Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 732
Digestum vetus cum Glossa ordinaria
Pergament · 1, 289, 2 Bll. · 46,2 × 29 cm · Bologna (?) · 2.–3. Viertel 14. Jh.
- Schlagwörter (GND)
- Römisches Recht / Corpus iuris civilis / Digesta / Digestum vetus.
- Entstehungsort
- Bologna (?).
- Entstehungszeit
- 2.–3. Viertel 14. Jh.
- Typus (Überlieferungsform)
- Codex.
- Beschreibstoff
- Pergament.
- Umfang
- 1, 289, 2 Bll.
- Format (Blattgröße)
- 46,2 × 29 cm (288–289 kleiner).
- Zusammensetzung (Lagenstruktur)
- (I-1)1a + 6 V60 + II64 + 7 V134 + (VII-1)147 + 14 V287 + I289 + (I-1)291*. Vorderer Spiegel Gegenbl. von 1a, hinterer von 291*. Vor 1r und nach 287v sind jeweils ca. 10–14 Bll. verloren.
- Seiten-, Blatt- und Lagenzählung
- Frühneuzeitliche Blattzählung unter Einschluss des Nachtrags in arabischen Ziffern am oberen rechten Rand (1–289). Zudem alte, wenn auch nicht unbedingt mit dem Text gleichzeitige Blattzählung in römischen Ziffern. Vor- und Nachsatzbl. ungez., weshalb hier Zählung der Digitalisate übernommen wird (1a, 290*). Ab 10v Reklamanten von den Textschreibern im Seitenfuß (fehlt 147v, 257v).
- Zustand
- Die Hs. hat durch den vermutlich frühen Verlust von Einband und Außenblättern gelitten, 1r und 287v sind stark verschmutzt und berieben.
- Schriftraum
- 41,6–43,2 × 28 cm (288r–289v deutlich kleiner und unregelmäßiger).
- Spaltenanzahl
- Textus inclusus und Klammerglosse mit jeweils 2 Spalten.
- Zeilenanzahl
- Textus inclusus: 46–51 Zeilen; Klammerglosse: 71–91 Zeilen.
- Angaben zu Schrift / Schreibern
- Wie üblich unterschiedliche Schriftgrößen für Textus inclusus und Glossentext, hier wohl auch von unterschiedlichen Händen. Eine weitere Händescheidung scheint nicht möglich. Die Rotunda des Legaltexts kräftiger und rundlich-flüssiger als bei der standardisierten Form der Littera Bononiensis (weitere Details s. Geschichte der Handschrift). Wahrscheinlich auch frühe Korrekturen, bisher aber keine Korrekturvermerke identifiziert.
- Buchgestaltung
- In der Terminologie von Powitz, Textus, S. 84f., Klammerform des Vier-Spalten-Typs. Schriftspiegel mit Silberstift vorgezogen, meistens anschließend radiert. In Rot und Blau Seitentitel mit Angabe der Bücher.
- Buchschmuck
- Für Initialen und Miniaturen an den Anfängen der Bücher und Tituli wurde Platz für Zierbuchstaben gelassen, die jedoch nicht ausgeführt wurden. Die blauen zwei- bis dreizeiligen Initialen vor dem Schriftspiegel zu den Namen der antiken Rechtsgelehrten am Anfang der Leges sind verziert mit roten Fleuronnéfäden, die sich um einzelne oder in Dreiergruppen angeordnete blaue Punkte schwingen. Die eigentlichen Anfänge der Paragrafen mit in die Zeile eingefügten roten Lombarden mit blauer Strichelung. Gelegentlich auch in der Klammerglosse zweizeilige Initialen mit Strichelung in Gegenfarbe, abwechselnd in Rot und Blau. Rote und blaue Capita-Zeichen.
- Nachträge und Benutzungsspuren
- Dem Codex wurden im Laufe der Benutzung im Mittelalter als Marginalien Glossen verschiedener Rechtsgelehrter hinzugefügt: Francesco d’Accorso (1225–1293) (2r, 15v, 19r–287v); Iacopo Bottrigari (1274–1347) (2r–2v, 9v, 12v–287v); Odofredo (†1265) (4r, 9v); Bartolo da Sassoferrato (um 1313–1357) (8r–8v, 12v, 88r, 148v); Raniero Arsendi (†1358) (40r); Hubertus de Bobbio (†1245) (52v, 53r–v, 54r–287v); Alberto da Pavia (belegt 1211–1240) (53r–v, 54r–287v); Giacomo Belvisi (um 1270–1335) (58v, 90v, 109r); Jacques de Révigny (um 1230–1296) (99v–100v, 101r–287v); Riccardo da Saliceto (†1379) (3r, 8r, 9v–287v); Guillaume de Cunh (†1336) (17v, 22r, 26v–287v); Johannes de Prato (15. Jh.) (13r); Raffaele Fulgosio (1367–1427) (11v, 31v, 34r, 35v–287v); Andrea Ciaffi (um 1318/1326) (166r); Guido da Suzzara (um 1225–1292) (8v, 19r); Martino Sulimani (1236–1306) (passim); Francesco Angiolello (15. Jh.) (2r, 93r, 198v); Lodovico Pontano (um 1409–1439) (8r); Niccolò Spinelli (1325–1406) (30v); Baldo degli Ubaldi (um 1327–1400) (8v); Oldrado da Ponte (†1335) (120v); Johannes Andreae (um 1270–1348) (11v); Floriano Sampieri (†1441) (278r); Lanfranco da Oriano (†1488) (9r); Angelo degli Ubaldi (um 1327–um 1407) (8v, 108v); Giovanni da Platea (†1427) (277v); Pàolo di Castro (†1441) (10v); Angelo Gambiglioni (1400–1485) (140r); Matteo Mattesilani (20r); Antonio Roselli (1381–1466) (92r); Alberico da Rosate (um 1290–1360) (11r); Bartolomeo da Saliceto (um 1330–1411) (149v); Giovanni Pietro de Ferrari († um 1416) (91r); Bartolomeo Cipolla (um 1420-um 1475) (108v); Francesco Capodilista (1405–1460) (67r); Michele de Marostica (15. Jh.) (222v); Francesco Zabarella (1360–1417) (160r); Giovanni Bovacchiesi (10v); Dino del Mugello (um 1254–um 1300) (69r); Cyno da Pistoia (um 1270–1336/37) (17r, 160v); ferner die nicht näher identifizierbaren Ant. de Caicta (113v); Saly. (11r), Zilio Citeroli und Jeronis de Zambechar (vgl. OVL; Sella, Sigle; Pace, Riccardo). Zudem zahllose anonyme Marginalien von mehreren Händen. – Viele Weisehände, Masken und verschiedentlich andere Marginalzeichnungen, u. a. 89v Pferde bei der Begattung, 92r Segelschiff, 97v Masken und Dolche, 119v ein Mann, einen Stein tragend, 124v Lampe auf Sockel (textnah), 125r ausschlagende Pferde, 145r Totenbahre, 147r Skelett, Frauenbüste, 176r ein Mann am Galgen, 205v ein Reiter, 233r Fisch, 240r Frau mit Puppe (?), 260r stehender Mann. – Die Nachträge 288–289 wurden dem Band vor der Anlage der zweiten Foliierung zugefügt, da die erste und die letzte Lage des Corpus damals bereits fehlten. Das einspaltig mit bis zu 42 Zeilen beschriebene Doppelbl. ist kleiner im Format, die Linien wurden auf ihm anscheinend nicht vorgezogen. Geschrieben wurde der Nachtrag in einer humanistisch beeinflussten Kanzleikursive, seine Überschriften 288r in einer frühhumanistischen Majuskel.
- Einband
- Pergamenteinband über Pappe, Kapital zweifarbig umstochen; in Rom um 1780 gefertigt (Schunke, Einbände 2.2, S. 850). Der Buchtitel direkt auf den Rücken notiert, darüber aufgeklebt barockes helles Signaturschild 732, unten zudem ein blaues Schildchen mit Pal. lat. 734.
- Provenienz
- Augsburg / Heidelberg.
- Geschichte der Handschrift
- Battelli lokalisiert die Schrift nach Bologna. Nach ihm wurden für Legaltext und Glosse zumindest indirekt das gleiche Exemplar wie für die Bologneser Hss. Pal. lat. 731, Vat. lat. 1409, Vat. lat. 1411, Vat. lat. 2513 und Paris, BnF, Lat. 14339 verwendet. Die fortschrittliche Textredaktion der Glossa ordinaria und die vielen Hinzufügungen unterstützen diese Lokalisierung, doch weist die Schrift für Bologna ungewöhnliche Züge auf, so die Füßchen an den Schäften, der unter die Linie gehende Bogen des h und die enge Zusammenziehung der Wörter. Das Fleuronné scheint in dieser Form ebenfalls nicht in Bologna nachweisbar. Entsprechend sollte weiter eine Entstehung an einer anderen Universitätsstadt, in der mit Pecien Hss. kopiert wurden, erwogen werden. Auch die Datierung wird durch die mangelnde Vergleichbarkeit erschwert. – Nach Pace soll Francesco Angiolello die Hs. erworben haben, der ab 1454 in Padua studierte und weitere Marginalglossen hinzufügte (Pace, Riccardo, S. 162f.) und darüber hinaus auch Pal. lat. 745, Pal. lat. 760 und Pal. lat. 786 besaß. – Im oberen Seitenrand von 1r Eintrag aus der Bibliothek von Ulrich Fugger 188. seors. sowie (vielleicht von anderer Hand) π [= FF] vetus (s. Einleitung). – Auf vorderem Vorsatz 1ar notiert 732, durchgestrichen 645. Hier auf dem Kopf stehend aufgeklebt ein Zettel mit Capsa-Nummer C. 89. und darunter die Allacci-Signatur 842, auf hinterem Schmutzblatt 290*v aufgeklebt die Nummer 668 (handschriftlich). – Der Inhalt sowie die Schriften zeigen, dass der Nachtrag 288r–289v wohl in einem universitären, schon humanistisch geprägten Milieu in (Ober-)Italien entstand.
- Literatur
- Abbondanza, Arsendi, S. 335; Battelli, Ricerche, S. 315, 322; Van den Bergh /
Stolte, The Unfinished, S. 251–305
(„Palatino-Vaticanus II“); Brenkman, Historia, Nr. II; Calasso, Sassoferrato, S.
662; Calasso, Criteri, S. 504f.; Caprioli, Belvisi, S. 94; D’Amelio, Transazione, S. 232–233
A. 190; Gero Dolezalek, Der Glossenapparat des Martino
Gosia zum Digestum vetus, in: ZRG RA 94 (1967), S. 245–349, hier A.
13; Jean-François Genest, Le fonds juridique d’un
stationnaire italien à la fin du XIIIe siècle: matériaux nouveaux pour
servir à l’histoire de la pecia, in: La production du livre
universitaire au Moyen Age. Exemplar et pecia. Actes du symposium tenu
au Collegio San Bonaventura de Grottaferrata, mai 1983, Paris 1988, S.
133–154, hier S. 144; Hanselmann, Bücherschenkung, S.
126, Nr. 1; Jakobs, Or signori, S. 316 (Sigle
V 16); Lehmann, Fuggerbibliotheken 2, S.
114, 480; Maffei, La donazione, S. 72 A.
25; Manuscripta
juridica, Pal.lat.732; OVL,
Pal.lat.732; Pace, ‚Garnerius Theutonicus’ 1,
S. 92 A. 1; Pace, Riccardo, S. 12 A. 11, 87 A.
1, 88 A. 5, 89 A. 10, 90 A. 24, 98 A. 97, 99, 132 A. 17, 162f.; Paradisi, La diffusione, S. 8 A.
12, 35; Sella, Sigle, S. 180, 187, 189,
193, 200, 202; Soetermeer, Famille de copistes,
S. 495 A. 206; Stevenson, Latini, S. 268.
Verzeichnis der im Katalogisierungsprojekt abgekürzt zitierten Literatur
1) 1ra–287vc
- Titel
- Digestum vetus cum Glossa ordinaria.
- Angaben zum Text
- Erster Teil der von Kaiser Justinian I. 533 promulgierten Rechtssammlung, begleitet von der Glossa ordinaria des Accursius in einer späteren Stufe (Jakobs). Nach Calasso stammen zusätzliche Glossen aus dem Werk von Bartolo da Sassoferrato, Caprioli identifiziert wohl 1301–02 entstandene Additiones des Giacomo Belvisi. Wohl nach 1319 entstandene Additiones stammen von Rainiero Arsendi (Abbondanza, Arsendi), Martino Sulimani und Guido da Suzzara (Dolezalek). (Vgl. auch Nachträge und Benutzungsspuren). – Anfang und Ende des Textes sind verloren, der Text beginnt in Dig. 1.7.23 und endet in Dig. 23.3.72: (1rb–7vc) Buch 1; (7vc–27rb) Buch 2; (27rb–45rb) Buch 3; (45rb–72rc) Buch 4; (72rc–89rb) Buch 5; (89rb–96rc) Buch 6; (96rc–108vc) Buch 7; (109rb–118vb) Buch 8; (118vc–129vb) Buch 9; (129vb–140rc) Buch 10; (140rc–148rb) Buch 11; (148rb–164vc) Buch 12; (164vc–176rb) Buch 13; (176rb–185rb) Buch 14; (185rb–195rc) Buch 15; (195rc–203vc) Buch 16; (204rb–218vb) Buch 17; (218vc–231rc) Buch 18; (231rc–246vc) Buch 19; (247rb–255vb) Buch 20; (255vc–269vc) Buch 21; (270rb–278vc) Buch 22; (278vc–287vc) Buch 23. – Nach Battelli ist hier der Legaltext (nach Bologneser Tradition) in 73 und der Glossentext in 84 Pecien aufgeteilt. Die ebenfalls von Battelli behauptete Unterteilung in zwei „Partes“ (nach 147v) lässt sich nicht bestätigen. – Rechteckig gerahmte Pecienververmerke zum Legaltext u. a. 7vb, 11vc (rasiert), 16rb, 20vb, 24vc, 29vb (rasiert), 34rc, 39rb, 43rc, 48rb, 54rc, 59rb, 64rb, 73rc, 81rc, 85rc, 89vb, 98rc, 102rb, 105vb, 112rb, 115vb, 122vc, 126rc, 130rc, 134rb, 145rb, 152vb, 156vc, 165rb, 173rc, 177rc, 195rb, 199vc, 217vc, 222rc, 226vc, 231rc, 240rc, 245rb, 249rc, 253vb, 257vb, 265vb, 270rb, 274vc, 279vc, 284rb, 287vc.
- Incipit
- 1rb [Anfang verloren, heutiger Beginn:] … [lo]co non est, neque enim agnascitur …
- Explicit
- 287vc [Schluss verloren, bricht ab nach:] … sed non plus esse in promissione bonorum quam quod superest deducto ęre alieno.
- Edition
- Digestum vetus, Lyon 1627.
2) 288r
- Titel
- Juristische Notiz.
- Incipit
- 288r Si locus 8 post c. Quemadmodum …
3) 288r–289v
- Titel
- Lectura Digesti veteris.
- Rubrik
- 288r ›De actionibus empti‹.
- Incipit
- 288r ›Si res vendi‹ institutam secundam dotatione vendere …
- Bearbeitet von
- Dr. Christoph Winterer, Universitätsbibliothek Heidelberg, 2024.
Zitierempfehlung:
Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 732. Beschreibung von: Dr. Christoph Winterer (Universitätsbibliothek Heidelberg), 2024.
- Katalogisierungsrichtlinien
- Die Katalogisierungsrichtlinien finden Sie hier.
Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Erschließung von 876 mittelalterlichen und frühneuzeitlichen lateinischen Handschriften der Heidelberger Bibliotheca Palatina in der Vatikanischen Bibliothek in Rom.