Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 692

Sammelhandschrift

Papier · 4, 422, 1 Bll. · 29,4 × 21,1 cm · Oberrhein (?) · Mitte 15. Jh.


Schlagwörter (GND)
Kanonisches Recht / Beichte / Bußpraxis / Parodie / Teufelsliteratur / Rede.
Entstehungsort
Oberrhein (?).
Entstehungszeit
Mitte 15. Jh.
Typus (Überlieferungsform)
Codex.
Beschreibstoff
Papier.
Umfang
4, 422, 1 Bll.
Format (Blattgröße)
29,4 × 21,1 cm.
Zusammensetzung (Lagenstruktur)
(I-1)1a + 1A + I2a + 35 VI418 + I420 + (I-1)421*. Vorderspiegel Gegenbl. von 1a, Hinterspiegel Gegenbl. von 421*. Zählfehler: Auf 114 und 317 folgt jeweils ungez. Bl., 156 und 166 doppelt gez., 200 und 222 übersprungen.
Seiten-, Blatt- und Lagenzählung
Zeitgenössische Foliierung in roten gotischen Ziffern (1–407), anschließend römische Foliierung des 17. Jhs. (408–420). Vorsatzbll. und Nachsatzbl. teilweise ungez., A–B nachgetragen. Bei ungez. Bll. Zählung der Digitalisate übernommen (1a, 2a, 421*). Durchgängig Reklamanten auf der letzten Versoseite der Lage auf dem Fußsteg rechts (fehlt auf 418v). Bei ungez. Bll. folgt die Zählung dem Digitalisat (1a, 2a, 114a, 317a, 421*).
Zustand
Leicht stockfleckig, v.a. am oberen Rand. 381–384 Wasserschaden.
Wasserzeichen
Frei stehender Ochsenkopf mit Augen und Nasenlöchern, Augen frei / anliegend, darüber einkonturige Stange mit sechsstrahligem, einkonturigem Stern, fünf Varianten auf Bll. 1–6, 21, 26, 29, 40–46, 55–60, 63, 69, 80–82, 92, 103–106, 114, 116–117, 124, 135, 137–143, 150–154, 161–165, 170, 176–189, 196–199, 202, 209–210, 224, 234, 237–238, vergleichbar mit Wzz. von Papieren, die laut WZIS 1447 in Hohenrechberg Verwendung fanden, AT3800-PO-74894; auf Bll. 9–20, 23–24, 31–36, 47–52, 62, 66–68, 72–78, 85–88, 90, 97–98, 109–110, 115, 120–122, 128–136, 144, 156, 168, 172–174, 191, 203–206, 216–221, 225–228, sehr ähnlich Wzz. von Papieren, die laut WZIS 1448 in Deutschland beschrieben wurden, DE8085-PO-74896; auf Bll. 232, 243–245, 252–257, 265, 270–272, 285–294, 304, 308–310, 315, 325–326, 335–336, 342, 348–349, 359, 362, 366, 373–379, 386, sehr ähnlich Wzz. von Papieren, die laut WZIS im 15. Jh. in Deutschland verwendet wurden, DE3270-jurid385_165; auf Bll. 236, 247–251, 264, 266, 279–281, 295–300, 312–313, 318–323, 329, 333, 341, 343–344, 353–358, 361, 365, 369, 381–382, 389, 392–394, ähnlich Wzz. von Papieren, die laut WZIS 1455 in Hildesheim Verwendung fanden, DE4860-Ms1510_36; auf Bll. 395–402, 407–416, annähernd identisch mit Wzz. von Papieren, die laut WZIS 1455 in der Schweiz beschrieben wurden, CH0780-PO-74879. Frei stehender Buchstabe P in gotischer Form, Schaftfuß gespalten, Bogenende hinter dem Schaft und mit einkonturigem Dorn, auf Bl. 419, ähnlich Wzz. von Papieren, die laut WZIS 1457 in Utrecht verwendet wurden, NL8370-PO-108009.

Schriftraum
21,7 × 15,7 cm.
Spaltenanzahl
2 Spalten (415r–420r: 1 Spalte).
Zeilenanzahl
29–47 Zeilen.
Angaben zu Schrift / Schreibern
Der Haupttext wurde von einer Hand in einer relativ flüchtig ausgeführten schleifenlosen Bastarda geschrieben, wobei sich beim d und später auch bei anderen Buchstaben immer wieder und zunehmend Schleifen einschleichen, wie die Schrift überhaupt fortlaufend unsauberer wird. Hin und wieder findet das x-förmige r Verwendung, welches auf die Entstehung des Texts in Oberdeutschland hinweisen könnte (Schneider, Paläographie, S. 76f.). Die beiden Teufelsbriefe wurden wohl von anderer Hand in einer etwas sorgfältiger ausgeführten Bastarda kopiert. Der letzte Text wurde von wieder anderer Hand in humanistischer Kursive nachgetragen.
Buchgestaltung
Schriftraum mit Metallstift vorgezogen. Jedes Lemma, bzw. Kapitel, beginnt mit einer roten Lombarde. Ferner rote Paragrafenzeichen zur Strukturierung des Texts, zur Hervorhebung rote Strichelungen und Unterstreichungen.
Buchschmuck
s. Buchgestaltung.

Nachträge und Benutzungsspuren
Kaum Verweise, Korrekturen und Anmerkungen von mehreren, in etwa zeitgenössischen Händen, kaum grafische Verweiszeichen. Selten Nachträge auch in Rot. 51va Anmerkung in Rot von Hand, die auch den Haupttext schrieb, demnach dürfte diese Hand auch rubriziert haben. Auf 150rb Anmerkung auf Deutsch. Der letzte Text, die Rede von Reuchlin, wurde, wahrscheinlich um 1500, in die Hs. nachgetragen. Am Papier ist zu erkennen, dass die Lage mit den Bll. 419 und 420 nachträglich eingebunden worden sein muss. Insgesamt wenige Benutzungsspuren.

Einband
Römischer Einband, Pappe mit weißem Pergament überzogen, Rücken mit rotem Schildchen, darunter zwei blaue Schildchen, jeweils mit aktueller Signatur, zwischen diesen Wappenstempel Papst Pius XII. und des Kardinals und Bibliothekars Giovanni Mercati (1866–1957) in Gold, gefertigt in Rom zwischen 1939 und 1957 (Schunke, Einbände 2.2, S. 848). Auf Vorderschnitt mit Tinte: Summa Batholomaei Pisani.
Provenienz
Heidelberg.
Geschichte der Handschrift
Alter Rückentitel (B. […] PISANI SVMMA) sowie weitere Teile eines älteren Einbands (goldgeprägter Plattenstempel mit dem Wappen Papst Urbans VIII. sowie des Kardinals und Bibliothekars Francesco Barberini [1597–1679] in Gold, samt vier goldgeprägten Bienen, gefertigt in Rom zwischen 1626 und 1633) auf Vorderspiegel geklebt, daneben auch blaues Schildchen mit aktueller Signatur. Auf Ar neben aktueller Signatur Altsignatur 369 [durchgestrichen], nebst Zettel mit Aufschrift S.ti THOMAE SVMMA. Auf Br Capsa-Nummer C. 62., darunter Allacci-Signatur 1655 [durchgestrichen] sowie Altsignatur 126, weitere auf 420v 1996, auf Vorderschnitt: Summa Bartholomaei Pisani. Dem paläografischen Befund entsprechend dürfte die Hs. in Oberdeutschland entstanden sein. Dass sie sich auch späterhin in deutschsprachigen Landen befand, suggeriert die volkssprachliche Randbemerkung. Der Besitzvermerk auf Br Merstetter könnte sich auf Johannes Merstetter aus Ehingen beziehen, der sich im Wintersemester 1427/28 an der Universität Heidelberg immatrikulierte, 1453 das Bakkalaureats- und 1467 das Lizentiatenexamen im Kanonischen Recht ablegte (Drüll, Gelehrtenlexikon, S. 281). Er schrieb auch Teile von HB X 18 der Württembergischen Landesbibliothek (Codices philologici [HB VIII 1–31]. Codices Arabici [HB IX 1–2]. Codices philosophici [HB X 1–30], beschr. von Maria Sophia Buhl, Wiesbaden 1972 [Die Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart, Reihe 2, Die Handschriften der ehemaligen königlichen Hofbibliothek, Bd. 4, T. 1], S. 79). Denkbar wäre aber auch Jakob Merstetter aus Ehingen (1460–1521) als Besitzer, der sich 1488 an der Universität Heidelberg immatrikulierte, später als Hochschullehrer und Geistlicher in Mainz, Esslingen und Speyer wirkte und mit führenden Humanisten in Kontakt stand (Heinrich F. Singer, Der Humanist Jakob Merstetter 1460–1512, Professor der Theologie an der Mainzer Universität und Pfarrer zu St. Emmeran, Mainz 1904). Möglicherweise ist die Hs. im Katalog der Bibliothek in der Heiliggeistkirche von 1581 nachweisbar: Summa Bartholomei Pisani, geschrieben papir, bretter, weiß leder, bucklen (Pal. lat. 1945, 13).

Faksimile
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bav_pal_lat_692
Literatur
Markus Rafael Ackermann, Der Jurist Johannes Reuchlin (1455–1522), Berlin 1999 (Schriften zur Rechtsgeschichte 77), S. 92 A. 377; Paul Herold, Teufelsbriefe als Instrument mittelalterlicher „höllischer“ Propaganda. Ein Beitrag zu den erfundenen Briefen des Mittelalters, in: Propaganda, Kommunikation und Öffentlichkeit (11.–16. Jahrhundert), hrsg. von Karel Hruza, Wien 2001 (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 6), S. 169–187, hier S. 180 A. 66; Kristeller, Iter Italicum 2, S. 391; Paul Lehmann, Die Parodie im Mittelalter. Mit 24 ausgewählten parodistischen Texten, 2Stuttgart 1963, S. 88 A. 3; OVL, Pal.lat.692; Johannes Reuchlin, Briefwechsel, Bd. 1, 1477–1505, bearb. von Matthias Dall’Asta / Gerald Dörner / Stefan Rhein, hrsg. von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften in Zusammenarbeit mit der Stadt Pforzheim, Stuttgart 1999, S. 301 A. 3; Gianni Zippel, La lettera del Diavolo al clero, dal secolo XII alla Riforma, in: Bullettino dell’Istituto Storico Italiano per il Medio Evo 70 (1958), S. 125–179, hier S. 139 A. 3; Schunke, Einbände 2.2, S. 848; Stevenson, Latini, S. 247.
Verzeichnis der im Katalogisierungsprojekt abgekürzt zitierten Literatur

1) 1ra–411ra Digitalisat

Verfasser
Bartholomäus von San Concordio (GND-Nr.: 100938728).
Titel
Summa de casibus conscientiae.
Angaben zum Text
(1ra–1va) Vorrede; (1va–20vb) Buchstabe A; (20vb–34rb) Buchstabe B; (34rb–69vb) Buchstabe C; (69vb–92vb) Buchstabe D; (92vb–133rb) Buchstabe E; (133rb–142rb) Buchstabe F; (142rb–142vb) Buchstabe G; (142vb–155va) Buchstabe H; (155va–203ra) Buchstabe I; (203ra) Buchstabe K; (203ra–213va) Buchstabe L; (213va–237rb) Buchstabe M; (237rb–242ra) Buchstabe N; (242ra–262rb) Buchstabe O; (262rb–297vb) Buchstabe P; (297vb–298rb) Buchstabe Q; (298rb–318va) Buchstabe R; (318va–366va) Buchstabe S; (366va–377va) Buchstabe T; (377va–405vb) Buchstabe U / V; (405vb–406ra) Buchstabe X; (406ra–b) Buchstabe Y; (406rb–406va) Buchstabe Z; (406va–411ra) Inhaltsverzeichnis. – Br Inhaltsverzeichnis, Notizen von zeitgenössischer Hand mit der Erwähnung des Raimund von Peñafort (†1275), des Bartholomäus von Brescia (um 1200–1258) sowie eines Hugo. – Bav–2av leer.
Rubrik
1r ›Summa Bartholomei Pysani‹.
Incipit
1ra Quoniam‹, ut ait Gregorius superEzechelem‹, nullum omnipotenti deo tale sacrificium quale zelus animarum …
Explicit
406va … ›Bartholomeushuius libri compositor obijtannodominiMocccoxlvijsecunda die Julij, cuius anima requiescat in eo qui sine fine regnat. Deus per omnia secula seculorum benedictus. Amen.
Edition
Der Text liegt in keiner modernen Edition vor, erschien aber bereits 1473 als Wiegendruck (GW 3450–3457).

2) 411rb–414vb Digitalisat

Titel
Teufelsbrief.
Incipit
411rb ›Princepsregionis iehennalis ecclesiarum prelatis et clericis vniuersis salutem quam sibi …
Explicit
414vb … rugam uel maculam non habentem.
Edition
Wilhelm Wattenbach, Über erfundene Briefe in Handschriften des Mittelalters, besonders Teufelsbriefe, in: Sitzungsberichte der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1 (1892), S. 91–123, hier S. 104–116.

3) 414vb–415ra Digitalisat

Titel
Teufelsbrief.
Rubrik
414vb ›Epistola‹.
Incipit
414vb Gallis, Germanis, Gottis, Scotis, Dacianis, Vngaris, Hispanis et ceteris ultramontanis causa studiorum in domo Predicatorum simul adunatis prophetis fame dolatis pauper p. …
Explicit
415ra … gargarizare, flettare, phylare, florare, sincopizare.

4) 415r–420r Digitalisat

Verfasser
Johannes Reuchlin (GND-Nr.: 118744658).
Weitere beteiligte Personen
Alexander VI. (GND-Nr.: 118501844) / Philipp der Aufrichtige (GND-Nr.: 119557843).
Titel
Oratio pro Philippo Bavariae duce.
Angaben zum Text
Rede, gehalten vor Papst Alexander VI. , zugunsten von Kurfürst Philipp dem Aufrichtigen.
Rubrik
415r Ad Alexandrum 6m pontificem maximum pro Philippo Bauarie duce palatino Rheni sacri Rhomani imperij electorę [!] Ioannis Reuchlin phorcensis legum doctoris oracio vij Idus Sextiles anno IID Romę.
Incipit
415r ›Beatissimavicis tuę sors illa, pontifex maxime Alexander et sublimis Augustaque sedes ea …
Explicit
420r … [am Rand nachgetragen: non] verentur bella pocius et eclesie futura scandala quam amplissime nationis pace fouere [darunter nachgetragen: dixi].
Edition
Der Text liegt in keiner modernen Edition vor, erschien aber bereits 1498 als Wiegendruck (GW M37878).


Bearbeitet von
Dr. Thorsten Huthwelker, Universitätsbibliothek Heidelberg, 2024.


Zitierempfehlung:


Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 692. Beschreibung von: Dr. Thorsten Huthwelker (Universitätsbibliothek Heidelberg), 2024.


Katalogisierungsrichtlinien
Die Katalogisierungsrichtlinien finden Sie hier.

Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Erschließung von 876 mittelalterlichen und frühneuzeitlichen lateinischen Handschriften der Heidelberger Bibliotheca Palatina in der Vatikanischen Bibliothek in Rom.