Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 638

Kanonistische Sammelhandschrift

Pergament · 4, 123, 4 Bll. · 26 × 18 cm · Mitteleuropa · 2. Hälfte 14. Jh.


Schlagwörter (GND)
Kanonisches Recht / Dekretalensammlung / Dekretalen / Liber sextus / Clementinae.
Entstehungsort
Mitteleuropa.
Entstehungszeit
2. Hälfte 14. Jh.
Typus (Überlieferungsform)
Codex.
Beschreibstoff
Pergament.
Umfang
4, 123, 4 Bll.
Format (Blattgröße)
26 × 18 cm.
Zusammensetzung (Lagenstruktur)
(I-1)1a + 34a + 11 + 13 IV104 + V114 + (V-1)123* + 3126* + (I-1)127*. Vorderspiegel Gegenbl. von 1a, Hinterspiegel Gegenbl. von 127*. Zählfehler: auf 34 folgte ungez. Bl., später als 34bis nachgetragen.
Seiten-, Blatt- und Lagenzählung
Römische Foliierung des 17. Jhs. (1–122). 34bis mit Blei nachgetragen. Vor- und Nachsatzbll. ungez., weshalb hier Zählung der Digitalisate übernommen wird (1a–4a, 123*–127*). Ab 9v durchgängig auf der letzten Versoseite der Lage Reklamanten auf dem Fußsteg rechts (bis 88v, fehlt auf 80v), Kustoden auf dem Fußsteg mittig. Ab 73r Kustoden auch mittig auf dem Fußsteg der ersten Rectoseite der Lage.
Zustand
Zuweilen Löcher im Pergament, die sich allerdings schon vor der Niederschrift darin befunden haben müssen. Einige Flecken, wenige Stockflecken. Bei manchen Bll. wurde an Rändern Pergament abgeschnitten. Wenige Benutzungsspuren.

Schriftraum
17,5 × 12 cm.
Spaltenanzahl
2 Spalten.
Zeilenanzahl
33 Zeilen.
Angaben zu Schrift / Schreibern
Bei der Schrift handelt es sich um eine Textura, die in der Gestaltung der Buchstabenformen in ihrer Entstehung nach Mitteleuropa verweist. Gleichwohl ist ihr, gerade in der Behandlung der Schäfte bei u, m und n, ein recht runder Duktus zu eigen. Dies könnte auf Einflüsse der in Italien gepflegten Rotunda zurückzuführen sein, war doch das in der Grußadresse des Liber sextus (s. Text 1) genannte Bologna ein äußerst beliebtes Ziel deutschsprachiger Rechtsstudenten. Auffallend sind ferner die zahlreich verwendeten Abkürzungen.
Buchgestaltung
Zeilengerüst mit Metallstift vorgezogen. Text des Liber sextus mit einem L auf der Versoseite und der dem jeweiligen Buch zugeordneten Ziffer auf der Rectoseite im Seitentitel. Buchanfänge im Liber sextus mit zweifarbigen, relativ schlichten Silhouetteninitialen in Blau und Rot mit Kopfstempelform, die Leisten in Keilform (anstelle des ersten Buchs Anfang der vorgeschalteten Bulle ‚Sacrosanctae Romanae ecclesiae‘ mit Initiale versehen). Den Clementinen ist Fleuronnéinitiale, ebenfalls in Blau und Rot, mit Perlenbesatz vorangestellt. Im Liber sextus sowie in den Clementinen Tituli rubriziert, jedem Capitulum Lombarde, alternierend in Blau und Rot, vorangestellt. Im Satz zuvor Person mit rubrizierter Satzmajuskel hervorgehoben, welche die Dekretale formulierte. Ferner farbige Paragrafenzeichen bzw. Rubrizierungen zur Kennzeichnung von neuen Sinnabschnitten.
Buchschmuck
s. Buchgestaltung.

Nachträge und Benutzungsspuren
Von weiterer Hand wurden die letzten 16 ‚Regulae iuris‘ auf 1ra nachgetragen, die normalerweise dem Liber sextus angehängt sind, hier aber fehlen. Im Liber sextus sehr selten Korrekturen von der Hand des Schreibers der Hs., sowie von anderer, wohl etwas jüngerer Hand. In den Clementinen wenige Anmerkungen und Korrekturen von zeitgenössischen Händen. Insgesamt nur wenige grafische Verweiszeichen.

Einband
Römischer Einband, Pappe mit weißem Pergament überzogen, in Rom um 1940 gefertigt (Schunke, Einbände 2.2, S. 847). Teil des ursprünglichen Rückens auf Vorderspiegel geklebt, darauf ehemaliger Rückentitel: Decretalium liber vi.
Provenienz
Heidelberg.
Geschichte der Handschrift
Altsignaturen auf 2ar 756 und 467 [beide durchgestrichen], auf 1r Capsa-Nummer C. 109., darunter Allacci-Signatur 1836, weitere Altsignatur auf 123* 1758. Blaues Schildchen mit aktueller Signatur auf Vorderspiegel. Offenbar wurden zwischen dem Liber sextus und den Clementinen drei ursprüngliche Lagen wieder entfernt, denn nach Lage X (endet mit fol. 80) folgt Lage XIIII (endet mit fol. 88). Hanselmann bringt den Codex mit den von Kurfürst Ludwig III. 1420 in Paris erworbenen und 1438 dem Heiliggeiststift nach dessen Tod auf testamentarischen Wunsch hin übertragenen Büchern in Verbindung (Hanselmann, Bücherschenkung, S. 125). Allerdings deutet der paläografische Befund auf eine Entstehung in Mitteleuropa hin, weshalb Hanselmanns Überlegungen nicht grundsätzlich abzulehnen, aber doch als eher unwahrscheinlich einzustufen sind. Dass Kuttner die Hs. als eine universitäre einstuft, sei an dieser Stelle erwähnt, muss allerdings aufgrund fehlender Pecienvermerke oder anderer Indizien Vermutung bleiben.

Faksimile
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bav_pal_lat_638
Literatur
Hanselmann, Bücherschenkung, S. 125; Kuttner, Date, S. 437; OVL, Pal.lat.638; Schunke, Einbände 2.2, S. 847; Soetermeer, Origin, S. 109 A. 50; Stevenson, Latini, S. 228; Tarrant, Manuscripts, S. 116, 140.
Verzeichnis der im Katalogisierungsprojekt abgekürzt zitierten Literatur

1) 1ra–80v Digitalisat

Beteiligte Personen
Bonifaz VIII. (GND-Nr.: 118513257).
Titel
Liber sextus.
Angaben zum Text
Auf Veranlassung Papst Bonifaz VIII. von Wilhelm von Mandagout (†1321), Berengar Frédol dem Älteren (um 1250-1323) und Richard Petronius von Siena (1250-1314) kompilierte Dekretalensammlung mit Grußadresse an die Universität Bologna: (1ra) ‚De regulis iuris‘ (unvollständig, nur die letzten 16 ‚Regulae iuris’ vorhanden); (1v) leer; (2ra–2vb) Bulle ‚Sacrosanctae Romanae ecclesiae‘; (2vb–31ra) Liber I; (31ra–39vb) Liber II; (39vb–61rb) Liber III; (61rb–62ra) Liber IV; (62ra–80va) Liber V, Text bricht in 5.12.3 ab.
Rubrik
2ra ›Incipit liber sextus decretalium domini Bonifacij pape VIII.
Incipit
2ra ›Bonifaciusepiscopus seruus seruorum dei dilectis filiis doctoribus et scolaribus vniuersis Bononie commorantibus salutem et apostolicam benedictionem.SacrosancteRomane ecclesie …
Weiteres Initium
1ra Factum legitime retractari non debet licet casus postea veniat a quo non liceat incohari.
Explicit
80va ›… Exiit‹, qui seminat, seminare semen suum, et cetera. Hoc scriptum est longum et est declaratio domini Nycolai pape III. in regulam fratrum Minorum. Ideo hic omittitur, quia apud fratres in suis conuentibus scriptum totaliter reperitur.
Edition
Corpus iuris canonici 2, Sp. 929–1109.

2) 81ra–121rb Digitalisat

Beteiligte Personen
Clemens V. (GND-Nr.: 118723529) / Johannes XXII. (GND-Nr.: 118557912).
Titel
Clementinae.
Angaben zum Text
Von Papst Clemens V. kompilierte Konstitutionen, revidiert und promulgiert von Johannes XII.: (81ra–b) Bulle ‚Quoniam nulla iuris sanctio‘; (81rb–86ra) Liber I; (86ra–93ra) Liber II; (93ra–105va) Liber III; (105va–b) Liber IV; (105vb–121rb) Liber V.
Incipit
81ra ›Iohannesepiscopus seruus seruorum dei dilectis filiis doctoribus et scolaribus vniuersis Bononie commorantibus salutem et apostolicam benedictionem. Quoniam non [!] nulla iuris sanctio …
Explicit
121rb … Si tamen in premissis casibus sollempniis ordo iudiciarius in toto vel in parte non contradicentibus partibus obseruetur: non erit processus propter hoc irritus, nec etiam irritandus. Expliciunt constituciones noue edite a domino Clemente papa quinto. Finis adest operis intercedere posco laboris.
Edition
Corpus iuris canonici 2, Sp. 1125–1200.


Bearbeitet von
Dr. Thorsten Huthwelker, Universitätsbibliothek Heidelberg, 2024.


Zitierempfehlung:


Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 638. Beschreibung von: Dr. Thorsten Huthwelker (Universitätsbibliothek Heidelberg), 2024.


Katalogisierungsrichtlinien
Die Katalogisierungsrichtlinien finden Sie hier.

Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Erschließung von 876 mittelalterlichen und frühneuzeitlichen lateinischen Handschriften der Heidelberger Bibliotheca Palatina in der Vatikanischen Bibliothek in Rom.