Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 641

Kanonistische Sammelhandschrift

Papier · 2, 215, 3 Bll · 30,4–30,7 × 21,7–22 cm · Hain (?) · um 1410


Schlagwörter (GND)
Kanonisches Recht / Dekretalensammlung / Dekretalen / Liber sextus / Kanonischer Prozess.
Entstehungsort
Hain (?).
Entstehungszeit
um 1410.
Typus (Überlieferungsform)
Codex.
Beschreibstoff
Papier.
Umfang
2, 215, 3 Bll.
Format (Blattgröße)
30,4–30,7 × 21,7–22 cm.
Zusammensetzung (Lagenstruktur)
(I-1) 1a + (VI+1)11 + 17 VI214 + (II-1)217. Zählfehler: auf 146 folgt ungez. Bl. Vorderspiegel Gegenbl. von 1a, Hinterspiegel Gegenbl. von 215*.
Seiten-, Blatt- und Lagenzählung
Foliierung in arabischen Ziffern (1–214). Bll. B und C nachträglich foliiert. Weitere Vor- und Nachsatzbll. ungez., weshalb hier, wie beim ungez. Bl., Zählung der Digitalisate übernommen wird (1a, 146a, 215*–217*). Zuweilen Kustode auf der letzten Versoseite der Lage auf Fußsteg rechts und auf erster Rectoseite der Lage auf Fußsteg links, zum ersten Mal auf 59v/60r, zum letzten Mal auf 95v/96r.
Zustand
Auf den ersten Bll. Wasserschaden an der oberen Ecke. Leichte Gebrauchsspuren.
Wasserzeichen
Glocke ohne Beizeichen, Glockenkörper ohne Schulter, Glockenmund einkonturig, ohne Joch, mit Klöppel, in zwei Varianten, auf Bll. 1, 3, 4, 13–21, 30–31, vergleichbar mit Wzz. von Papieren, die laut WZIS in der 2. Hälfte des 15. Jhs. in Deutschland Verwendung fanden, DE4860-Ms1199_114, auf Bll. 2, 6, 16, 23–27, 33, vergleichbar mit Wzz. von Papieren, die laut WZIS 1406 in München beschrieben wurden, DE5925-PO-40134; Ochsenkopf mit Augen und rundem Kinn, mit einkonturiger Stange und sechs Blütenblättern als Oberzeichen, in sechs Varianten, auf Bl. 35, vergleichbar mit Wzz. von Papieren, die 1409 beschrieben wurden, DE7320-PO-67423, auf Bll. 108, 133–134, 145, 147, 157–158, 161–167, 185–188, 194 sowie auf 118–132, 137, 140, 146, 156 sowie auf 139, 159, 169, 175, 202, ohne Übereinstimmung mit WZIS, auf Bll. 114–116, 204–205, 209 vergleichbar mit Wzz. von Papieren, die laut WZIS zwischen 1401 und 1425 im Raum Nürnberg Verwendung fanden, DE0510-CodI32_5_XXXX, auf Bll. 172, 174, 192, ähnlich Wzz. von Papieren, die 1409 in Nürnberg verwendet wurden, DE6405-PO-65380; Horn, senkrecht / schräg, ohne Beizeichen, mit einfachem Band, Band nur oberhalb des Horns sichtbar, Schallbecher zweidimensional, in drei Varianten, auf Bll. 36, 44, 59, 64–72, 80–81, 93–102, 105, ähnlich Wzz. von Papieren, die 1411 in Regensburg beschrieben wurden, DE7125-PO-119778, auf Bll. 40, 84, 106, annähernd identisch mit Wzz. von Papieren, die 1411 in Regensburg Verwendung fanden, DE7125-PO-119778, auf Bll. 45–56, 60–63, 76–78, 82, 87–89, 104, annähernd identisch mit Wzz. von Papieren, die 1411 in Regensburg verwendet wurden, DE7125-PO-119777.

Schriftraum
19,2–24,4 × 11,2–15,4 cm.
Spaltenanzahl
2 Spalten.
Zeilenanzahl
35–49 Zeilen.
Angaben zu Schrift / Schreibern
Die beiden Haupttexte stammen nach Auskunft des Kolophons, das den letzten Text abschließt, und einem Vergleich der beiden Texte von der Hand des Nikolaus Ylow. Er bediente sich der jüngeren gotischen Kursive. Der Duktus der Schrift variiert, dennoch lässt sich allgemein die Betonung des Vertikalen in der Form der Buchstaben als Charakteristikum feststellen, die dadurch relativ hoch und schmal wirken. Darüber hinaus verwendete Nikolaus Ylow zahlreiche Kürzungen.
Buchgestaltung
Schriftspiegel mit Metallstift vorgezogen. Im Liber sextus Tituli rubriziert, jedem Capitulum rote Lombarde vorangestellt. Im Satz zuvor Person mit roter Satzmajuskel hervorgehoben, welche die Dekretale formulierte. Ferner farbige Paragrafenzeichen zur Kennzeichnung von Sinnabschnitten. Im Ordo iudiciarius Unterteilung der Sinnabschnitte anhand von Rubrizierungen, Lombarden und Paragrafenzeichen.
Buchschmuck
Initialen auf 108ra erinnern an Fleuronnéinitialen, mit gewelltem Buchstabenkörper und Perlenbesatz.

Nachträge und Benutzungsspuren
Offenbar versah Nikolaus Ylow die beiden Haupttexte mit Korrekturen, Ergänzungen und Anmerkungen. Die juristischen Kleintexte zwischen den beiden Haupttexten wurden offenbar später, ebenfalls in jüngerer gotischer Kursive, aber von einer anderen Hand, nachgetragen. Im Liber sextus wurden nachträglich die Tituli in die Kolumnentitel und die Ziffern zum jeweiligen Kapitel auf dem Seitensteg, im Ordo iudiciarius die Ziffern, welche die einzelnen Teile anzeigen, im Seitentitel, zuweilen auch Verweise auf die Tituli, eingefügt. Zudem finden sich diverse grafische Verweiszeichen, v.a. in Form von Zeigehänden.

Einband
Römischer Einband, Pappe mit weißem Pergament überzogen, in Rom um 1780 gefertigt (Schunke, Einbände 2.2, S. 847). Gelb-kupferfarbenes Kapital. Rückentitel: In VI. decretalium et Tancredi de ordine iudiciario, ferner zwei blaue aufgeklebte Schildchen mit der aktuellen Signatur.
Provenienz
Borna / Heidelberg.
Geschichte der Handschrift
Vorderspiegel mit blauem Signaturschildchen. Altsignaturen auf 1ar 785 [durchgestrichen], auf Br Capsa-Nummer C. 64, darunter Allacci-Signatur 1679, auf Cr 500 [durchgestrichen]. Wie der Kolophon auf 214rb nahelegt, wurde die Hs. im Februar 1410 von Nikolaus Ylow vollendet: ›Scripta‹ [durchgestrichen: et finita] anno domini M. CCCC° decimo, prima die mensis Februarij, finita per manus Nicolay Ylow de Prittin, Missensis dyocesis, presbyteri Heinensis daret [?] Iohanni de Madala nunc archipresbyteri sedis Bornensis cui idem Nicolaus Ylow seruiuit et scripsit. Nikolaus Ylow, gebürtig aus Prettin (Lkr. Wittenberg), immatrikulierte sich 1414 an der Universität Leipzig. Zwischen 1429–1439 ist er als Kanoniker und Kustos des Kollegiatstifts St. Petri zu Bautzen nachweisbar (Das Kollegiatstift St. Petri zu Bautzen von der Gründung bis 1569, bearb. von Hermann Kinne, hrsg. von der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen unter der Leitung von Hedwig Röckelein, Berlin 2014 [Germania sacra 3,7. Die Bistümer der Kirchenprovinz Magdeburg, Das (exemte) Bistum Meißen 1], S. 848f.). Offenbar hatte er zuvor als Priester, wahrscheinlich zu Hain (abgegangen, Lkr. Leipzig), den Liber sextus sowie den Ordo iudiciarius des Tankred von Bologna für einen gewissen Johannes von Magdala, Erzpriester, wahrscheinlich zu Borna (Lkr. Leipzig), kopiert. Später dürften die Kleintexte auf den Bll. zwischen diesen beiden Werken ergänzt worden sein. 1447 schließlich wurde der Codex von einem gewissen Thoman de Gunteten erworben (Cr): Emptus fuit iste liber pro duobus Florinensi [!] per me magistrum Thoman de Gunteten anno domini m cccc xlvii. Ein weiterer Eintrag aus dem 15. Jh. auf derselben Seite steht mit dem Domstift Meißen in Zusammenhang.

Faksimile
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bav_pal_lat_641
Literatur
Martin Bertram / Marguerite Duynstee, ‚Casus legum sive Suffragia monachorum‘. Legistische Hilfsmittel für Kanonisten im späteren Mittelalter, in: TvR 51 (1983), S. 317–363, hier S. 332 A. 92; OVL, Pal.lat.641; Schunke, Einbände 2.2, S. 847; Stevenson, Latini, S. 228f.
Verzeichnis der im Katalogisierungsprojekt abgekürzt zitierten Literatur

1) 1ra–102ra Digitalisat

Beteiligte Personen
Bonifaz VIII. (GND-Nr.: 118513257).
Titel
Liber sextus.
Angaben zum Text
Auf Veranlassung Papst Bonifaz VIII. kompilierte Dekretalensammlung mit der Grußadresse an die Universität Bologna: (1ra–1vb) Bulle ‚Sacrosanctae Romanae ecclesiae‘; (1vb–31vb) Liber I; (31vb–42ra) Liber II; (42ra–65va) Liber III; (65va–66va) Liber IV; (66va–100va) Liber V; (100va–102ra) ‚De regulis iuris‘. – Cr Inhaltsverzeichnis. – Cv leer. – 102ra–102vb Inhaltsverzeichnis zum Liber sextus.
Rubrik
1r Jncipit liber sextus.
Incipit
1ra ›Bonifaciusepiscopus seruus seruorum dei dilectis filijs doctoribus et scolaribus vniuersis Bononie commorantibussalutemet apostolicam benedictionem.Sacrosancte Romane ecclesie …
Explicit
102ra … Certum est, quod is committit in legem, qui, legis uerba conplectens, contra legis nititur voluntatem. [D]ate sunt he Rome […] v. Nonas Maetij [!] pontificatus nostri anno quarto.
Edition
Corpus iuris canonici 2, Sp. 929–1124.

2) 103ra–107rb Digitalisat

Titel
Kleintexte.
Angaben zum Text
Kleintexte juristischen Inhalts. – 107v leer.
Rubrik
103r De causa possessionis et proprietatis pastoralis adipiscende. G.
Incipit
103ra Nota: Triplex est iudicium possessorium
Explicit
107rb … intelliguntur de hiis que populum non habeant.

3) 108ra–214rb Digitalisat

Verfasser
Tankred von Bologna (GND-Nr.: 100961770).
Titel
Ordo iudiciarius.
Angaben zum Text
Ordo iudiciarius mit ‚Casus legum super ordinarium‘ (s. Bertram / Duynstee, Legistische Hilfsmittel, S. 332 A. 92): (108ra–129rb) Pars I; (129rb–164ra) Pars II; (164ra–196va) Pars III; (196va–214rb) Pars IV; (214va–b) Inhaltsverzeichnis.
Incipit
108ra Assiduis petitionibus me, socij mei karissimi iam dudum inducere studuistis
Explicit
214rb … Hec tam de in integrum restitutionibus, quam de ceterum articulum, in presenti opusculo comprehensum, ad rudicum instructionem breuiter dixisse sufficiant.Explicitsumma magistri Tancredi canonici Bononiensis. Orate pro eo. [Es folgt der Kolophon, welcher oben in der ‚Geschichte der Handschrift‘ zitiert wird].
Edition
Pillii, Tancredi, Gratiae. Libri de iudiciorum ordine, hrsg. von Friedrich C. Bergmann, Göttingen 1842 (ND 1965), S. 87–316.


Bearbeitet von
Dr. Thorsten Huthwelker, Universitätsbibliothek Heidelberg, 2024.


Zitierempfehlung:


Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 641. Beschreibung von: Dr. Thorsten Huthwelker (Universitätsbibliothek Heidelberg), 2024.


Katalogisierungsrichtlinien
Die Katalogisierungsrichtlinien finden Sie hier.

Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Erschließung von 876 mittelalterlichen und frühneuzeitlichen lateinischen Handschriften der Heidelberger Bibliotheca Palatina in der Vatikanischen Bibliothek in Rom.