Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 626

Decretum Gratiani cum Glossa ordinaria

Pergament · 1, 206, 1 Bll. · 45,2 × 30,5 cm · Nordfrankreich · 4. Viertel 13. Jh.


Schlagwörter (GND)
Kanonisches Recht / Decretum.
Entstehungsort
Nordfrankreich.
Entstehungszeit
4. Viertel 13. Jh.
Typus (Überlieferungsform)
Codex.
Beschreibstoff
Pergament.
Umfang
1, 206, 1 Bll.
Format (Blattgröße)
45,2 × 30,5 cm.
Zusammensetzung (Lagenstruktur)
(I-1)1a + IB + 25 IV225 + II229 + (I-1)230*. Vorderspiegel Gegenbl. von 1a, Hinterspiegel Gegenbl. von 230*. Es fehlen die Bll. 137–144, 202–217.
Seiten-, Blatt- und Lagenzählung
Von dem wohl nachträglich vorgebundenen Unio ist nur das erste Bl. mit einem A foliiert. Auf A folgt ungez. Blatt, hier folglich als B bezeichnet. Die heutige zweite Lage fängt mit Bl. 2 an, Bl. 1 wurde herausgerissen, gehörte aber vermutlich nicht zu dieser Lage, sondern zu einer weiteren Lage, die offenbar entfernt wurde. Ferner fehlen die Bll. 137–144 (19. Lage) und 202–217 (27. und 28. Lage). Die Foliierung beginnt auf 2r mit arabischen Ziffern (2–228, 229 später nachgetragen) aus vorrömischer Zeit. Auf 2r und 3r womöglich Anfang einer weiteren Zählung. Vor- und Nachsatzbl. ungez., weshalb hier wie bei dem ungez. Bl. Zählung der Digitalisate übernommen wird (B, 1a, 230*). Durchgängig Reklamanten und Kustoden auf der letzten Versoseite der Lage auf dem Fußsteg, teilweise durch Beschnitt verloren gegangen, ebenso Kustoden auf der ersten Rectoseite der Lage auf dem Fußsteg.
Zustand
Bll. zuweilen löchrig, eingeschnitten, stockfleckig und abgegriffen. Einige Löcher waren bereits vor Niederschrift im Pergament vorhanden. Zahlreiche Benutzungsspuren.

Schriftraum
44 × 26 cm.
Spaltenanzahl
4 Spalten.
Zeilenanzahl
Legaltext: 56 Zeilen; Klammerglosse: bis zu 110 Zeilen.
Angaben zu Schrift / Schreibern
Der Legaltext wurde in der Littera Parisiensis abgefasst, weshalb eine Entstehung an der Pariser Universität anzunehmen ist. Das zuweilen verwendete aufrechte d aus der karolingischen Minuskel oder der obere, noch nicht geschlossene Bogen des doppelstöckigen a verweisen in das ausgehende 13. Jh. (Derolez, Palaeography, S. 84, 87). Die in etwa zeitgleich niedergeschriebene Klammerglosse zeigt ebenfalls typische Charakteristika der Littera Parisiensis bei der Ausführung der Buchstaben. Allerdings ist ihr ein breiterer Duktus zu eigen, sie ist wesentlich runder in den Schwüngen und zuletzt weisen die Füße des Buchstaben m keinerlei Quadrangeln auf, wobei der letzte Schaft leicht abgespreizt wird, was typische Elemente der Rotunda sind (Derolez, Palaeography, S. 102–104). Diese südlichen Einflüsse könnten darauf hindeuten, dass der Schreiber eine prägende Zeit seines Lebens auf der iberischen Halbinsel, in Südfrankreich oder in Italien verbrachte, bzw. er sich von der Rotunda beeinflussen ließ.
Buchgestaltung
Das Zeilengerüst ist mit Metallstift vorgezogen. Der mittig in zwei Spalten angelegte Legaltext wird von der sorgsam angelegten Klammerglosse umflossen. Alle Capitulumsüberschriften sind durchgängig rubriziert, jeder Anfang eines Capitulums mit einer Lombarde, verziert mit Palmettenfleuronné, kenntlich gemacht. Synthese Gratians wird mit Paragrafenzeichen und Satzmajuskel eingeführt, Zitate Gelehrter mit Satzmajuskel. Lombarden und Satzmajuskeln alternierend in Blau und Rot. Im ersten Teil sind die Bll. mit einem P auf der Versoseite und einer I auf der Rectoseite im Interkolumnium versehen, ‚Pars I‘ abkürzend. Paragrafenzeichen mit D als Abkürzung für ‚Distinctio‘ mit entsprechender Ziffer als Satzmajuskeln in Klammerglosse, den Anfang einer neuen Distinctio anzeigend, sowie die Ziffer alleine in der Kopftitelzeile. Im zweiten Teil steht im Interkolumnium auf der Rectoseite ein rotes CA als Abkürzung für ‚Causa‘, auf der Versoseite ist an gleicher Stelle der Causa die jeweilige lateinische Ziffer zugeordnet, bis diese Anordnung ab 74r umgedreht wird. Paragrafenzeichen mit Q als Abkürzung für ‚Quaestio‘ mit entsprechender Ziffer als Satzmajuskeln in Klammerglosse sowie in der Kopftitelzeile, den Anfang einer neuen Quaestio anzeigend. Jede Causa im zweiten Teil ist mit einer reich verzierten Knospenfleuronnéinitiale überschrieben. Im dritten Teil ist im Interkolumnium auf der Versoseite ein DE, auf der Rectoseite ein CO als Abkürzung für ‚De consecratione‘ angebracht. D als Abkürzung für Distinctio mit entsprechender Ziffer als Satzmajuskeln in Klammerglosse, den Anfang einer neuen Distinctio anzeigend, sowie ein weiteres Mal in der Kopftitelzeile, auf der Versoseite ein D, auf der Rectoseite die entsprechende Ziffer. In der Klammerglosse sind die Abschnitte mit Lombarden unterteilt.
Buchschmuck
s. Buchgestaltung und die Bildbeschreibung in heidICON.

Nachträge und Benutzungsspuren
Zahlreiche Marginal- und Interlinearglossen von mehreren jüngeren Händen in unterschiedlichen Schrifttypen, darunter nachweisbar: Guido da Baisio (um 1250–1313) (2r–v, 3r–v, 4v, 5r–228r), João de Deus (um 1190–1267) (3v, 27v, 28r–157r), Johannes Andreae (um 1270–1348) (11v, 15v, 91r–227v), Huguccio von Pisa (†1210) (12v, 15r), Giovanni da Faenza (†1191) (31r), Guglielmo Caneti (Bischof von Pavia um 1256–1272) (34r), Bartholomäus von Brescia (um 1200–1258) (65v, 123v, 165r) (vgl. OVL). Viele Unterstreichungen, mannigfaltige grafische Verweiszeichen. Auffallend sind die vielen verschiedenartigen bizarren Köpfe und auch Wesen, oftmals mit beigegebenen Stichworten.

Einband
Römischer Einband, um 1780, Pappe mit weißem Pergament überzogen (Schunke, Einbände 2.2, S. 846). Gelb-kupferfarbenes Kapital. Rückentitel: Decreta et statuta pontificales. Darüber zwei blaue Schildchen mit aktueller Signatur aufgeklebt. Oberer Buchdeckel war wohl vom Buchrücken abgetrennt und wurde wieder angenäht.
Provenienz
Paris / Heidelberg.
Geschichte der Handschrift
Auf Vorderspiegel blaues Schildchen mit aktueller Signatur. Auf Ar Capsa-Nummer C. 182, darunter Allacci-Signatur 1162, weitere Altsignaturen auf 1ar, 673 und 712 [beide durchgestrichen], und 229v 1795. Auch wenn keine Pecienvermerke notiert wurden, entstand die Hs. wohl im Peciensystem (Soetermeer, Utrumque ius, S. 304), weshalb ihre Entstehung im universitären Umfeld verortet werden kann. Die verwendete Schriftart schließlich verweist uns an die Pariser Universität. Die beiden in etwa zeitgleich mit dem Legaltext und der Klammerglosse entstandenen metrischen Abbreviaturen, wobei die erste etwas jünger zu sein scheint, wurden nachträglich vor und nach dem Haupttext angebunden. Der Kolophon auf 228r, beginnend mit einer Geheimschrift, endend mit M°.CCC°.XIIII. circa Kallendis [!] Septembris, dürfte von einer Hand stammen, die den Text mit verschiedenen Anmerkungen versah. Dafür sprechen neben der Schrift die charakteristische Form der Einrahmung, mit der die Randnotizen und auch der Kolophon umzogen wurden, wie auch die verwendete Feder.

Faksimile
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bav_pal_lat_626
Literatur
BioBib Jurists, Gratianus (a242); Dondorp, Review, S. 89; García y García, Laurentius, S. 70; Hanselmann, Bücherschenkung, S. 125; Jeudy, Manuscrits achetés, S. 38; Kuttner, Repertorium, S. 115; Michele Maccarrone, Ubi est papa, ibi est Roma, in: Aus Kirche und Reich. Studien zu Theologie, Politik und Recht im Mittelalter, Festschrift für Friedrich Kempf zu seinem fünfundsiebzigsten Geburtstag und fünfzigjährigen Doktorjubiläum, hrsg. von Hubert Mordek, Sigmaringen 1983, S. 371–382, hier S. 376 A. 29; OVL, Pal.lat.626; Pace, Storia, S. 235 A. 93; Schmugge, Dekretale, S. 56, 58, 66 A. 119; LudwigSchmugge, Leo IX - JL 4269: An Attempt at an Edition, in: The Two Laws. Studies in Medieval Legal History Dedicated to Stephan Kuttner, hrsg. von Laurent Mayali / Stephanie A. J. Tibbetts, Washington D. C. 1990 (Studies in Medieval and Early Modern Canon Law 1), S. 31–39, hier S. 34; Schunke, Einbände 2.2, S. 846; Soetermeer, Utrumque ius, S. 304; Stevenson, Latini, S. 225; Walther, IC, Nr. 4541 (fälschlicherweise als Pal. lat. 621 bezeichnet), 10283; Franz Josef Worstbrock, Libri pauperum. Zu Entstehung, Struktur und Gebrauch einiger mittelalterlicher Buchformen der Wissensliteratur seit dem 12. Jahrhundert, in: Der Codex im Gebrauch. Akten des Internationalen Kolloquiums 11.–13. Juni 1992, hrsg. von Christel Meier / Dagmar Hüpper / Hagen Keller, München 1996 (Münstersche Mittelalter-Schriften 70), S. 41–60, hier S. 47 A. 38, S. 48 A. 38.
Verzeichnis der im Katalogisierungsprojekt abgekürzt zitierten Literatur

1) 2ra–228rd Digitalisat

Verfasser
Gratian (GND-Nr.: 118541625).
Weitere beteiligte Personen
Johannes Teutonicus (GND-Nr.: 100950477) / Bartholomäus von Brescia (GND-Nr.: 100937365).
Titel
Decretum cum Glossa ordinaria.
Angaben zum Text
Text mit der Glossa ordinaria des Johannes Teutonicus (um 1170–1245) in der Überarbeitung des Bartholomäus von Brescia (um 1200–1258): (2rb–54rb) Teil I, der Text beginnt mit D. 4 c. 6; (54rb–201vc) Teil II, auf 136v endet der Text in C. 22 q. 4, c. 23, fortgesetzt auf 145r in C. 23 q. 4, c. 46., auf 201v endet der Text in D. 6, c. 1 de poen.; (218rb–228rb) Teil III, beginnt in D. 2 c. 97 de cons. – Av–Br metrische Abbreviatur. – Bv leer. – 229r metrische Abbreviatur. – 229v Notizen.
Incipit
2rb … [reli]gione precellant.Deipsa uero die dominica hesitamus …
Explicit
228rb … Cui simile eciam de se ipso saluator loquitur: Sicut audio et iudico, et alibi: Non potest filius a se facere quicquam, nisi quod uiderit patrem facientem.
Edition
Corpus iuris canonici 1, Sp. 1–1424. Die Glossa ordinaria des Johannes Teutonicus liegt in der Bearbeitung des Bartholomäus von Brescia in verschiedenen Wiegendrucken vor (GW 11351–11390).


Bearbeitet von
Dr. Thorsten Huthwelker, Universitätsbibliothek Heidelberg, 2024.


Zitierempfehlung:


Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 626. Beschreibung von: Dr. Thorsten Huthwelker (Universitätsbibliothek Heidelberg), 2024.


Katalogisierungsrichtlinien
Die Katalogisierungsrichtlinien finden Sie hier.

Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Erschließung von 876 mittelalterlichen und frühneuzeitlichen lateinischen Handschriften der Heidelberger Bibliotheca Palatina in der Vatikanischen Bibliothek in Rom.