Typus (Überlieferungsform)
Faszikel.
Beschreibstoff
Pergament.
Umfang
16 Bll.
Format (Blattgröße)
14,2 × 9,2 cm.
Zusammensetzung (Lagenstruktur)
2 IV132. Die Anordnung der Bll. ist gestört. Die korrekte Abfolge wäre: 117–121, 129–132, 125–128, 122–124. Um diese Blattfolge herzustellen wäre die heutige zweite Lage (125–132) in die andere Richtung zu falzen und zwischen 121 und 122 in die Lage einzufügen. Die heutige Blattfolge scheint jedoch schon länger so zu bestehen, denn 132v zeigt den Abdruck eines früheren Einbandes, dürfte also für längere Zeit die letzte Seite des betreffenden Bandes gewesen sein.
Seiten-, Blatt- und Lagenzählung
>. zum Codex.

Schriftraum
11 × 8,7 cm.
Spaltenanzahl
1 Spalte.
Zeilenanzahl
20–21 Zeilen.
Angaben zu Schrift / Schreibern
Textura formata in zwei Schriftgraden von einer Hand, die wohl auch die Rubriken schrieb.
Buchgestaltung
Schriftraumbegrenzung und Zeilenlinien in Tinte. Rubriziert. Zwei- bis dreizeilige rote Lombarden mit Punktverdickungen und dekorativ ausgezogenen Serifen zu den Textabsätzen. Einzeilige rote Lombarden zum Teil mit Punktverdickungen oder Konturbegleitstrichen als Satzinitialen.

Provenienz
Heidelberg.
Geschichte des Faszikels
Der Faszikel entstand in der zweiten Hälfte des 15. Jhs. Die deutschsprachigen Rubriken sind im oberdeutschen Raum entstanden. Zuweilen werden in den Gebeten Frauen und besonders "sorores" angesprochen (121v … intercede pro devoto femineo sexu … ; 122r … Sorrores, sobrii estote et vigilate … ). Der Faszikel dürfte somit aus einem Frauenkonvent stammen. Aus dem römischen Gebrauch des Marienoffiziums (Text 8) ergibt sich kein Hinweis für die Lokalisierung des Faszikels. Wahrscheinlich in Heidelberg, möglicherweise auch erst in Rom mit Faszikel I vereinigt.

8) 118r–131v Digitalisat

Titel
Officium parvum beatae Mariae virginis.
Angaben zum Text
Das kleine Marienoffizium, wie es als zentraler Bestandteil des Stundenbuches weite Verbreitung fand. Nach Madan (Localization, s. Text 1, S. 23) entsprechen Antiphon und Capitulum von Prim und Non dem Gebrauch von Rom (so auch Salmon, Mss. liturgiques, S. 156). Die meisten Psalmen erscheinen nur als Incipit, einige jedoch ausgeschrieben (z. B. 118v–119r Ps 96). Die Matutin hat drei kurze Lesungen, wie in Stundenbüchern der Zeit üblich. Als Hymnen erscheinen zu Prim bis Non sowie Komplet "Memento salutis autor" (AH 23, S. 78, Nr. 121 Strophe 3–5), zur Komplet zudem "Te lucis ante terminum" (AH 51, S. 42, Nr. 44). Zur Vesper findet sich "Ave maris stella" (AH 51, S. 140–142, Nr. 123). Die Rubriken sind zumeist in deutscher Sprache verfasst. Die Abfolge der Gebetsstunden ist gestört: 118r–121v Matutin, 121v Laudes (nur sechs Zeilen, Rest verloren), 122r–124v Complet, 125r–126r Non (Ende), 126r–128v Vesper, 129r–129v Prim, 129v–130r Terz, 130v–131r Sext, 131r–131v Non (Anfang). Zur Umordnung der Doppelbll. s. Lagenstruktur.
Rubrik
118r ›Unser lieben frawen mettin<.
Incipit
118r Domine labia mea aperies et os meum [Ps 50,17] …
Explicit
131v … omnes sancti tui et pacem tuam. Ut supra.
Edition
Zahlreiche Inkunabel- und Frühdrucke von Stundenbüchern des römischen Gebrauchs enthalten dieses Offizium (z. B. GW 12953).


Bearbeitet von
Dr. Wolfgang Metzger, Universitätsbibliothek Heidelberg, 2024.


Zitierempfehlung:


Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 539. Beschreibung von: Dr. Wolfgang Metzger (Universitätsbibliothek Heidelberg), 2024.


Katalogisierungsrichtlinien
Die Katalogisierungsrichtlinien finden Sie hier.

Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Erschließung von 876 mittelalterlichen und frühneuzeitlichen lateinischen Handschriften der Heidelberger Bibliotheca Palatina in der Vatikanischen Bibliothek in Rom.