Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 640

Liber sextus cum Glossa ordinaria

Pergament · 1, 126, 1 Bll. · 38,8 × 26,3 cm · Frankreich / Südfrankreich, Avignon (?) / Frankreich · 1. Hälfte 14. Jh. / Mitte 14. Jh. / 2. Hälfte 13. Jh.


Schlagwörter (GND)
Kanonisches Recht / Dekretalensammlung / Dekretalen / Liber sextus / Kommentar / Fragment / Römisches Recht / Corpus iuris civilis / Codex Iustinianus.
Typus (Überlieferungsform)
Codex.
Beschreibstoff
Pergament.
Umfang
1, 126, 1 Bll.
Format (Blattgröße)
38,8 × 26,3 cm.
Zusammensetzung (Lagenstruktur)
Hs. mit zwei Fragmenten (I. Bll. 1–2; II. Bll. 3–124; III. Bll. 125–126). (I-1)1a + … + (I-1)127*. Vorderspiegel Gegenbl. von 1a, Hinterspiegel Gegenbl. von 127*.
Seiten-, Blatt- und Lagenzählung
Römische Foliierung des 17. Jhs. (1–127 [127 durchgestrichen]). Vor- und Nachsatzbl. ungez., 2a wohl Falzverstärkung, in römischer Foliierung nicht mitgezählt, weshalb hier Zählung der Digitalisate übernommen wird (1a, 2a, 127*).


Einband
Römischer Einband, Pappe mit weißem Pergament überzogen, in Rom um 1780 gefertigt (Schunke, Einbände 2.2, S. 847). Gelb-kupferfarbenes Kapital. Rückentitel: IOHANNES ANDREÆ in constitutiones pape in librum sextum decretalium, ferner ein blaues aufgeklebtes Schildchen mit der aktuellen Signatur sowie Reste eines weiteren blauen Schildchens.
Provenienz
Padua / Heidelberg.
Geschichte der Handschrift
Vorderspiegel mit blauem Signaturschildchen. Altsignaturen auf 1ar 769 [durchgestrichen], 1r 345, Capsa-Nummer C. 84, darunter die Allacci-Signatur 472, auf 3r 536. Aufgrund des Buchschmucks ist davon auszugehen, dass der Liber sextus in Südfrankreich entstand, wahrscheinlich in Avignon (freundliche Auskunft von Dr. Margit Krenn, s. auch die Bildbeschreibung), obgleich in der Grußadresse Bologna erscheint, was allerdings auf Rasur geschrieben wurde. Wann der Liber sextus mit den beiden Fragmenten vereinigt wurde, ist ungewiss. Offenbar befand sich der Liber sextus ohne die beigebundenen Teile in der ersten Hälfte des 15. Jhs. in Oberitalien, worauf zwei Zollvermerke auf 3rd hindeuten, die aus Padua überliefert sind, wo die Einfuhr von Büchern für Studenten von Gebühren befreit war (Gargan, L’enigmatico ‚conduxit‘, S. 2–12, ohne Nennung der Handschrift): 1419 26 Junii […] sowie MCCCCXXXV die primo Decembris Paulus subscripi. Vielleicht wurde auch erst in dieser Zeit das Wort Bononie in der Grußadresse anstelle einer anderen Universitätsstadt eingefügt. Ursprünglich war wohl 124v mit einem Buchdeckel verklebt worden, ehe noch das Fragment aus einer Hs. mit dem Codex Iustinianus angefügt wurde. Wann dies geschah, ist unklar. In der zweiten Hälfte des 15. Jhs. scheint der Liber sextus zumindest nördlich der Alpen gewesen zu sein. Verschiedene Nachträge entstanden in Schriftarten, die nach Mitteleuropa oder nach Nordfrankreich verweisen. Womöglich war für den alpinen Transfer ein gewisser Nikolaus verantwortlich, sofern man den Eintrag auf 124v als Kaufvermerk interpretieren möchte: D. Nicolaus de Alamania ducatis 6 […].

Faksimile
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bav_pal_lat_640
Literatur
OVL, Pal.lat.640; Schunke, Einbände 2.2, S. 847; Stevenson, Latini, S. 228.
Verzeichnis der im Katalogisierungsprojekt abgekürzt zitierten Literatur

Fragment (Bl. 1–2)

Sachtitel / Inhalt
Kommentar zum Liber sextus (Fragment).
Entstehungsort
Frankreich.
Entstehungszeit
1. Hälfte 14. Jh.
Typus (Überlieferungsform)
Fragment.
Beschreibstoff
Pergament.
Umfang
2.
Format (Blattgröße)
38,8 × 26,3 cm.
Zusammensetzung (Lagenstruktur)
(II-2)2.
Seiten-, Blatt- und Lagenzählung
s. zum Codex.
Zustand
Stockfleckig mit Wurmfraß. Leichter Wasserschaden. Schrift auf 1r teilweise verloren gegangen. Auf 2v Textverlust durch zu enges Beschneiden der Ränder.

Schriftraum
28,5 × 21,7 cm.
Spaltenanzahl
2 Spalten (2r–2v: 4 Spalten).
Zeilenanzahl
Haupttext: 92–95 Zeilen; Klammerglosse: 80–94 Zeilen.
Angaben zu Schrift / Schreibern
Die Schrift des Haupttexts vereint Elemente, wie sie für die nordfranzösischen Formen der Textualis typisch sind, so beispielsweise das lange s, das die Form eines verlängerten c annimmt, wie es in der Littera Parisiensis gebraucht wurde (s. Derolez, Palaeography, S. 100), aber auch Formen, die eher in den Süden verweisen, wie das mit ungebrochenen Schäften auf der Zeile aufsetzende m. Die Hand hingegen, welche die Glosse ausführte, verwendete eine Textura, wie sie für südfranzösische Hss. typisch ist.
Buchgestaltung
Zweispaltig und mittig angelegter Haupttext wird von Klammerglosse umflossen, die allerdings nur teilweise und wenn dann nur unvollständig ausgeführt wurde. Capitula des Haupttexts von rubrizierten Lombarden eingeleitet, zur Markierung der Sinnabschnitte rubrizierte Paragrafenzeichen.
Buchschmuck
s. Buchgestaltung.

Nachträge und Benutzungsspuren
Anmerkungen von verschiedenen Händen. Grafische Verweiszeichen.

Provenienz
Heidelberg.

1) 1ra–2vc Digitalisat

Titel
Kommentar zum Liber sextus (Fragment).
Angaben zum Text
Glossierter Kommentar zum Liber sextus, unter Berücksichtigung der Glossa ordinaria des Johannes Andreae (um 1270–1348), beginnend wahrscheinlich in 1.14.1 und endend im Absatz zu 1.14.12.
Incipit
1ra … [di]plomate viri autem monitum…
Explicit
2vc … Prouintia: Ergo non requirimus quod beneficium sit certum sufficit quod sit persona, licet

(Bl. 3–124)

Sachtitel / Inhalt
Liber sextus cum Glossa ordinaria.
Entstehungsort
Südfrankreich, Avignon (?).
Entstehungszeit
Mitte 14. Jh.
Typus (Überlieferungsform)
Faszikel.
Beschreibstoff
Pergament.
Umfang
122 Bll.
Format (Blattgröße)
38,8 × 26,3 cm.
Zusammensetzung (Lagenstruktur)
8 VI98 + VII112 + VI124.
Seiten-, Blatt- und Lagenzählung
Reklamanten durchgängig auf der letzten Versoseite der Lage mittig auf dem Fußsteg.
Zustand
Auf den ersten Bll. leichter Wasserschaden. Teilweise leichte Feuchtigkeitsschäden und Bräunungen des Pergaments. Schrift des Legaltexts auf den ersten Bll. etwas verblasst.

Schriftraum
28,5 × 21,7 cm.
Spaltenanzahl
4 Spalten.
Zeilenanzahl
Legaltext: 3–51 Zeilen; Klammerglosse: bis zu 89 Zeilen.
Angaben zu Schrift / Schreibern
Die Schrift entspricht der Textualis, wie sie in Südfrankreich zur Mitte des 14. Jhs. gepflegt wurde. Am augenscheinlichsten ist dies am breiten und auch relativ runden Duktus, v.a. des Legaltexts, nachzuvollziehen. Obgleich die Schrift des Legaltexts und der Klammerglosse einen recht standardisierten Eindruck ergeben, könnten sie doch von unterschiedlichen Händen stammen. Selten wurden Korrekturen am Seitenrand angefügt, dafür wurde häufiger auf Rasuren zurückgegriffen.
Buchgestaltung
Zeilengerüst mit Metallstift vorgezogen. Zweispaltig angelegter Legaltext von Klammerglosse umflossen. Legaltext beginnt mit Eingangsminiatur und Initiale, für die Buchanfänge ist Platz für Initialen ausgespart (bis auf 4rb und 69rc), diese wurden aber nicht ausgeführt. Tituli rubriziert, vor jedem Capitulum Lombarde in Blau und Rot mit schlichtem Fleuronné in Gegenfarbe. Im Satz zuvor Person mit Satzmajuskel hervorgehoben, welche die Dekretale formulierte. Ferner farbige Paragrafenzeichen zur Kennzeichnung von Sinnabschnitten. Satzmajuskeln und Paragrafenzeichen alternierend in Blau und Rot. In der Klammerglosse Lombarden und Paragrafenzeichen zur Unterteilung des Texts.
Buchschmuck
Eingangsminiatur auf 3rb stellt den Papst mit Tiara auf dem Haupt, Kreuzstab in der Rechten und Buch in der Linken, auf der Cathedra sitzend dar, umgeben von drei Kardinälen und drei weiteren Personen. Darunter rosa Rankeninitiale auf Goldgrund mit blauen und roten Dornblättern im Binnenfeld, ablaufende goldene Dornblätter. Auf 79vc und 113rb rote Lombarde mit blauen Dreiblattranken im Binnenfeld und blauem Fleuronnéperlenbesatz; auf 100rb Initiale vorgezeichnet, aber nicht vollendet (s. auch die Bildbeschreibung in heidICON).

Nachträge und Benutzungsspuren
Tituli auf den Rectoseiten in der Kopfzeile rechts nachgetragen. Zahlreiche Anmerkungen und Notizen von verschiedenen jüngeren Händen, v.a. in jüngerer gotischer Kursive aus der Mitte bzw. zweiten Hälfte des 15. Jhs. Die Kursiven könnten in Mitteleuropa, wahrscheinlicher aber doch in Frankreich entstanden sein. Ferner viele grafische Verweiszeichen, v.a. Zeigehände.

Provenienz
Padua / Heidelberg.

2) 3ra–123rd Digitalisat

Beteiligte Personen
Bonifaz VIII. (GND-Nr.: 118513257) / Johannes Andreae (GND-Nr.: 119244071).
Titel
Liber sextus cum Glossa ordinaria.
Angaben zum Text
Auf Veranlassung Papst Bonifaz VIII. kompilierte Dekretalensammlung mit der Glossa ordinaria des Johannes Andreae (um 1270-1348) und Grußadresse an die Universität Bologna: (3rb–4rb) Bulle ‚Sacrosanctae Romanae ecclesiae‘; (4rb–53vb) Liber I; (53vb–69rc) Liber II; (69rc–93vb) Liber III; (93vb–94vb) Liber IV; (94vb–112vc) Liber V; (113rb–123rc) ‚De regulis iuris‘. – 123va–124v Kleintexte zur Kanonistik, Federproben und Notizen.
Incipit
3rb ›Bonifaciusepiscopus seruus seruorum dei dilectis filiis doctoribus et scolaribus vniuersis Bononie comorantibus salutem et apostolicam benedictionem.Bonifacius‹: Sacrosancte Romane ecclesie …
Explicit
123rb–c … decretalium domini Bonifacii pape octaui. Amen. Qui scripsit scribat semper cum domino viuat jstum.
Edition
Corpus iuris canonici 2, Sp. 929–1124. Zur Glossa ordinaria des Johannes Andreae existiert keine moderne Edition, sie ist aber bereits in zahlreichen Inkunabeln seit 1465 überliefert (GW 4848–4905).

Fragment (Bl. 125–126)

Sachtitel / Inhalt
Codex Iustinianus cum Glossa ordinaria (Fragment).
Entstehungsort
Frankreich.
Entstehungszeit
2. Hälfte 13. Jh.
Typus (Überlieferungsform)
Fragment.
Beschreibstoff
Pergament.
Umfang
2 Bll.
Format (Blattgröße)
38,8 × 26,3 cm.
Zusammensetzung (Lagenstruktur)
I126.
Seiten-, Blatt- und Lagenzählung
s. zum Codex.
Zustand
Mannigfache Benutzungsspuren. Auf 125 Textverlust durch zu enges Beschneiden der Ränder, 126v stark ausgeblichen mit Textverlust.

Schriftraum
28,5 × 21,7 cm.
Spaltenanzahl
4 Spalten.
Zeilenanzahl
Legaltext: 43–46 Zeilen; Klammerglosse: bis zu 90 Zeilen.
Angaben zu Schrift / Schreibern
Die Schrift des Legaltexts zeigt typische Elemente der in Südfrankreich gepflegten Textualis. Die Hand, welche die Glosse niederschrieb, zeigt hingegen verstärkt Charakteristika der nordfranzösischen Textura.
Buchgestaltung
Zeilengerüst mit Metallstift vorgezogen. Legaltext wird von Klammerglosse umflossen. Tituli rubriziert. Inskriptionen werden mit Versalie, Konstitutionen mit Satzmajuskel eingeleitet. Versalien und Satzmajuskeln in Blau und Rot alternierend. Verweiszeichen stellen Zuordnung der Glosse zum Legaltext her.
Buchschmuck
s. Buchgestaltung.

Nachträge und Benutzungsspuren
Anmerkungen von mehreren Händen.

Provenienz
Heidelberg.

3) 125ra–126vd Digitalisat

Beteiligte Personen
Justinian I. (GND-Nr.: 11855896X) / Accursius (GND-Nr.: 100956599).
Titel
Codex Iustinianus cum Glossa ordinaria.
Angaben zum Text
Von Kaiser Justinian I. in Auftrag gegebene Rechtssammlung mit der Glossa ordinaria des Accursius (um 1185-1263): (125rb–126vc) Text beginnt in Cod. 8.17.3, endet auf 125vc in Cod. 8.21.2, beginnt auf 126rb in Cod. 8.47.2 und endet mit Cod. 8.48.1.
Incipit
125rb … [ante]quam rei publice obligaretur, sicut prior es tempore, ita pocior iure
Explicit
126vc … Si lex municipii, in quo te pater emancipauit, potestatem duumuiris dedit, [ut eciam] alienigene liberos suos emancipare possint, id quod a patre factum est suam obtinet firmitatem
Edition
Codex, Lyon 1627, Sp. 2117–2251.


Bearbeitet von
Dr. Thorsten Huthwelker, Universitätsbibliothek Heidelberg, 2024.


Zitierempfehlung:


Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 640. Beschreibung von: Dr. Thorsten Huthwelker (Universitätsbibliothek Heidelberg), 2024.


Katalogisierungsrichtlinien
Die Katalogisierungsrichtlinien finden Sie hier.

Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Erschließung von 876 mittelalterlichen und frühneuzeitlichen lateinischen Handschriften der Heidelberger Bibliotheca Palatina in der Vatikanischen Bibliothek in Rom.