Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 72
Nicolaus de Gorra, Glossa in Psalmos
Papier · 181, 1 · 29,3 × 20–20,5 cm · Südwestdeutschland · um 1400
- Entstehungsort
- Südwestdeutschland.
- Entstehungszeit
- um 1400.
- Typus (Überlieferungsform)
- Codex.
- Beschreibstoff
- Papier.
- Umfang
- 181, 1.
- Format (Blattgröße)
- 29,3 × 20–20,5 cm.
- Zusammensetzung (Lagenstruktur)
- III6 + 6 VI78 + (VI-1)89 + 4 VI127bis + VIII143 + (VII-1)156 + VI168 + (II-1)171 + (I-1)172*. Der Vorderspiegel ist ein Einzelbl. Hinterer Spiegel Gegenbl. von 172*. Bei ungezählten (172*) und doppelt vorhandenen Bll. (122bis–131bis) folgt die Zählung dem Digitalisat. Ein Bl. nach 85 und ein Bl. nach 168 ausgeschnitten (kein Textverlust). Lage 4 (Bl. 31–42) verbunden, Abfolge und Ausrichtung der Doppelbll. gestört (s. zum Text).
- Seiten-, Blatt- und Lagenzählung
- Tintenfoliierung, Rom 17. Jh. (1–131, 122–171). Bei den doppelt vorhandenen Seitenzahlen (122–131) folgt die Zählung dem Digitalisat (122bis-131bis). 1r–157r Lagenzählung, zumeist unten mittig, auf 1r oben mittig (1us bis 15us).
- Zustand
- An einigen Stellen leichte Wasserränder im oberen Bereich (3–43, 55–65, 135–136, 165).
- Wasserzeichen
- Bl. 4 Ochsenkopf, frei, ohne Beizeichen, senkrecht, Kontur der Stirn gebogen, ohne Gesichtsmerkmale, Hörner zweikonturig; Bl. 22 Ochsenkopf, frei, ohne Beizeichen, senkrecht, Kontur der Stirn gebogen, ohne Gesichtsmerkmale, Hörner zweikonturig; Bl. 91 Bogen (Waffe), frei, senkrecht, zweikonturig, ohne Beizeichen, Pfeil ohne Befiederung, Spitze zweikonturig, ähnlich WZIS DE4620-PO-123476 (1400, Marienburg); Bl. 123 Glocke, frei, ohne Beizeichen, Glockenkörper ohne Schulter, Glockenmund einkonturig, ohne Joch, mit Klöppel; Bl. 146 Ochsenkopf, frei, ohne Beizeichen, senkrecht, Kontur der Stirn gewellt, drei Wellen, mit Augen und Nase, Nase geschlossen, vergleichbar WZIS IT1185-PO-79472; Bl. 150 Einhorn, Kopf, ohne Mähne, Horn gezackt, ähnlich WZIS DE5580-Clm8490_157 (1380); Bl. 157 Ochsenkopf, frei, ohne Beizeichen, senkrecht, Kontur der Stirn gewellt / gezackt, drei Wellen, mit Augen, ähnlich WZIS DE6405-PO-64453 (1386, Nürnberg). Da keines der Wasserzeichen mit fest datierten Zeichen exakt übereinstimmt, lässt sich allenfalls eine grobe Einordnung ableiten.
- Schriftraum
- 21,5–23 × 17–19,5 cm.
- Spaltenanzahl
- 2 Spalten.
- Zeilenanzahl
- 52–64 Zeilen.
- Angaben zu Schrift / Schreibern
- Bastarda mit kursiver Tendenz (häufig auch kursives r). Eine Schreiberhand, von der wahrscheinlich auch Initialen und Rubrizierung stammen. Die nicht sehr häufigen Randglossen (z. B. 34r, 35rv) entstanden zeitnah, sie sind flüchtiger geschrieben, weisen aber recht ähnliche Merkmale auf. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass auch sie von der Hand des Schreibers stammen. Lemmata und Incipit des Prologs in vergrößerter Textura, wohl von der Texthand.
- Buchgestaltung
- Spaltenbegrenzungen in schwarzer Tinte. Der aus dem Textbereich ausgesparte Platz für Initialen und Lemmata in Textura mit freihändig gezogenen Tintenlinien begrenzt. Psalmen- und Kapitelzählung am Kopf der Seiten (1us–3us, 4–7, viii-lxvi zuweilen mit c. auf der folgenden Rectoseite). Zum Textbeginn und zu Beginn von Psalmen jeweils eine grosse Initiale (Höhe 10 bis 14 Textzeilen) mit Incipit in vergrößerter Textura. Rubriziert. Initialen, Lemmata und biblische Verweise rot unter- oder zur Hervorhebung durchgestrichen.
- Buchschmuck
- Zum Textbeginn und zu Beginn von Psalmen jeweils eine grosse Initiale (Höhe 10 bis 14 Textzeilen) mit Incipit in vergrößerter Textura (Ps 2 und 3 jeweils ohne Initiale). Die insgesamt 63 Initialen sind aufwändig und abwechslungsreich gestaltet jedoch von laienhafter Qualität. Das Dekor in schwarzer und roter Tinte orientiert sich teils an zeitgenössischen Fleuronnéformen, teils wohl auch an älterer Ornamentik. Die Buchstabenkörper sind zumeist in der Art von Randleisteninitialen aufgebaut, die Randleisten werden dabei zu teils kompliziert geschlungenen Bändern entwickelt (z.B. 31ra, 146va, 162ra), teils zu gitterartigen Formen aus geraden Elementen gestaltet (z.B. 1ra, 56rb).
- Nachträge und Benutzungsspuren
- Im Psalmenkommentar gelegentlich Randglossen von mehreren etwa
zeitgenössischen Händen. 34r längere Randnotiz Nota ex hec materia quod
corpus Christi fuerit in eadem dispositione in tridue in qua fuit in pericula
mortis … - … hec Henricus de Hassia 5o volumine folio
33o. Auch im weiteren wird in den Randglossen auf "Henricus de Hassia"
verwiesen (z. B. 39va oben). Wahrscheinlich ist hier "Heinrich von Hessen, der Jüngere"
gemeint, der 1400–1411 an der Universität Heidelberg lehrte (auch "Henricus de
Altendorf") und unter anderem einen Sentenzenkommentar hinterließ (Franz Joseph
Worstbrock, in: VL, 2. Aufl., Bd. 3, Sp. 756f.;
Stegmüller RS, 314).
172*r zwei aufgeklebte Zettel: oben, recto Notizen: … et parvam bibliam … habet coniunctum … . Überwiegend schlecht lesbar (Notiz über eine Buchausleihe?), Aufschrift am linken Rand unvollständig. Verso: Ego magister Otto de Husen … Johanne de Mechlinia recipisse … . Zu Otto de Husen s. Geschichte der Handschrift. Der untere Zettel, ein schmaler Streifen, wurde aus einer dicht und flüchtig beschriebenen Seite ausgeschnitten, inhaltliche Bezüge sind nicht erkennbar.
- Einband
- Grünes Pergament mit Goldpressung auf Pappen. Rom, 1626–1633. Auf dem Vorderdeckel Papstwappen Urbans VIII. Barberini (1623–1644). Rücken mit vier erhabenen Doppelbünden, in den Feldern fünf goldene Bienen des Barberini-Wappens, wohl auch für Kardinalbibliothekar Francesco Barberini (im Amt 1626–1633). Darübergeklebt zwei Signaturschilder, oben Kupferstichkartusche, handschriftlich 72, später ergänzt Pal., darunter das blaue Signaturschild der BAV. Kapital mit rot-weißem Garn umstochen. Am Vorderschnitt hell abgeriebene Stellen von zwei Schließenbändern eines früheren Einbandes. Schunke, Einbände 2,2, S. 815, vgl. Schunke, Einbände 1, S. 252f.
- Provenienz
- Heidelberg.
- Geschichte der Handschrift
- Schrift und Papier weisen auf die Entstehung der Hs. in der
Zeit um 1400. Für die Jahre ab März 1432 findet sich ein Hinweis auf Personen,
die sich an der Universität Heidelberg nachweisen lassen. Wahrscheinlich ist
die Hs. somit im Umfeld der Heidelberger Universität entstanden und schließlich
aus deren Besitz in die Palatina gelangt. Auf einem heute eingeklebten Zettel
(172*r) verso findet sich der Eintrag: Ego magister Otto de Husen …
Johanne de Mechlinia recipisse … (s. Angaben zu Nachträgen und
Benutzungsspuren). Der Eintrag ist unvollständig, welche Aufnahme hier
bestätigt wurde, bleibt zunächst unklar. Ein Otto de Huszen aus der Diözese
Konstanz wurde im Dez. 1428 an der Universität Heidelberg immatrikuliert, er
wurde dort 1430 Bakkalaureus (Toepke, Matr. Heidelberg 1, S.
179) und im März 1432 Magister artium (Toepke, Matr.
Heidelberg 2, S. 380). Angesichts der relativen Seltenheit des Vornamens Otto
dürfte die Identität des Heidelberger Studenten mit dem Einträger sehr
wahrscheinlich sein. Husen / Hausen kann sich auf eine ganze Reihe von Orten,
vorwiegend im deutschen Südwesten, beziehen. Johannes (Ruysch) de Mecheln war
1423–1438 an der Artistenfakultät und 1438–1455 bei den Theologen, er war
Professor und wurde am 23. Juni 1432 als baccalaureus
theologiae zum Rektor gewählt (Jürgen Miethke/Heiner
Lutzmann [Hgg.], Die Rektorbücher der Universität
Heidelberg, Bd. 2, Heft 1–2: 1421–1451, Heidelberg 2001–2003, S. 277f.;
ausführlich: Dagmar Drüll, Heidelberger Gelehrtenlexikon,
Bd. 1, Berlin/Heidelberg 2002, S. 312f.). Der Zettel stammt somit aus der
Zeit ab März 1432 bis spätestens um 1455.
Mit der Palatina in die Vatikanische Bibliothek gelangt (keine alten Signaturen oder Nummern erhalten).
- Besonderheiten
- Lage 4 (Bl. 31–42) verbunden, die Abfolge und Ausrichtung der Doppelbll. ist gestört. Vermutlich wurden auch Doppelbll. falsch gefalzt (s. zu den Lagen und zum Text).
- Literatur
- OVL, Pal.lat.72; Stevenson, Latini, S. 12.
Verzeichnis der im Katalogisierungsprojekt abgekürzt zitierten Literatur
1) 1ra–171vb
- Verfasser
- Nicolaus de Gorra (GND-Nr.: 100954812).
- Titel
- Postilla in Psalmos.
- Angaben zum Text
- Psalmenkommentar des Nicolaus de Gorra. Nur der Kommentar zu Ps 1–67. Der letzte Kommentar zu Ps 67 ist vollständig und beginnt 165va, das letzte rot unterstrichene Lemma plebi suae (Ps 67,36) findet sich 171vb. Er wird als einziger von der Texthand mit Amen abgeschlossen. Der Band dürfte somit vollständig sein, die weiteren Psalmen sollten möglicherweise in einem oder zwei weiteren Bänden folgen. In Lage 4 (Bl. 31–42) ist die Abfolge des Textes stark gestört, so springt etwa der Kommentar zu Ps 11 von 31vb zu 41ra. Offenbar wurde der Fehler schon beim ersten Binden begangen. Eine zeitgenössische Hand gibt am unteren Seitenrand Hinweise darauf, wo mit der Lektüre jeweils fortgefahren werden sollte: 31v verte post 9 folia; 32v post 9; 33v ante 2o; 34v ante 2o; 35r oben principium istius quere 5o folio sequenti; 38v post verte 5 folia; 39v retro verte 5 folia; 40v retro verte 2o folia; 41v retro verte 2 folia. Anhand der Seitentitel lässt sich folgende Psalmenfolge erkennen: Ps 11, 16, 13, 14, 15, 13, 12, 11, 17. Lit.: Stegmüller RB, 5750 (Hs. genannt); Kaeppeli, Scriptores OP 3, S. 166, Nr. 3089 (als Teil der Postillae in Vetus et Novum Testamentum); Isnard Wilhelm Frank, Nikolaus von Gorran, in: LThk 7, 31998, Sp. 986.
- Incipit
- 1r Laudacionem Domini loquetur os meum et benedicat omnis caro…
- Explicit
- 171v … benedictus deus a populo suo qui est benedictus in seipso ab eterno et usque in eternum. Amen.
- Edition
- Der bei Stegmüller, RB 5750 genannte Druck, Frankfurt 1617, konnte nicht nachgewiesen werden.
- Bearbeitet von
- Dr. Wolfgang Metzger, Universitätsbibliothek Heidelberg, 2024.
Zitierempfehlung:
Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 72. Beschreibung von: Dr. Wolfgang Metzger (Universitätsbibliothek Heidelberg), 2024.
- Katalogisierungsrichtlinien
- Die Katalogisierungsrichtlinien finden Sie hier.
Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Erschließung von 876 mittelalterlichen und frühneuzeitlichen lateinischen Handschriften der Heidelberger Bibliotheca Palatina in der Vatikanischen Bibliothek in Rom.