Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 673

Zusammengesetzte kanonistische Handschrift

Papier · 3, 214, 3 Bll. · 28,8–29,8 × 21–21,8 cm · Frankreich (?) / Mitteleuropa / Italien (?) · 1330er/1340er Jahre / um 1340 / 1422–1423


Schlagwörter (GND)
Kanonisches Recht / Dekretalensammlung / Dekretalen / Liber extra / Vorlesung / Exkommunikation / Interdikt / Absolution / Rechnungslegung.
Typus (Überlieferungsform)
Codex.
Beschreibstoff
Papier.
Umfang
3, 214, 3 Bll.
Format (Blattgröße)
28,8–29,8 × 21–21,8 cm.
Zusammensetzung (Lagenstruktur)
Hs. aus drei Faszikeln zusammengesetzt (I. Bll. A–206; II. Bll. 110b–112a; III. Bll. 165–166). (II-1)3a + … + (II-1)209*. Vorderspiegel Gegenbl. von 3a, Hinterspiegel Gegenbl. von 207*. Zählfehler: ungez. Bl. nach 16, 71, 163, zwei ungez. Bll. nach 69, 109.
Seiten-, Blatt- und Lagenzählung
Römische Foliierung des 17. Jhs. (A, 1–206), sowie ältere Foliierung in lateinischen Ziffern (I-CCVIJ). Die Beschreibung richtet sich nach der römischen Foliierung, die auch die Grundlage für die Zählung der Digitalisate bot. Ungez. Vor- und Nachsatzbll. richten sich nach Zählung der Digitalisate (1a–3a, 207*–209*), wie auch weitere ungez. Bll. (16a, 70a–70b, 71a, 110a, 110b, 112a, 139a, 163a). 36v–124v durchgängig mit Köpfen oder Figuren verzierte Reklamanten auf der letzten Versoseite der Lage auf dem Fußsteg rechts (nicht auf leeren Seiten 98v, 112av). 98v, 167v Reste einer Lagenzählung in Blei?
Zustand
Die ersten und letzten Bll. an Rändern beschädigt. Die ersten zudem mit Wurmlöchern, die letzten mit Wasserschaden, Papier bei Restaurierung angefasert. Ansonsten stockfleckig, v.a. an den Rändern. Zahlreiche Tintenflecken. Bll. 1, 63, 87, 90–92, 98, 139–141, 182–183, ab 192 Wasserschäden.


Einband
Römischer Einband, Pappe mit weißem Pergament überzogen, in Rom um 1780 gefertigt (Schunke, Einbände 2.2, S. 847). Gelb-kupferfarbenes Kapital. Auf wurmstichigen Buchrücken zwei blaue aufgeklebte Schildchen mit aktueller Signatur, darunter Rückentitel: Lectura in Decretalibus.
Provenienz
Heidelberg.
Geschichte der Handschrift
Auf Vorderspiegel blaues Schildchen mit aktueller Signatur, auf 1ar neben aktueller Signatur Altsignatur 742 [durchgestrichen] und ein Fragment, das zwischen 103 und 104 gefunden wurde, auf 3ac aktuelle Signatur in Blei, auf Ar Capsa-Nummer C. 177 und Altsignaturen 1974 [durchgestrichen] und 476, letztere erneut auf 1r. Die ersten beiden Faszikel dürften in den 1330er/1340er Jahren entstanden sein. Während der erste, Vorlesungsmitschriften zum Liber extra beinhaltend, eher nach Frankreich weist, dürfte der zweite, ein Traktat des Bérenger Frédol d. Ä., eher im Heiligen Römischen Reich entstanden sein. Da beide Teile zeitnah zusammengeführt wurden, wie die zeitgenössische Foliierung zeigt, ist als Erstbesitzer beispielweise an eine Person aus dem universitären Milieu zu denken, die in Frankreich studierte und schließlich nach Mitteleuropa migrierte. Wann der dritte Faszikel dazustieß, ist unklar.

Faksimile
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bav_pal_lat_673
Literatur
OVL, Pal. lat. 673; Schunke, Einbände 2.2, S. 847; Stevenson, Latini, S. 239.
Verzeichnis der im Katalogisierungsprojekt abgekürzt zitierten Literatur

Faszikel I (Bl. A–206)

Sachtitel / Inhalt
Lectura decretalium Gregorii IX.
Entstehungsort
Frankreich (?).
Entstehungszeit
1330er/1340er Jahre.
Typus (Überlieferungsform)
Faszikel.
Beschreibstoff
Papier.
Umfang
112 Bll.
Format (Blattgröße)
28,8–29,8 × 21–21,8 cm.
Zusammensetzung (Lagenstruktur)
(XIV-2)24 + 3 VI60 + 2 X98 + VI110a (eingeschoben Faszikel II) + VI124 + 2 IV139a + (IV-1)146 + ([XII-2)167 (eingeschoben Faszikel III) + V177 + (II-1)180 + (XIV-2)206.
Seiten-, Blatt- und Lagenzählung
s. zum Codex.
Wasserzeichen
Axt / Beil / Hacke, auf Bl. 1, ohne Übereinstimmung mit WZIS. Glockenkörper mit Schulter, Glockenmund einkonturig, mit Joch, in zwei Varianten, auf Bll. 25, 29, 35, ähnlich Wzz. von Papieren, die laut WZIS 1333 in Bologna Verwendung fanden, IT1185-PO-41098; auf Bll. 31–34, ohne Übereinstimmung mit WZIS; Glockenkörper ohne Schulter, Glockenmund einkonturig, ohne Joch, mit Klöppel, in zwei Varianten, auf Bll. 62–78, 85, 89, 95–96, 128, vergleichbar mit Wzz. von Papieren, die laut WZIS 1343 in Tirol beschrieben wurden, DE5910-PO-40671; auf Bll. 79–83, 86, 90–93, vergleichbar mit Wzz. von Papieren, die laut WZIS 1362 in Romerio verwendet wurden, IT1650-PO-41003. Zweikonturige Blume, Stängel ohne Blätter, Blüte ohne Stempel, auf Bll. 37–54, ähnlich Wzz. von Papieren, die laut WZIS 1330 in Bologna Verwendung fanden, IT1185-PO-127027. Raubvogel, Beine zweikonturig, in zwei Varianten, auf Bll. 101–103, 109, vergleichbar mit Wzz. von Papieren, die laut WZIS 1340 in Bologna beschrieben wurden, IT1185-PO-42203; auf Bll. 105–107, vergleichbar mit Wzz. von Papieren, die laut WZIS 1336 in Lucca verwendet wurden, IT5025-PO-42202. Einkonturige Armbrust, Schaft und Bogen einkonturig, senkrecht, mit Steigbügel, auf Bll. 114–124, ohne Übereinstimmung mit WZIS. Herz-Kranz, auf Bll. 126, 130–137, 150–205 ohne Übereinstimmung mit WZIS. Horn, senkrecht / schräg, mit einfachem Band nur oberhalb des Horns sichtbar, Schallbecher zweidimensional, auf Bll. 143–146, ohne Übereinstimmung mit WZIS.

Schriftraum
19,6–24 × 14–18 cm.
Spaltenanzahl
1 Spalte (181r–206v: 2 Spalten).
Zeilenanzahl
37–52 Zeilen.
Angaben zu Schrift / Schreibern
Mehrere Hände schrieben den Faszikel, wobei auch verschiedene Schriften Verwendung fanden, die allerdings selten eindeutig einzuordnen sind. Neben einer älteren gotischen Kursive finden sich diverse Übergangsformen hin zur Bastarda und jüngeren gotischen Kursive, z.T. auch mit Elementen einer Kanzleikursiven versehen.
Buchgestaltung
Teils Zeilengerüst mit Metallstift, teils Schriftraum mit Metallstift oder Tinte vorgezogen. Abgekürzte Tituli als Seitentitel nicht durchgängig. Tituli meist als Überschriften im Fließtext, gerne mit Köpfen verziert. Zuweilen Paragrafenzeichen wie Versalien den Kapitelüberschriften vorgeschaltet. Anfangsworte der Kapitel in gotischer Minuskel in vergrößerten Buchstaben.
Buchschmuck
s. Buchgestaltung.

Nachträge und Benutzungsspuren
Anmerkungen, Korrekturen und Verweise von mehreren Händen mit zum Haupttext vergleichbaren Schriften. Zahlreiche grafische Verweiszeichen, insbesondere in Form von Köpfen.

Provenienz
Heidelberg.
Geschichte des Faszikels
Auskunft über die Herkunft und den Entstehungskontext des Faszikels kann der Kolophon auf 24v geben, der die erste Lage beschließt: Expliciunt reportata quarti libri decretalium, scripta a Guillelmo de Valle, clerico Leonensis Dyocesis. Es handelt sich hierbei um einen Kleriker der Diözese Saint-Pol-de-Léon in der Bretagne, der, wie das Verb ‚reportare‘ zu verstehen gibt (Jan Frederik Niermeyer, Mediae latinitatis lexicon minus, Bd. 2, M–Z, Darmstadt 2002, S. 1187), eine Vorlesungsmitschrift anfertigte. Beim Aufbau des Faszikels ist ferner die häufige Übereinstimmung von Lagen- und Schreiberwechsel zu beobachten, weshalb davon auszugehen ist, dass hier bestimmte Vorlesungsmitschriebe zum Liber extra, vielleicht an einer französischen Universität, gesammelt und vereinigt wurden. Da bei einigen Randbemerkungen ein, wenn auch nur geringer Textverlust zu beklagen ist, dürfte der Faszikel neu gebunden und dabei auch neu beschnitten worden sein. Ein weiterer Kolophon auf 132r kann hingegen nur wenige weitere Hinweise geben: Qui me scribebat Eberhardus nomen habebat.

1) 1r–206vb Digitalisat

Titel
Lectura decretalium Gregorii IX.
Angaben zum Text
Vorlesungsmitschriebe zum Liber extra, u. a. rekurrierend auf den Kommentar von Johannes Andreae, wohl auch unter Zuhilfenahme von dessen Summa de sponsalibus et matrimoniis: (1r–10r) 4.1–4.6.5; (10v) leer; (11r–16v) 4.6.5–4.14.8; (16ar–16av) leer; (17r–24v) 4.14.8–4.21.5; (25r–89v) 5.1–5.38.16; (90r–90v) 3.46; (90v–92r) 5.38; (92r–92v) 4.2; (92v) 4.5–4.6; (92v–93r) 5.1; (93r–93v) 5.39; (93v–94r) 1.2.12; (94v) 1.3; (95r–96r) 2.1; (96r–97v) 2.6; (97v–98r) 2.1; (98v) leer; (99r–110av) 5.39–5.39.28; (110br–112av) eingebundener Faszikel, s.u.; (113r–132r) 5.39.28–5.41.11; (132v) leer; (133r–139v) 1.7–1.10.5; (139ar–139av) leer; (140r–146r) 1.11.1–1.17.8; (146v) leer; (147r–163v) 1.17.9–1.34.1 (zwischen 148v und 149r fehlen 1.20.4–1.22.1); (163ar–163av) leer; (164r–164v) 1.6.10–1.6.12; (165r–166v) eingebundener Faszikel, s.u.; (167r) 1.6.18; (167r) 1.6.20; (167v) leer; (168r–180v) 1.38.1–1.43.14; (181ra–184vb) 1.3–1.6; (184vb–185ra) 1.11; (185ra–186ra) 1.14–1.15; (186ra–b) 1.17; (186rb–186va) 1.23; (186va–187ra) 1.28–1.29; (187ra–187va) 1.40; (187va–b) 1.43; (187vb–188rb) 2.1; (188rb–189rb) 2.8; (189rb–190rb) 2.12–2.13; (190rb–190va) 2.24; (190va–191va) 2.13–2.14; (191va–196ra) 2.17–2.25; (196ra–199vb) 2.27–2.28; (199vb–200ra) 3.1; (200ra–206vb) verschiedene Casus. – Ar Kleintexte (Kommentare zum Liber sextus). – Av Inhaltsverzeichnis (I–CXXXIIIJ).
Rubrik
1r ›De sponsalibus et matrimoniis‹.
Incipit
1r Sponsalia sunt futurarum […] siue repromissio
Explicit
206vb … aut dabere propter decimo […] vsus.
Edition
Der Kommentar des Johannes Andreae liegt in keiner modernen Edition vor, erschien aber bereits 1489 als Wiegendruck (GW 1729). Die Summa de sponsalibus et matrimoniis wurde erstmals um 1473 als Inkunabel gedruckt (GW 1742–1757).

Faszikel II (Bl. 110b–112a)

Sachtitel / Inhalt
Bérenger Frédol d. Ä., Liber de excommunicatione.
Entstehungsort
Mitteleuropa.
Entstehungszeit
um 1340.
Typus (Überlieferungsform)
Faszikel.
Beschreibstoff
Papier.
Umfang
4 Bll.
Format (Blattgröße)
28,8–29,8 × 21–21,8 cm.
Zusammensetzung (Lagenstruktur)
II112a.
Seiten-, Blatt- und Lagenzählung
s. zum Codex.
Wasserzeichen
Wappen, Schild mit Pfahl, ohne Belegung, auf Bll. 2–21, ohne Übereinstimmung mit WZIS. Bauwerke, Stadt, Festung, auf Bl. 111, ähnlich Wzz. von Papieren, die 1341 in Lübeck und 1343 in Palermo beschrieben wurden, Briquet, Les filigranes, 15885.

Schriftraum
19,6–24 × 14–18 cm.
Spaltenanzahl
1 Spalte.
Zeilenanzahl
40–44 Zeilen.
Angaben zu Schrift / Schreibern
Der Schreiber bediente sich einer Kanzleikursiven, die von der am Hof Kaiser Ludwigs des Bayern gepflegten beeinflusst zu sein scheint.
Buchgestaltung
Der einspaltig angelegte Text ist lediglich auf der Eingangsseite mit Paragrafenzeichen am Rand versehen.

Nachträge und Benutzungsspuren
Verschiedene grafische Verweiszeichen und zwei handschriftliche Verweise auf speciale mandatum.

Provenienz
Heidelberg.
Geschichte des Faszikels
Die zeitgenössische Foliierung legt nahe (CI–CIII), dass dieser Faszikel nachträglich, womöglich erst in Rom, bei einer Neubindung an anderer Stelle platziert wurde, muss er sich doch ursprünglich vor dem vorangegangenen Faszikel befunden haben. In etwa zweitgleich mit dem ersten Faszikel entstanden, wurde er an inhaltlich passender Stelle integriert.

2) 110br–112v Digitalisat

Verfasser
Bérenger Frédol d. Ä. (GND-Nr.: 100968961).
Titel
Liber de excommunicatione.
Angaben zum Text
Auch bekannt als ‚Tractatus de excommunicatione et interdicto‘, ‚Tractatus de absolutione ad cautelam‘ oder ‚De absolutione ad cautelam et de excommunicatione‘. – 112ar–112av leer.
Incipit
110br Ad euidenciam huius materie videndum est. Primo quid sit dictum absolucio ad cautelam
Explicit
112v … circa hoc sufficiant notantur per Innocencium et Hostiensem et doctores in capitulo solet. Grates o digna tibi reddo virgo Maria. Amen.
Edition
Le „Liber de excommunicacione“ du cardinal Bérenger Frédol, précède d’une introduction historique sur l’excommunication et l’interdit en droit canonique de Gratien à la fin du XIIIe siècle, hrsg. von Eugène Vernay, Paris 1912, S. 1–18.

Faszikel III (Bl. 165–166)

Sachtitel / Inhalt
Rechnung.
Entstehungsort
Italien (?).
Entstehungszeit
1422–1423.
Typus (Überlieferungsform)
Faszikel.
Beschreibstoff
Papier.
Umfang
2 Bll.
Format (Blattgröße)
28,8–29,8 × 21–21,8 cm.
Zusammensetzung (Lagenstruktur)
I166.
Seiten-, Blatt- und Lagenzählung
s. zum Codex.

Schriftraum
19,6–24 × 14–18 cm.
Spaltenanzahl
1 Spalte.
Zeilenanzahl
44–46 Zeilen.
Angaben zu Schrift / Schreibern
Der Schreiber bediente sich einer geschäftsmäßigen jüngeren gotischen Kursive, die durch ihre zahlreichen Kürzungen charakterisiert ist.
Buchgestaltung
Einspaltig angelegter Text mit Zwischenüberschriften. Addierte Summen werden mit Paragrafenzeichen eingeleitet. Ansonsten keinerlei nennenswerte gestalterische Ambitionen.

Nachträge und Benutzungsspuren
Keinerlei Nachträge von anderer Hand.

Provenienz
Heidelberg.
Geschichte des Faszikels
Bei diesen zwei Blättern handelt es sich um keine eigene Lage, sie wurden vielmehr in den ersten Faszikel eingebunden. Offenbar handelt es sich um eine Rechnung, welche Einkünfte aus geistlichen Institutionen auflistet. Da diese über Europa verstreut lagen, ist an eine Herkunft aus der kirchlichen Zentralverwaltung oder von einer von der Kurie delegierten Person zu denken. Da die im Codex vorgenommene zeitgenössische Zählung hier fehlt, könnte dieser Faszikel auch erst in Rom, vielleicht als Lesezeichen, in die Hs. gelangt sein.

3) 165r–166r Digitalisat

Titel
Rechnung.
Angaben zum Text
Auflistung von Einkünften aus kirchlichen Institutionen. – 166v leer.
Rubrik
165r ›Jntroitus mensis Decembris Mo cccco xxijo recepte per dominum Gometum‹.
Incipit
165r Primo pro ecclesia Oxoniensi taxa Florenis M viijc / Florenis xxx
Explicit
166r … Summa summarum floreni vc lxxxxj / solidi xiij / denarij v.


Bearbeitet von
Dr. Thorsten Huthwelker, Universitätsbibliothek Heidelberg, 2024.


Zitierempfehlung:


Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 673. Beschreibung von: Dr. Thorsten Huthwelker (Universitätsbibliothek Heidelberg), 2024.


Katalogisierungsrichtlinien
Die Katalogisierungsrichtlinien finden Sie hier.

Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Erschließung von 876 mittelalterlichen und frühneuzeitlichen lateinischen Handschriften der Heidelberger Bibliotheca Palatina in der Vatikanischen Bibliothek in Rom.