Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 652

Bernhard von Pavia, Compilatio prima cum glossa

Pergament · 1, 63, 1 Bll. · 29,3 × 19,5 cm · England · 1193/1194


Schlagwörter (GND)
Kanonisches Recht / Dekretalensammlung / Dekretalen.
Entstehungsort
England.
Entstehungszeit
1193/1194.
Typus (Überlieferungsform)
Codex.
Beschreibstoff
Pergament.
Umfang
1, 63, 1 Bll.
Format (Blattgröße)
29,3 × 19,5 cm.
Zusammensetzung (Lagenstruktur)
(I-1)1a + 1A + 3 IV24 + II28 + I30 + IV38 + II42 + III48 + IV56 + III62 + (I-1)63*. Vorderspiegel Gegenbl. von 1a, Hinterspiegel Gegenbl. von 63*.
Seiten-, Blatt- und Lagenzählung
Römische Foliierung des 17. Jhs. (1–62). Vor- und Nachsatzbl. ungez., weshalb hier Zählung der Digitalisate übernommen wird (1a, 63*). Kustoden auf der ersten Rectoseite der Lage auf dem Fußsteg links mit Metallstift geschrieben (beginnend mit der hier als zweiten Lage bezeichneten auf 9r, fehlt auf 29r, 31r, 39r), 42v Reklamant. Ursprünglicher Lagenverbund zwischen Bll. 25 und 43 gestört. Auf 25r beginnt Lage IIII, auf 43r Lage VI. Auf 35r wird Anfang der Lage V angezeigt.
Zustand
Seiten abgegriffen, zahlreiche Flecken und Benutzungsspuren, leichter Wasserschaden am oberen Blattrand.

Schriftraum
17,8 × 10 cm; 17,8 × 16,5 cm (mit Kommentaren).
Spaltenanzahl
2 Spalten.
Zeilenanzahl
46–50 Zeilen.
Angaben zu Schrift / Schreibern
Die ersten vier Bücher schrieb eine Hand in einer Textura, wie sie für westeuropäische Schreiber um 1200 typisch war. Mit Beginn des Liber V scheint eine andere Hand übernommen zu haben, die ähnlich in der Ausgestaltung der Buchstaben war, allerdings einen breiteren Duktus pflegte und die Winkel nicht so stark ausprägte. Ab 60va scheinen weitere, ähnliche Hände übernommen zu haben. Jene Hand, welche für die Ausführung des Glossenfragments auf 1r–8v verantwortlich zeichnete und den übrigen Text mit Anmerkungen versah, schrieb in etwa zeitgleich, vielleicht ein wenig später und dürfte in England gewirkt oder zumindest dort das Schreiben gelernt haben. Dafür sprechen das Majuskel-S am Wortanfang sowie an ebensolcher Stelle das Majuskel-R (Derolez, Palaeography, S. 91–93). Ferner finden sich bereits Elemente, die auf eine Entwicklung hin zur Anglicana weisen, wie der unter die Grundlinie gezogene Schaft des r oder zuweilen auch schon die charakteristische Schlaufe des d, welche gegen den Uhrzeigersinn ausgeführt wird (Derolez, Palaeography, S. 137f.), und vom Schreiber des Registers verwendet wurde.
Buchgestaltung
Zeilengerüst mit Metallstift vorgezogen. Als Seitentitel auf der Versoseite ein L in Rot für ‚Liber‘, auf der Rectoseite die dem jeweiligen Buch zugeordnete Ziffer in Blau bzw. Rot und Blau. Jedes Buch beginnt mit einer blauen Initialgruppe, verziert mit rotem Fleuronné. Rubriken zu den Büchern, Tituli rubriziert und als Abkürzung auf Bund- bzw. Seitensteg wiedergegeben. Capitula alternierend mit blauen und roten Lombarden eingeleitet. Im Satz zuvor Autorität mit Satzmajuskel in Gegenfarbe hervorgehoben, welche die Dekretale formulierte. Paragrafenzeichen in Blau, Zeilenfüller in Rot.
Buchschmuck
s. Buchgestaltung.

Nachträge und Benutzungsspuren
Tituli, Register sowie Anmerkungen von mehreren jüngeren Händen nachgetragen. Distinktionen und grafische Verweiszeichen. 39v größere Rasur.

Einband
Römischer Einband, Pappe mit weißem Pergament überzogen, in Rom um 1780 gefertigt (Schunke, Einbände 2.2, S. 847). Gelb-kupferfarbenes Kapital. Auf dem Vorderdeckel in Blau aktuelle Signatur. Rückentitel: Bernardus Papiensis decretalium breuiarium, darunter: Pal. Ferner zwei blaue aufgeklebte Schildchen mit aktueller Signatur, unteres größtenteils abgerissen.
Provenienz
Heidelberg.
Geschichte der Handschrift
Blaues Schildchen mit aktueller Signatur auf Vorderspiegel. Altsignaturen auf 1ar 749 [durchgestrichen], Ar Capsa-Nummer C. 78 und 585 [durchgestrichen], 1r 585, 62r 513. Die Hs. dürfte 1193/1194 entstanden sein, was Gérard Fransen anhand von nachträglich eingefügten Kapiteln erschließen konnte (Fransen, Les diverses formes, S. 246, 249, 253). Als möglicher Herstellungsort kommt dafür England in Betracht. Zwar weist der eigentliche Text in der Schriftgestaltung noch keine typisch englischen Eigenheiten auf. Allerdings erhielt dieser in etwa zeitgleich einen Kommentar eines englischen Rechtsgelehrten von einer Hand, die durchaus englische Eigenheiten aufweist. Auch die Hände, welche jüngere Anmerkungen vornahmen, verweisen nach England. Schließlich wurden dem eigentlichen Text des Bernhard von Pavia offenbar nachträglich noch weitere Dekretalen angefügt, worunter sich päpstliche Schreiben finden, die an englische Prälaten entsandt wurden (61ra Erzdiakon von Richmond, 61va–b Bischof von Ely). Diese Ergänzungen dürften bis zur Mitte des 13. Jhs. vorgenommen worden sein, schließlich verstarb mit Coelestin IV. der jüngste genannter Päpste im Jahr 1241. Über Marsilius von Inghen (1335/1340-1396) könnte der Codex nach Heidelberg gelangt sein, findet sich doch im Verzeichnis seiner der Universiät vermachten Bücher der passende Eintrag: Item antiqua compilacio decretalium, que incipit: Iuste iudicate (Rektorbücher 1, S. 487). Darüber hinaus wird aber auch in der Bücherschenkung Kurfürst Ludwigs III. von 1421/1438 zugunsten des Heiliggeiststifts ein solches Werk genannt (Hanselmann, Bücherschenkung, S. 125). Im Katalog der Heidelberger Bibliotheken von 1466 als Hs. des Heiliggeistifts nachweisbar ist ein Breuiarium decretalium Bernhardi prepositi Papiensis in pergameno (Heidelberg, UB, Heid. Hs. 47, 58v), im Katalog der Bibliothek in der Heiliggeistkirche von 1581 findet sich ein Breuiarium extrauagantium Bernhardi prepositi Papiensis 1180, geschrieben perment, bretter, rott leder, bucklen, in folio (Pal. lat. 1945, 7).

Faksimile
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bav_pal_lat_652
Literatur
BioBib Jurists, Compilatio prima (a167); BioBib Jurists, Ricardus Anglicus (a483); Gérard Fransen, La tradition manuscrite de la ‚Compilatio Prima‘, in: Proceedings of the Second International Congress of Medieval Canon Law. Boston college, 12–16 August 1963, hrsg. von Stephan Kuttner / J. Joseph Ryan, Vatikanstadt 1965 (Monumenta iuris canonici, Series C, Subsidia 1), S. 55–62, hier S. 57, 59; Gérard Fransen, Les diverses formes de la Compilatio Prima, in: Scrinium Lovaniense. Mélanges historiques, historische opstellen, Festschrift für Étienne van Cauwenbergh, Gembloux 1961 (Recueil de travaux d’histoire et de philologie 4,24), S. 235–253, hier passim; Augusto Gaudenzi, La costituzione di Onorio II sul giuramento di Calunnia e la lombarda legge imperiale di Enrico V., in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 14 (1911), S. 267–286, hier S. 285 A. i; Hanselmann, Bücherschenkung, S. 125; Kuttner, Repertorium, S. 325, 344; Kuttner u. a., Institute of Research and Study in Medieval Canon Law: Bulletin for 1956, in: Traditio 12 (1956), S. 557–622, hier S. 561; Charles Lefebvre, Recherches sur les manuscrits des glossateurs de la Compilatio Ia: l’œuvre de Ricardus Anglicus, in: Congrès de Droit Canonique Médiéval, Louvain et Bruxelles, 22–26 Juillet 1958, Löwen 1959 (Bibliothèque de la Revue d’histoire ecclésiastique 33), S. 137–150; Charles Lefebvre, Les gloses à la „Compilatio 1ª“ du Ms. Pal. lat. 652 de la Bibliothèque Vaticane, in: Studia Gratiana 20 (1976), S. 137–156; OVL, Pal.lat.652; Kenneth Pennington, Decretal Collections 1190–1234, in: The History of Medieval Canon Law in the Classical Period, 1140–1234. From Gratian to the Decretals of Pope Gregory IX, hrsg. von Wilfried Hartmann / Kenneth Pennington, Washington, D.C. 2008, S. 293–317, hier S. 305 A. 58; Schunke, Einbände 2.2, S. 847; Stevenson, Latini, S. 231.
Verzeichnis der im Katalogisierungsprojekt abgekürzt zitierten Literatur

1) Ar–vb Digitalisat

Titel
Kleintexte, Federproben.

2) 1ra–62v Digitalisat

Verfasser
Bernhard von Pavia (GND-Nr.: 100938671).
Titel
Compilatio prima cum glossa.
Angaben zum Text
Text, auch als ‚Breviarium extravagantium‘ oder ‚Compilatio prima antiqua‘ bekannt, von 1r–8v mit Fragment einer Glossenschicht, die überwiegend Kommentare des Richard de Morins (um 1162–1242) enthält. Ab 60rb scheinen Ergänzungen angefügt worden zu sein (u. a. Dekretalen der Päpste Innozenz III. und Coelestin IV.): (1ra–12va) Liber I; (12va–23va) Liber II; (23va–38vb) Liber III; (38vb–48rb) Liber IV; (48v) leer; (49ra–62rb) Liber V; (62va–b) Register.
Rubrik
1rb ›Jncipit breuiarium decretalium Bernardi prepositi Papiensis‹.
Incipit
1ra ›Iuste iudicatefilii hominum et nolite iudicare secundum faciem, sed iustum iudicium iudicate, ut ostendatis uos diligere iusticiam, qui iudicatis terram, illum pre oculis cordis habentes, qui reddet unicuique secundum opera sua …
Explicit
62rb … Ad quod respondemus, quod nisi force indulgencia pape sicut expressum suo episcopo inconsulto non licet introire, que per indulgentiam huiusmodi episcopali iuri credimus derogari.
Edition
Quinque compilationes antiquae nec non collectio canonum Lipsiensis, hrsg. von Emil Friedberg, Leipzig 1882 (ND Graz 1956), S. 1–65; Das Glossenfragment ist ediert in Lefebvre, Les gloses, S. 141–156.


Bearbeitet von
Dr. Thorsten Huthwelker, Universitätsbibliothek Heidelberg, 2024.


Zitierempfehlung:


Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 652. Beschreibung von: Dr. Thorsten Huthwelker (Universitätsbibliothek Heidelberg), 2024.


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Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Erschließung von 876 mittelalterlichen und frühneuzeitlichen lateinischen Handschriften der Heidelberger Bibliotheca Palatina in der Vatikanischen Bibliothek in Rom.