Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 742

Infortiatum cum Glossa ordinaria

Pergament · 2, 269, 4 Bll. · 45,6–46,3 × 28,4–28,8 cm · Bologna · um 1290


Schlagwörter (GND)
Römisches Recht / Corpus iuris civilis / Digesta / Infortiatum.
Entstehungsort
Bologna.
Entstehungszeit
um 1290.
Typus (Überlieferungsform)
Codex.
Beschreibstoff
Pergament.
Umfang
2, 269, 4 Bll.
Format (Blattgröße)
45,6–46,3 × 28,4–28,8 cm.
Zusammensetzung (Lagenstruktur)
(I-1)1a + (V+1)10 + IV18 + 8 V88 + II92 + 4 V132 + IV140 + 5 V190 + II194 + 6 V254 + (II+4)262* + (I-1)263*. Vorderer Spiegel Gegenbl. von 1a, hinterer Spiegel Gegenbl. von 263*. Zählfehler: auf 89 folgt ein zweites Mal 80. 2a gehört zur ersten Lage. Lagenformel ab 255 nicht eindeutig bestimmbar, auch 2 II262* denkbar.
Seiten-, Blatt- und Lagenzählung
Vor- und Nachsatzbll. ungez. Römische Foliierung des 17. Jhs. (1–260). Bei ungez. Bll. folgt die Zählung dem Digitalisat (1a–2a, 261*–263*). Durchgängig verzierte Reklamanten auf der letzten Versoseite der Lage auf dem Fußsteg rechts (fehlen auf 92v, 194v). Lagenfoliierung mit Buchstaben und Zeichen.
Zustand
1r etwas ausgeblichen. Zahlreiche Gebrauchsspuren. Leichter Wasserschaden am oberen Rand, auf den letzten Bll. auch auf dem Bundsteg. 104 untere Ecke mit Pergament restauriert (Textverlust).

Schriftraum
30,5–42 × 23,3–25,5 cm (mit Klammerglosse); 26–26,7 × 14,5–14,7 cm (ohne Klammerglosse).
Spaltenanzahl
4 Spalten.
Zeilenanzahl
Legaltext: 22–50 Zeilen, Klammerglosse: 6–99 Zeilen.
Angaben zu Schrift / Schreibern
Die Schrift ist ein typisches Beispiel der in Bologna gepflegten Littera Bononiensis. Aufgrund ihrer Standardisierung sind Aussagen über verschiedene Hände kaum möglich. Alleine beim Inhaltsverzeichnis auf 158v–159r ist eine andere Hand erkennbar. Die Schrift ist entsprechend dem anspruchsvollen Buchschmuck kalligrafisch aufwändig gestaltet.
Buchgestaltung
Zeilengerüst mit Silberstift vorgezogen. Seitentitel mittig mit einem L auf der Versoseite und der dem jeweiligen Buch zugeordneten Ziffer auf der Rectoseite in Blau und Rot. Mittig und zweispaltig angelegter Text ist von Klammerglosse umflossen. Im Legaltext beginnt jedes Buch mit Miniatur, jeder Titel mit Rankeninitiale oder Bildeinschlussinitiale mit Person im Schulterstück, zuvor genannte Tituli rubriziert. In jeder Lex ist jeweiliger Jurist mit blauer Lombarde mit Fleuronnébesatz, Anfang des Gesetzestexts mit roter Lombarde mit grafischen Verzierungen in Blau hervorgehoben. Ferner Paragrafenzeichen alternierend in Blau und Rot. Verweise zwischen Legaltext und Klammerglosse anhand von Buchstaben. In Klammerglosse Titel zuweilen Rankeninitiale vorangestellt, ferner Unterteilung mit alternierend blauen und roten Lombarden mit Fleuronnéverzierungen sowie alternierend blauen und roten Paragrafenzeichen.
Buchschmuck
Mehrere Buchmaler für die Miniaturen: (I) bis 9v sowie wieder 93r-109r, 137r, 156v, 238v der Meister der Bibel von Girona (Girona-Meister); (II) 16r-34v, 93r, 195r-198v ein Nachfolger des Girona-Meisters; (III) 50v-79v, 122v, 137r, 175r, 175v, 220r, 238v mindestens ein weitere Bologneser Maler, wohl mit Gehilfen. Bilderschließung online in heidICON.

Nachträge und Benutzungsspuren
Zahlreiche Korrekturen, Anmerkungen und Verweise von mehreren Händen, wie auch mannigfache grafische Verweiszeichen.

Einband
Römischer Einband, Pappe mit weißem Pergament überzogen, in Rom um 1780 gefertigt (Schunke, Einbände 2.2, S. 850), Löcher für Schließbänder noch vorhanden. Gelb-kupferfarbenes Kapital. Auf Buchrücken zwei blaue aufgeklebte Schildchen mit aktueller Signatur, dazwischen Rückentitel: INFORTIATUM.
Provenienz
Pavia / Padua / Heidelberg.
Geschichte der Handschrift
Auf Vorderspiegel blaues aufgeklebtes Schildchen mit aktueller Signatur. Auf 1ar nebst aktueller Signatur Altsignatur 654 [durchgestrichen], auf 2ar Capsa-Nummer C. 81, darunter unleserliche Allacci-Signatur, daneben unleserliche Altsignatur. Weitere Altsignaturen auf 1r 557 und auf 262*v 18 und 1823. Buchschmuck und Schrift sprechen für die Entstehung der Hs. in Bologna um 1290. Dass sie an der dortigen Universität hergestellt wurde, zeigen die Hinweise auf eine Produktion anhand von Pecien. So finden wir auf der letzten Versoseite jeder Lage auf dem Fußsteg links meist den Vermerk des Korrektors: cor. mi. und Ziffer (cor. steht für correxi / correcta, mi. auf 88v ausgeschrieben: minora?), auf 217r im mittleren Interkolumnium finit vij., das Ende der siebten Pecia anzeigend. Erster belegbarer Besitzer der Hs. ist Arduino Geremia, der von 1392 bis 1398 als Student in Pavia nachweisbar ist. Dort verkaufte er Cosimo Veronesi neben einer Ausgabe des Codex Iustinianus (Pal. lat. 759) auch vorliegendes Infortiatum. So heißt es auf 262*r: Die primo Jullij 9viij dominus Arduynus de Cicillia pro jncontro de vno codice dato domino Coxima de Cicillia quod habeo a suprascripto domino Arduyno. 262*v gibt den Schätzwert der Hs. wieder: Die 9 Augusti Inforciatum domini Cosme de Veronixijs de Cicilia extimatum Florenis triginta auri. Ambrosinus de Pergamo [triginta auri steht auf Rasur. Angabe nach Gargan, L’enigmatico ‚conduxit‘, S. 35]. Es ist gut möglich, dass die Schätzung mit dem Verkauf des Buchs durch Cosimo in Verbindung steht. Zwar ist dieser bis 1439 in den Paveser Quellen nachweisbar (Pace, Cosmas, S. 195f.), er muss seine drei uns bekannten Hss. jedoch zuvor veräußert haben (neben Pal. lat. 759 auch Pal. lat. 731). Denn auf 1r ist auf dem Fußsteg rechts lesbar: Dominus Antonius conduxit in Paduam 13 Augusti 1419, sowie die Unterschrift Mel subscripsi. Vermerke dieser Art sind Zeugnis des Privilegs der Studenten, zollfrei Bücher nach Padua einführen zu dürfen. Damit muss der Codex später einem gewissen Antonius gehört haben. Bereits 1407 muss die Hs. schon einmal in Padua gewesen sein. Denn unter der Quarzlampe ist auf 1r auf dem Fußsteg links lesbar: Dominus Cosmas conduxit in Paduam (Gargan, L’enigmatico ‚conduxit‘, S. 35). Da Pal. lat. 731, Pal. lat. 742 und Pal. lat. 759 zweifelsohne dieselben Vorbesitzer hatten, vermutet Lehmann, dass alle drei Bände schließlich in die Bibliothek des Ulrich Fugger (1526–1584) gelangten. Als Beweis führt er eine Hen-Signatur in Pal. lat. 731 an, die sich in den Digitalisaten jedoch nicht finden ließ.

Faksimile
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bav_pal_lat_742
Literatur
Ausst.-Kat. Palatina, S. 54f.; Van den Bergh / Stolte, The Unfinished, S. 251–305; Berschin, Palatina, S. 81; Luciano Gargan, „Extimatus per bidellum generalem Studii Papiensis“. Per una storia del libro universitario a Pavia nel Tre e Quattrocento, in: Per Cesare Bozzetti. Studi di letteratura e filologia italiana, hrsg. von Simone Albonico, Mailand 1996 (Testi e strumenti di filologia italiana. Strumenti 2), S. 19–36, hier S. 30f.; Hanselmann, Bücherschenkung, S. 126; Lehmann, Fuggerbibliotheken 2, S. 481; Manuscripta juridica, Pal.lat.742; Speciale, Libri, S. 77 A. 1; L’Engle, Illumination, S. 201 A. 102, 205 A. 113, 207 A. 119, 208 A. 123, 231 A. 173, 232 A. 174, 235 A. 185, 257 A. 243, 280 A. 298, 301; Pace, Cosmas, passim; Pace, Riccardo, S. 172, 174, 175 A. 27, 188; Röhle, Vulgathandschriften, S. 366; Schunke, Einbände 2.2, S. 850; Stevenson, Latini, S. 270; Veronese Ceseracciu / Zen Benedetti, Bibliografia, S. 313.
Verzeichnis der im Katalogisierungsprojekt abgekürzt zitierten Literatur

1) 1ra–259rc Digitalisat

Beteiligte Personen
Justinian I. (GND-Nr.: 11855896X) / Accursius (GND-Nr.: 100956599).
Titel
Infortiatum cum Glossa ordinaria.
Angaben zum Text
Von Kaiser Justinian I. in Auftrag gegebene Rechtssammlung mit der Glossa ordinaria des Accursius (um 1182/85–um 1260/63): (1rb–9rc) Dig. 24.3.0–Dig. 24.3.67; (9vb–16rb) Buch 25; (16rb–34vc) Buch 26; (34vc–50vc) Buch 27; (50vc–79rc) Buch 28; (79vb–90vb) Buch 29; (91r) Notizen; (91v–92r) leer; (92v) Notizen; (93rb–109rc) Buch 30; (109rc–122vc) Buch 31; (122vc–137rc) Buch 32; (137rc–156vc) Buch 33; (156vc–175rc) Buch 34; (175vb–194vb) Dig. 35.1.0–Dig. 35.2.82; (195rb–198vc) Dig. 35.2.83–Dig. 35.3.9; (198vc–219vc) Buch 36; (220rb–238vb) Buch 37; (238vb–257vc) Buch 38; (258r) Notizen; (258va–259ra) Inhaltsverzeichnis. – 1ar–2av leer. – 259v leer. – 260ra–260rc Alphabetisches Register und Merkverse zu den Monaten (s. Walther, IC, Nr. 9726). – 260v Notizen zu gerichtlichen und willkürlichen Strafen. – 261*r–261*v leer. – 262*r Kaufvermerk. – 262*v Schätzvermerk. – 263*r–263*v leer.
Rubrik
1rb ›Soluto matrimonio quamadmodum dos petatur. Rubrica‹.
Incipit
1rb ›Dotiscausa semper et ubique precipua est: nam et rei publice interest dotes mulieribus conseruari …
Explicit
257vc … uel etiam quod filius qui in hostium potestate erat postliminio non sit reuersus.Explicit liber trjum partjum. Deo gracjas‹.
Edition
Infortiatum, Lyon 1627.


Bearbeitet von
Dr. Thorsten Huthwelker, Dr. Christoph Winterer, Universitätsbibliothek Heidelberg, 2024.


Zitierempfehlung:


Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 742. Beschreibung von: Dr. Thorsten Huthwelker, Dr. Christoph Winterer (Universitätsbibliothek Heidelberg), 2024.


Katalogisierungsrichtlinien
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Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Erschließung von 876 mittelalterlichen und frühneuzeitlichen lateinischen Handschriften der Heidelberger Bibliotheca Palatina in der Vatikanischen Bibliothek in Rom.