Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 744

Infortiatum cum Glossa ordinaria

Pergament · 1, 229, 1 Bll. · 43,1 × 26,5 cm · Südfrankreich · 3. Viertel 13. Jh.


Schlagwörter (GND)
Römisches Recht / Corpus iuris civilis / Digesta / Infortiatum.
Entstehungsort
Südfrankreich.
Entstehungszeit
3. Viertel 13. Jh.
Typus (Überlieferungsform)
Codex.
Beschreibstoff
Pergament.
Umfang
1, 229, 1 Bll.
Format (Blattgröße)
43,1 × 26,5 cm.
Zusammensetzung (Lagenstruktur)
(I-1)1a + 18 VI215 + VII229 + (I-1)230*. Zählfehler: 13a ungez. Zudem 216 als 206 bezeichnet. Vorsatzbl. 1a bildet Gegenbl. des vorderen Spiegels, 230* das des hinteren.
Seiten-, Blatt- und Lagenzählung
Vatikanische Blattzählung rechts oben 1-229. Bei ungez. Bll. folgt die Zählung dem Digitalisat (1a, 13a, 230*). Reklamanten von Schreiberhand ab 23v.
Zustand
Hinten Verlust von Blättern mit Text. Wurmfraß am hinteren Spiegel. Rücken heute beschädigt.

Schriftraum
36–38 × 24,6 cm.
Spaltenanzahl
Textus inclusus und Klammerglosse jeweils zweispaltig.
Zeilenanzahl
Text inclusus 44–51 Zeilen, Klammerglosse bis zu 106 Zeilen.
Angaben zu Schrift / Schreibern
Die Schrift, eine südeuropäische Textualis (Rotunda), zeigt südfranzösische Züge wie Verdickungen an den Füßchen von m, n und u sowie doppelstöckiges a.
Buchgestaltung
Die übliche Seiteneinrichtung glossierter Rechtshss.: zweispaltiger Text mit umgebender zweispaltiger Klammerglosse, in der Terminologie von Powitz, Textus, S. 84f., Klammerform des Vier-Spalten-Typs. Mit Metallstift vorgezogene Liniierung. Die Liniierung nutzt den Seitenplatz sehr weit aus, so dass vergleichsweise wenig Platz für spätere Annotationen bleibt. – Zu Beginn aller Bücher Deckfarbenminiaturen, -initialen und –rahmungen (s. Buchschmuck). Die Tituli beginnen mit eingerückten, in der Regel dreizeiligen blauen Lombarden mit rotem Parallelstrichfleuronné. Kleinere Varianten davon an den Anfängen der Leges vor dem Zeilenspiegel; die Autorennamen hier in der Zeile mit kleinen roten Lombarden. Die Verweisung zur Glosse durch eingerückte Lombarden, alternierend rot und blau und mit ähnlichem Fleuronné in Gegenfarbe. Das Fleuronné für das S ganz am Anfang der Glosse 1ra komplexer, stärker französisch orientiert als sonst.
Buchschmuck
Spaltenbreite Deckfarbenminiaturen sowie damit verbundene Initialen und rahmende Ausläufer, die letzteren verbunden mit Drolerien. Die Miniaturen textnah, 1rb: ein Bischof trennt Männer und Frauen, die durch unterschiedliche Türen hinausgehen (Scheidung); 8vc: Gegenüber Richter und Ehefrau verweist der Mann auf die Aufwendungen für ein zur ‚Dos‘ gehörendes Haus; 14rc: Der Richter weist auf den mit Vieh begüterten Vormund für den vor ihm knienden Knaben; 28rc: Ein Richter weist einen Knaben an, zu einem Vormund zu gehen, bei dem schon vier Kinder stehen; 40vb: Mehrere Personen diskutieren heftig am Bett eines (testamentlos) Sterbenden; 61rc: Ein Ritter mit einem von einem Pfeil durchbohrten Kopf schreibt sein Testament mit einem Stock (mit Blut?) auf seinen Schild; 79rc: Ein Priester bringt dem im Kreis der Familie Sterbenden die Kommunion, während ein Notar am Bettende letztwillige Verfügungen notiert; 92vc: Besucher am Bett des Sterbenden suchen sich Objekte aus (für Legate); 104rb: Erben nehmen Objekte aus dem Raum, in dem der Verstorbene liegt (nicht zu Buch 32, immer noch zu den Legaten); 117rc: Am Bett eines Sterbenden steht ein Priester und weist auf eine Gruppe Männer; jener hält sein Testament in die Höhe; ein Notar schreibt in einen Rotulus; 135rc: Zwei Frauen bringen einer Stillenden (ererbte) Lebensmittel; 152rc: Ein Sterbender diktiert sein Testament, während seine Frau mit einer Gruppe von Männern diskutiert; 171rb: Ein Erbe übergibt (?) dem Richter vor Zeugen ein Dokument und erhält (?) einen viertel Laib Brot; 190vc: Ein Mann mit den Tieren seines Besitzes vor einem Richter; 208vb: Der Richter redet mit zwei Arbeitern, während ein dritter gräbt. Bilderschließung online in heidICON.

Nachträge und Benutzungsspuren
Viele kürzere interlineare und marginale Annotationen von einer immer wiederkehrenden dunkle Tinte benutzenden Hand. Auf nicht wenigen Seiten auch längere spätere Randglossen in einer helleren Tinte.

Einband
Pergamentband über Pappe, nach Schunke, Einbände 2.2, S. 850, um 1780 in Rom entstanden. Oben aufgeklebt auf den Rücken barockes helles Signaturschild 744, darunter Buchtitel direkt auf den Rücken notiert; unten blaues Schildchen mit Pal. lat. 744. Anscheinend wurde der Band früher mit zwei Schnüren zusammengebunden, auf die jetzt nur noch Befestigungslöcher im Pergament hinweisen.
Provenienz
Augsburg / Heidelberg.
Geschichte der Handschrift
Außer auf dem Rücken auch ein blaues Signaturschild Pal. lat. 744 auf dem vorderen Spiegel. Auf Vorsatzblatt 1av notiert 744 und – durchgestrichen – 656. Dazwischen ist der Rest eines älteren Papierblatts mit der Capsa-Nummer C. 86, der Allacci-Signatur 871 sowie die auf ein unbekanntes Fugger-Inventar zu beziehende Angabe pag. 159. b. F. / N°. 6 / In iure angebracht. – 1r unten ist vermutlich 515 notiert. Auf dieser Seite findet sich oben die Signatur aus der Bibliothek Ulrich Fuggers (1526–1584) 297. seors., die auf einzelne Erwerbungen des Sammlers hindeutet (s. Einleitung). Mit der Fuggerbibliothek 1567 von Augsburg nach Heidelberg und nach Fuggers Tod in den Besitz des pfälzischen Kurfürsten gelangt. – Die Mischung erkennbar französisch-gotischer Miniaturen und Initialen mit italienisch inspirierten Fleuronné und Zierstäben sowie die Schrift lassen eine Entstehung des Codex in allen seinen Elementen in Südfrankreich vermuten. Die Miniaturen zeigen auffällig viele Details der Zivilkleidung, vor allem lange Ärmelmäntel mit Kapuzen, Birette und turbanartig gedrehte Mützen. Trotz der häufig dargestellten Knopfreihen, die als relativ frühe Beispiele gelten können, müssen die Miniaturen als provinzielle Nachfolge der Pariser Buchmalerei vor der Jahrhundertmitte verstanden werden. Auch die Initialen weisen eher ins 3. Viertel des 13. Jhs. hin als in ein späteres Jahrzehnt.
Besonderheiten
Frühe illuminierte Rechtshs. aus Frankreich.

Faksimile
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bav_pal_lat_744
Literatur
Brenkman, Historia, S. 283, Nr. III; Manuscripta juridica, Pal.lat.744; Hanselmann, Bücherschenkung, S. 126, Nr. 3; Lehmann, Fuggerbibliotheken 2, S. 117, 481; Stevenson, Latini, S. 270.
Verzeichnis der im Katalogisierungsprojekt abgekürzt zitierten Literatur

1) 1ra–229rb Digitalisat

Beteiligte Personen
Justinian I. (GND-Nr.: 11855896X) / Accursius (GND-Nr.: 100956599).
Titel
Infortiatum cum Glossa ordinaria.
Angaben zum Text
Von Kaiser Justinian I. in Auftrag gegebene Rechtssammlung mit der Glossa ordinaria des Accursius (um 1182/85–um 1260/63). – (1rb–8vc) Dig. 24.3.0-Dig. 24.3.67; (8vc–14rc) Buch 25; (14rc–28rc) Buch 26; (28rc–40vb) Buch 27; (40vb–61rc) Buch 28; (61rc–79rc) Buch 29; (79rc–92rc) Buch 30; (92vc–104rb) Buch 31; (104rb–117rc) Buch 32; (117rc–135rc) Buch 33; (135rc–152rc) Buch 34; (152rc–171rb) Buch 35; (171rb–190vc) Buch 36; (191rb–208vb) Buch 37; (208vb–229rb) Buch 38.
Rubrik
1rb ›Soluto matrimonio quemadmodum dos petatur. Rubrica‹.
Incipit
1rb ›Dotiscausa semper et ubiquepraecipua est: nam et publiceinterest dotes mulieribusconservari‹ …
Explicit
229rb … uel etiam quod filius qui in hostium potestate erat postliminio non sit reuersus. Expliciunt Tres partes Inafortiati [!].
Edition
Infortiatum, Lyon 1627.

2) 229ra–b Digitalisat

Titel
Register zum Infortiatum.
Angaben zum Text
Nachgetragenes Register mit den nach Büchern gegliederten Rubriken der Tituli; wohl Italien, Ende 14. Jh. oder etwas später.
Incipit
229ra De soluto matrimonio quemadmodum dos petatur …

3) 229v Digitalisat

Beteiligte Personen
Justinian I. (GND-Nr.: 11855896X).
Titel
Kommentar zum Brief des Justinian über die Gültigkeit der Digesten, Cod. 1.17.2.pr.
Angaben zum Text
Nachtrag, bricht ab. Kursive, wohl Anfang 15. Jh.
Incipit
229v In nomine domini salvatoris et individue trinitatis, patris et filii et spiritus sancti: More terrigenarum solito ad immortalitatis respiciens …


Bearbeitet von
Dr. Christoph Winterer, Universitätsbibliothek Heidelberg, 2024.


Zitierempfehlung:


Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 744. Beschreibung von: Dr. Christoph Winterer (Universitätsbibliothek Heidelberg), 2024.


Katalogisierungsrichtlinien
Die Katalogisierungsrichtlinien finden Sie hier.

Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Erschließung von 876 mittelalterlichen und frühneuzeitlichen lateinischen Handschriften der Heidelberger Bibliotheca Palatina in der Vatikanischen Bibliothek in Rom.