Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 629

Kanonistische Sammelhandschrift

Pergament · 1, 295, 1 Bll. · 46,5–46,7 × 28,7–29,2 cm · Bologna · 1280–1298


Schlagwörter (GND)
Kanonisches Recht / Dekretalensammlung / Dekretalen / Liber extra.
Entstehungsort
Bologna.
Entstehungszeit
1280–1298.
Typus (Überlieferungsform)
Codex.
Beschreibstoff
Pergament.
Umfang
1, 295, 1 Bll.
Format (Blattgröße)
46,5–46,7 × 28,7–29,2 cm.
Zusammensetzung (Lagenstruktur)
(I-1)1a + (V+1)11 + 24 V251 + IV259 + I261 + 2 VI285 + V295 + (I-1)296*. Vorderspiegel Gegenbl. von 1a, Hinterspiegel Gegenbl. von 296*.
Seiten-, Blatt- und Lagenzählung
Römische Foliierung des 17. Jhs. (1–295), Vor- und Nachsatzbl. ungez., weshalb hier Zählung der Digitalisate übernommen wird (1a, 296*). Reklamanten unten rechts auf der Versoseite des letzten Blatts der Lage, teilweise durch Beschnitt verloren gegangen.
Zustand
Schrift auf den ersten beiden Seiten verblasst, Miniaturen abgeklatscht.

Schriftraum
4,5–25,7 × 9–14,5 cm (Legaltext); 14,7–42,1 × 20–25,5 cm (mit Klammerglosse).
Spaltenanzahl
4 Spalten.
Zeilenanzahl
34–46 Zeilen (286r–295r: 9–10 Zeilen).
Angaben zu Schrift / Schreibern
Die Schrift ist die Ende des 13. Jhs. in Bologna ausgebildete Littera Bononiensis. Aufgrund der werkstattinternen Standardisierung der Buchstaben ist eine Unterscheidung der Hände nur schwer möglich. Die Schrift ist entsprechend dem anspruchsvollen Buchschmuck kalligrafisch aufwändig gestaltet, zeigt nur wenige Korrekturen auf und weist bereits ins 14. Jh., weshalb zuweilen – nicht zuletzt auch aufgrund kunsthistorischer Kriterien – Jacopino da Reggio als Schreiber angenommen wird (Gibbs, Illustration, S. 201, 208).
Buchgestaltung
Liniierung mit Metallstift. Der zweispaltige mittige Textblock mit dem eigentlichen Gesetzestext ist von der dazugehörigen Glosse umgeben. Zu Beginn eines Titulus Halbfigur in der Initiale, daneben zwischen den Kolumnen eine stehende Ganzfigur (nicht im Text 260v–261v). Die betreffende Stelle in der Glosse ist mit einer quadratischen Initiale ohne Figur mit Rankenausläufern geschmückt. Zu Beginn eines Capitulums wechseln sich rote und blaue, mit dichtem Fleuronné besetzte Lombarden ab, die in der Glosse weniger aufwändig ausgeführt sind. Miniaturen stehen bei den Dekretalen Gregors IX. vor den Buchanfängen. Überschrieben sind die Dekretalen Gregors IX. (1v–259v) mit einem L auf der Versoseite und der dem jeweiligen Buch zugeordneten Ziffer auf der Rectoseite in der Kopfzeile, die Constitutiones novellae Innozenz’ IV. (262r–273r) mit einem L auf der Versoseite und einem NOVE auf der Rectoseite, die Konstitutionen des Konzils von Lyon und die Dekretalen Gregors X. (274r–285r) mit einem L auf der Versoseite und einem GREGO auf der Rectoseite. Die Arbores consanguinitatis et affinitatis (260v–261v) sowie die Konstitutionen Nikolaus’ III. (286r–295r) kommen ohne Seitentitel aus. Kleine Verweisbuchstaben stellen Zuordnung des Legaltexts zur Glosse her.
Buchschmuck
Neben den typischen Bologneser Rankenbordüren in den Randspalten und im Interkolumnium, enthält der Codex 39 Miniaturen. Die Illumination wie auch die Schreibarbeit werden mitunter Jacopino da Reggio zugeschrieben (Gibbs, Illustration, S. 201f.), was Burkhart relativiert (Burkhart, Dekretalenhandschrift, S. 34). Die Ausstattung legt die Verwandtschaft mit zahlreichen Hss. nahe. S. auch die Bildbeschreibung in heidICON.

Nachträge und Benutzungsspuren
Korrekturen am Textrand, bei Dekretalen Gregors IX. später angebrachte abgekürzte Tituli auf der Rectoseite oben rechts. Einige Marginal- und Interlinearglossen, als deren Autoren identifizierbar: Innozenz IV. (18v, 60v, 61v), Johannes Andreae (um 1270–1348) (18v, 60v–189r), Cyno da Pistoia (um 1270–1336/37) (25r, 60v, 61r–194v), Hostiensis (um 1200–1271) (60v, 61r–v, 121v, 189r), Dino del Mugello (um 1254–um 1300) (62r) (vgl. OVL).

Einband
Halblederband, rot-braun gefärbtes Leder auf Holzdeckeln, widersprüchliche Angaben dazu bei Schunke, Einbände 2.2, S. 846. Spiegelbll. und Schließen wahrscheinlich bei der Restaurierung 1969 erneuert. Auf Rücken Papierschildchen mit der aktuellen Signatur.
Provenienz
Heidelberg.
Geschichte der Handschrift
Ältere römische Signatur auf 1r: 527. Auf Vorderspiegel Papierschildchen mit der aktuellen Signatur, auf Hinterspiegel Stempel mit Hinweis auf Restaurierung von 1969. Die Gestaltung der Hs. wie auch die Schrift zeugen von Bologna als Entstehungsort, einem der mittelalterlichen Zentren der Rechtswissenschaft. Dafür spricht auch die bei juristischen Hss. an der dortigen Hochschule gepflegte Herstellung im Peciensystem, worauf beispielsweise das finit viij auf 44vc hinweist, womit das Ende der achten Pecia angezeigt wurde. Diesem Codex diente demnach wohl dieselbe Pecia als Vorlage wie Vat. Lat. 3980 (Battelli, Osservazioni, S. 118). Darüber hinaus stehen neben manchen Reklamanten Ziffern (181v, 231v, 241v, 251v), die wohl den verwendeten Pecien entsprechen. Alle im Codex versammelten Texte dürften in derselben Werkstatt entstanden sein, wobei die beiden letzten in der Kolumnenbreite von den vorherigen abweichen. Sie entstanden womöglich etwas später (Gibbs, Illustration, S. 201 A. 67).

Faksimile
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bav_pal_lat_629
Literatur
Ausst.-Kat. Palatina, S. 52f.; Giulio Battelli, Osservazioni sull’Exemplar, in: La production du livre universitaire au Moyen Âge. Exemplar et pecia, Actes du symposium tenu au Collegio S. Bonaventura de Grottaferrata en mai 1983, hrsg. von Louis-Jacques Bataillon / Bertrand-Georges Guyot / Richard Hunter Rouse, Paris 1988, S. 115–123; Gabriella Bernardi, Una scheda per le Decretali manoscritto Palatino latino 629 della Biblioteca Apostolica Vaticana, in: Arte a Bologna 6 (2007), S. 119–128 (mit weiterführender Literatur); Berschin, Palatina, S. 77; Bertram, Handschriften, S. 33, 37, 40, 53 A. 33; Bertram, Signaturenliste; BioBib Jurists, Bernardus Parmensis (a062); BioBib Jurists, Johannes de Deo (a292); Peter Burkhart, Die Dekretalenhandschrift Vat. Pal. Lat. 629 und die Bologneser Buchmalerei am Ende des XIII. Jahrhunderts, in: Miscellanea Bibliothecae Apostolicae Vaticanae 5 (1997), S. 33–51 (mit weiterführender Literatur); CALMA, Bd. 2, Florenz 2008, S. 350f.; Gibbs, Illustration, S. 181, 201f., 208–211, 215; Hanselmann, Bücherschenkung, S. 125; Jeudy, Manuscrits achetés, S. 38f.; Peter-Josef Keßler, Untersuchungen über die Novellen-Gesetzgebung Papst Innozenz’ IV., 1. Teil: Ein Beitrag zur Geschichte der Quellen des kanonischen Rechts, in: ZRG KA 31 (1942), S. 142–320, hier S. 278, 280; Stephan Kuttner, Decretalistica, in: ZRG KA 26 (1937), S. 436–470, hier S. 438 A. 7, 450, 456 A. 1; Ders, Medieval Councils, Decretals, and Collections of Canon Law. Selected Essays, Farnham 21992, XI S. 73 A. 7, 82ff.; Murano, Opere, S. 360, 366, 368; Giovanna Murano, La tradizione delle opere di Iohannes de Deo ed il ms Roma, Biblioteca Casanatense 1094 (A.II.10), in: Mediaevalia. Textos e estudos 26 (2007), S. 7–80, hier S. 35–37; OVL, Pal.lat.629; Schadt, Darstellungen, S. 205f., 256, 259f., 267, 271–274; Schunke, Einbände 2.2, S. 846; Stevenson, Latini, S. 225f.; Susanne Wittekind, Ut hanc tantum compilatione universi utantur in iudiciis et in scholis. Überlegungen zu Gestaltung und Gebrauch illuminierter Handschriften der Dekretalen Gregors IX., in: Lesevorgänge. Prozesse des Erkennens in mittelalterlichen Texten, Bildern, und Handschriften, hrsg. von Eckart Conrad Lutz / Martina Backes / Stefan Matter, Zürich 2010 (Medienwandel – Medienwechsel – Medienwissen 11), S. 89–128, hier S. 105f., 117, 120, 124, 127.
Verzeichnis der im Katalogisierungsprojekt abgekürzt zitierten Literatur

1) 1va–259vd Digitalisat

Beteiligte Personen
Gregor IX. (GND-Nr.: 118541870) / Bernhard von Parma (GND-Nr.: 100937918).
Titel
Liber extra cum Glossa ordinaria.
Angaben zum Text
Auf Veranlassung Papst Gregor IX. kompilierte Dekretalensammlung mit der Glossa ordinaria des Bernhard von Parma in der 4. Redaktionsstufe von 1263–66 (Kuttner / Smalley, Glossa Ordinaria, S. 98 A. 4): (1vb–c) Gregor IX., Promulgationsbulle ‚Rex pacificus‘, adressiert an die Universität Bologna; (2rb–71vc) Liber I; (72rb–131vc) Liber II; (132rb–188vc) Liber III; (189rb–207vc) Liber IV; (208rb–259vc) Liber V.
Incipit
1vb ›Gregoriusepiscopus seruus seruorum dei dilectis filiis doctoribus scolaribus uniuersis Bononie commorantibus salutem et apostolicam benedictionem.Rexpacificus …
Explicit
259vc … Indignum est et a Romane ecclesie consuetudine alienum, ut pro spiritualibus facere quis homagium compellatur. Secunda pars decretalium finitur.
Edition
Corpus iuris canonici 2, Sp. 1–928. Zur Glossa ordinaria des Bernhard von Parma existiert keine moderne Edition, sie ist aber bereits in zahlreichen Inkunabeln seit 1468/71 überliefert (GW 11450–11502) und auch in jüngeren frühneuzeitlichen Drucken (Laurin, Introductio, S. 230f.).

2) 260va–261vb Digitalisat

Verfasser
João de Deus (GND-Nr.: 100965083).
Titel
Arbor consanguinitatis et affinitatis.
Angaben zum Text
Glosse des João de Deus zum Arbor consanguinitatis et affinitatis.
Rubrik
260va ›Ad honorem summe trinitatis et indiuidue trinitatis patris et filij et spiritus sancti […]‹.
Incipit
260va ›Principionostro sit presens uirgo Maria, cum circa computationem arboris diuersi diuersa sensissent …
Explicit
261v … Teneas istas regulas et expone eas diligenter et non errabis. Alia autem superflua sunt de quibus non est curandum quantum extenditur impedimentum consanguinitatis et affinitatis, cum sint connexa extra de constitutione translato.
Edition
Es existiert keine moderne Edition, die Glosse ist aber bereits in einer Inkunabel von 1489 überliefert (siehe GW M13481).

3) 262ra–273vd Digitalisat

Beteiligte Personen
Innozenz IV. (GND-Nr.: 118555650) / Bernhard von Compostela der Jüngere (GND-Nr.: 102426104).
Titel
Collectio novellarum III cum Glossa ordinaria.
Angaben zum Text
Dekretalen Innozenz’ IV. mit der Glossa ordinaria des Bernhard von Compostela.
Incipit
262rb Innocentius iiii. in concilio Lugdunensi. Innocentius episcopus seruus seruorum dei dilectis filiis uniuersitatis magistrorum et scolarium Bononie commorantibus salutem et apostolicam benedictionem. Cum nuper in concilio Lugdunensi …
Explicit
273vc … Per declarationem autem huiusmodi nolumus aliis defensionibus seu iuribus partium derogari.
Edition
Justus Henning Böhmer, Corpus iuris canonici, Bd. 2, Appendix III, Sp. 351–368; Mansi 23, Sp. 651–674.

4) 274ra–285rd Digitalisat

Beteiligte Personen
Gregor X. (GND-Nr.: 118718681) / Garsias Hispanus (GND-Nr.: 115867759).
Titel
Constitutiones novissimae cum Glossa ordinaria.
Angaben zum Text
Novellen Gregors X. mit der Glossa ordinaria des Garsias Hispanus.
Incipit
274rb Gregorius episcopus seruus seruorum dei dilectis filiis et uniuersitati magistrorum et scolarium Bononie salutem et apostolicam benedictionem. Cum nuper in generali concilio Lugdunensi …
Explicit
285rc … Qui autem in eadem sententia permanserint duorum mensium spatio extunc ab ea non possunt nisi per sedem apostolicam absolutionis benefitium obtinere. Datum Lugduni Kalendis Nouenbris, pontificatus nostri anno tertio.
Edition
Mansi 24, Sp. 81–102.

5) 286ra–295rd Digitalisat

Beteiligte Personen
Nikolaus III. (GND-Nr.: 118734903) / Garsias Hispanus (GND-Nr.: 115867759).
Titel
Konstitution ‚Cupientes‘.
Angaben zum Text
Von Nikolaus III. publizierte Konstitution ‚Cupientes‘ mit der Glosse des Garsias Hispanus.
Incipit
286rb Nicholaus episcopus seruus seruorum dei ad perpetuam rei memoriam. Cupientes ecclesiarum uacationibus …
Explicit
295rb–c … Porro in singulis casibus supradictis in recuperandis uel reddendis in expensis eligentium electorum postulantium et etiam postulati illud seruari decernimus qoud iustum fuerit et equitas canonum iudicabit. Data Rome apud sanctum Petrum Ydus Decembris pontificatus in nostri anno secundo.
Edition
Corpus iuris canonici 2, Sp. 954–956.


Bearbeitet von
Dr. Thorsten Huthwelker, Universitätsbibliothek Heidelberg, 2024.


Zitierempfehlung:


Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 629. Beschreibung von: Dr. Thorsten Huthwelker (Universitätsbibliothek Heidelberg), 2024.


Katalogisierungsrichtlinien
Die Katalogisierungsrichtlinien finden Sie hier.

Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Erschließung von 876 mittelalterlichen und frühneuzeitlichen lateinischen Handschriften der Heidelberger Bibliotheca Palatina in der Vatikanischen Bibliothek in Rom.