Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 632

Liber extra cum Glossa ordinaria

Pergament · 1, 263, 1 Bll. · 47 × 29 cm · Bologna · 1290–1300


Schlagwörter (GND)
Kanonisches Recht / Dekretalensammlung / Dekretalen / Liber extra.
Entstehungsort
Bologna.
Entstehungszeit
1290–1300.
Typus (Überlieferungsform)
Codex.
Beschreibstoff
Pergament.
Umfang
1, 263, 1 Bll.
Format (Blattgröße)
47 × 29 cm.
Zusammensetzung (Lagenstruktur)
(I-1)1a + IB + 12 V120 + IV128 + 12 V248 + VI260 + I262 + (I-1)262a. Vorderspiegel Gegenbl. von 1a, Hinterspiegel Gegenbl. von 262*.
Seiten-, Blatt- und Lagenzählung
Römische Foliierung des 17. Jhs. (1–260, A und B nachgetragen), Vorsatzbl. und Nachsatzbll. ungez., weshalb hier Zählung der Digitalisate übernommen wird (1a, 261*–262*). Auf 261*r eingeklebtes Fragment, gezählt als 260a. Reklamanten durchgängig auf der letzten Versoseite der Lage auf dem Fußsteg rechts, zuweilen Ziffern neben den Reklamanten, die auf Kustoden hinweisen dürften.
Zustand
Benutzungsspuren, Tinte zuweilen ein wenig verblasst, manche Bll. eingeschnitten, mitunter Ränder bestoßen. Fragment (260a) mit Wasserschaden.

Schriftraum
18 × 15,5 cm (Legaltext); 42,4 × 26 cm (mit Klammerglosse).
Spaltenanzahl
4 Spalten (bis auf Av–Br: 3 Spalten).
Zeilenanzahl
Legaltext: 34–47 Zeilen; Klammerglosse: 88–100 Zeilen.
Angaben zu Schrift / Schreibern
Die Schrift ist ein typisches Beispiel der in Bologna gepflegten Littera Bononiensis. Aufgrund ihrer Standardisierung sind Aussagen über verschiedene Hände kaum möglich. Die Schrift ist entsprechend dem anspruchsvollen Buchschmuck kalligrafisch aufwändig gestaltet und zeigt wenige Korrekturen auf, die an den Seitenrändern bzw. am Kopf oder Fuß der Kolumne nachgetragen wurden.
Buchgestaltung
Seitentitel mittig mit einem L auf der Versoseite und der dem jeweiligen Buch zugeordneten Ziffer auf der Rectoseite, nebst Nennung des rubrizierten Titulus. Mittig und zweispaltig angelegter Text ist von Glosse umflossen. Jedes Buch beginnt mit einer Miniatur, jeder Titulus mit einer Bildeinschlussinitiale mit Person, meist im Schulterstück, bzw. Rankeninitiale, jedes Capitulum mit einer Lombarde mit Knospenfleuronné in Rot und Blau alternierend. Im Satz zuvor Anfangsbuchstabe jener Person oder Institution mit Satzmajuskel hervorgehoben, auf deren Anfrage hin die Dekretale formuliert wurde. Satzmajuskeln ebenfalls farblich alternierend wie auch Paragrafenzeichen. Kleine Verweisbuchstaben stellen Zuordnung des Legaltexts zur Glosse her. In der Klammerglosse zu Beginn eines Titulus Rankeninitialen. Lombarden mit weniger als im Legaltext verziertem Fleuronné in Gegenfarbe. Alternierend rote und blaue Paragrafenzeichen.
Buchschmuck
Modenese Grisolfi zugeschrieben, der die Eingangsminiatur von Pal. lat. 629 kopierte. Eingangsminiaturen zu jedem Buch. S. auch die Bildbeschreibung in heidICON.

Nachträge und Benutzungsspuren
Von jüngerer Hand Kurzzusammenfassungen der Capitula neben den Kapitelanfängen nachgetragen (endet 10rc, wieder aufgenommen im Liber V, 208rb–214vc). Weitere Anmerkungen und auch Korrekturen im Interkolumnium, am Seitenrand oder über der Zeile; solches auch von mindestens einer weiteren Hand in einer gotischen Kursive. Auf 143vb Kopf eines Geistlichen als Piktogramm.

Einband
Römischer Einband, Pappe mit weißem Pergament überzogen, in Rom um 1780 gefertigt (Schunke, Einbände 2.2, S. 846). Gelb-kupferfarbenes Kapital. Auf dem leicht eingerissenen Buchrücken zwei blaue aufgeklebte Schildchen mit der aktuellen Signatur. Rückentitel: DECRETALES.
Provenienz
Heidelberg.
Geschichte der Handschrift
Auf Ar Capsa-Nummer C. 173., darunter Allacci-Signatur 1508, ferner Altsignatur 2069 [letztere beiden Signaturen durchgestrichen]. Auf Vorderspiegel blaues aufgeklebtes Schildchen mit der aktuellen Signatur. Die Herstellung der Hs. erfolgte im Peciensystem, was beispielsweise auf 81va ersichtlich wird, wo das Ende einer Pecia auf dem Seitenrand verzeichnet wurde: finitur pecia xxvi ij partis, darüber stehend das cor des Korrektors für correcta bzw. correxi. Aber nicht nur das an der Universität von Bologna gepflegte Peciensystem, auch der Buchschmuck und die Schrift sprechen für die Entstehung der Hs. in besagter oberitalienischer Metropole, die L’Engle, Illumination, S. 300, in das letzte Jahrzehnt des 13. Jhs. datiert. Dafür, dass sich der Codex wahrscheinlich in der Mitte des 15. Jhs. bereits in Heidelberg befand, spricht das Fragment 260a, auf welchem Nikolaus von Mindelheim auf den Einfall des polnischen Königs in Ungarn hinweist. Erstgenannter dürfte mit Nicolaus Sartoris de Mindelhem gleichzusetzen sein, der sich 1448 an der Universität Heidelberg immatrikulierte (Toepke, Matr. Heidelberg, S. 255).

Faksimile
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bav_pal_lat_632
Literatur
Berschin, Palatina, S. 77; BioBib Jurists, Bernardus Parmensis (a062); Conti, La miniatura, S. 45 A. 22; Adalbert von Erbach-Fürstenau, La miniatura bolognese nel trecento, in: L’Arte 14 (1911), S. 1–12, 107–117, hier S. 8; Michele Feo, „Sì che pare a’ lor vivagni”. Il dialogo col libro da Dante a Montaigne, in: Agnolo Poliziano poeta, scrittore, filologo. Atti del Convegno internazionale di studi, Montepulciano 3–6 novembre 1994, hrsg. von Mario Martelli / Vincenzo Fera, Florenz 1998, S. 245–294, hier S. 248; Gibbs, Illustration, S. 179, 202–208; Hanselmann, Bücherschenkung, S. 125; Jeudy, Manuscrits achetés, S. 38f.; L’Engle, Illumination, S. 55 A. 52, 115 A. 60, 116 A. 62, 247 A. 214, 300; Susan L’Engle, Picturing Gregory: The Evolving Imagery of Canon Law, in: Decretales pictae. Le miniature nei manoscritti delle Decretali di Gregorio IX (Liber Extra). Atti del colloquio internazionale tenuto all’Istituto Storico Germanico Roma, 3–4 marzo 2010, hrsg. von Martin Bertram / Silvia Di Paolo, Rom 2012, S. 23–44, hier S. 33 A. 22, 38 A. 35, 41; OVL, Pal.lat.632; Schunke, Einbände 2.2, S. 846; Stevenson, Latini, S. 226.
Verzeichnis der im Katalogisierungsprojekt abgekürzt zitierten Literatur

1) Ava–260a Digitalisat

Beteiligte Personen
Gregor IX. (GND-Nr.: 118541870) / Bernhard von Parma (GND-Nr.: 100937918).
Titel
Liber extra cum Glossa ordinaria.
Angaben zum Text
Auf Veranlassung Papst Gregor IX. kompilierte Dekretalensammlung mit der Glossa ordinaria des Bernhard von Parma (von Stevenson fälschlicherweise Johannes Andreae zugeschrieben) in der 4. Redaktionsstufe, 1263–66 (Kuttner / Smalley, Glossa Ordinaria, S. 98 A. 4): (Ava–Bra) Inhaltsverzeichnis mit alphabetisch geordneten Tituli; (1rb–1vb) Gregor IX., Promulgationsbulle ‚Rex pacificus‘, adressiert an die Universität von Bologna; (1vb–68vc) Liber I; (69rb–128vc) Liber II; (129rb–187vc) Liber III; (188rb–207vc) Liber IV; (208rb–260vc) Liber V; (260a) Schreiben des Nikolaus von Mindelheim.
Incipit
1rb ›Gregoriusepiscopus seruus seruorum dei dilectis filiis doctoribus et scolaribus uniuersis Bononie conmorantibus salutem et apostolicam benedictionem.Rexpacificus …
Explicit
260vc … Indignum est et a Romane ecclesie consuetudine alienum, ut pro spiritualibus facere quis homagium compellatur. Explicit decretales.
Edition
Corpus iuris canonici 2, Sp. 1–928; zur Glossa ordinaria des Bernhard von Parma existiert keine moderne Edition, sie ist aber bereits in zahlreichen Inkunabeln seit 1468/71 (GW 11450–11502) und auch in jüngeren frühneuzeitlichen Drucken (Laurin, Introductio, S. 230f.) überliefert.


Bearbeitet von
Dr. Thorsten Huthwelker, Universitätsbibliothek Heidelberg, 2024.


Zitierempfehlung:


Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 632. Beschreibung von: Dr. Thorsten Huthwelker (Universitätsbibliothek Heidelberg), 2024.


Katalogisierungsrichtlinien
Die Katalogisierungsrichtlinien finden Sie hier.

Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Erschließung von 876 mittelalterlichen und frühneuzeitlichen lateinischen Handschriften der Heidelberger Bibliotheca Palatina in der Vatikanischen Bibliothek in Rom.