Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 752

Digestum novum cum Glossa ordinaria

Pergament · 1, 199, 1 Bll. · 38,8 × 23,5 cm · Oberitalien, wohl Bologna / Orléans · 1. Hälfte 13. Jh. / 1. Hälfte 14. Jh.


Schlagwörter (GND)
Römisches Recht / Corpus iuris civilis / Digesta / Digestum novum.
Entstehungsort
Oberitalien, wohl Bologna / Orléans.
Entstehungszeit
1. Hälfte 13. Jh. / 1. Hälfte 14. Jh.
Typus (Überlieferungsform)
Codex.
Beschreibstoff
Pergament, Vorsatzblätter Papier.
Umfang
1, 199, 1 Bll.
Format (Blattgröße)
38,8 × 23,5 cm.
Zusammensetzung (Lagenstruktur)
(I-1)1a + 17 IV136 + (IV+1)145 + 4 IV177 + (III+1)183a + III189 + (VI-2)199 + (I-1)200*. Zählfehler: 183a ungez. Gegenbll. der Vorsatzbll. 1a und 200* dienen als vorderer und hinterer Spiegel. Am Anfang der Verlust einer Quaternione rekonstruierbar.
Seiten-, Blatt- und Lagenzählung
Neben der gültigen vatikanischen Seitenzählung rechts oben (1–199) existiert 1r–191r rechts unten eine ältere Zählung, die noch die beim Eintritt in die Fuggerbibliothek bereits verlorenen ersten acht Seiten berücksichtigt (9–199). Bei ungez. Bll. folgt die Zählung dem Digitalisat (1a, 183a, 200*). Reklamanten von Schreiberhand 16v–40v, 64v, 120v–177v an wechselnden Stellen unten im unteren Rand. 72v, 96v stattdessen das Wort usque.
Zustand
Anfang verloren, teilweise löchriges, oft dunkles oder gelbliches Pergament. Gelegentlich verblasste Tinte (u. a. Textus inclusus 21v). In 164 ein langer vernähter Riss. Doppelblatt 92/93 fast auseinandergerissen.

Schriftraum
28,8 × 20,2 cm.
Spaltenanzahl
Je 2 Spalten für den Textus inclusus und für die später hinzugefügte Klammerglosse, 190v–192v, 194r–197v Textus inclusus einspaltig mit (halber) Klammerglosse neben einer Spalte Kommentar. 193rv nur zweispaltiger Kommentar.
Zeilenanzahl
49 Zeilen für den Textus inclusus, bis zu 111 Zeilen für die Klammerglosse.
Angaben zu Schrift / Schreibern
Die Schrift des Legaltexts lässt sich gut mit der von oberitalienischen Hss. des beginnenden 13. Jhs. wie Vat. lat. 1408 vergleichen. Anscheinend wurde sie von einer Hand in einer späten karolingischen Minuskel ausgeführt. Die Klammerglosse, in früher südeuropäischer Textualis (Rotunda), ist hingegen nicht von Bologneser Hand ausgeführt. Nach Einschätzung von Soetermeer wurde sie über einer rasierten Vorgängerin angelegt.
Buchgestaltung
Trotz des zeitlichen Abstands zwischen Haupttext und Glosse war die Hs. von Anfang an für die typische, bei glossierten Rechtshss. des Mittelmeerraums verbreitete Seiteneinrichtung vorbereitet: zweispaltiger Text mit umgebender zweispaltiger Klammerglosse, in der Terminologie von Powitz, Textus, S. 84f., Klammerform des Vier-Spalten-Typs. – Anscheinend mit Metallstift vorgezogener, später radierter Schriftspiegel. Grundlinien bis zum Rand durchgezogen. Buchzählung als lebender Seitentitel in Rot und Blau im Seitenkopf, von I bis XII. – Verschiedene Kennzeichnungen der Anfänge der Bücher (s. Buchschmuck). Vor den Autorennamen zwei- bis dreizeilige alternierend rote oder blaue Initialen vor der Textspalte. Eingerückt dahinter die kleineren Initialen in der jeweiligen Gegenfarbe am Anfang der Leges. Alternierend rote und blaue Caputzeichen in unterschiedlicher Ausformung. In der (jüngeren) Glosse beginnen die Abschnitte mit kleinen Initialen mit Strichelfleuronné, wiederum alternierend blau oder rot. Am Anfang der Bücher in der Glosse vierzeilige Initialen mit etwas aufwendigerem Fleuronné. Die Verweisung vom Text auf die Glosse erfolgte durch ein System aus Buchstaben, Punkten und Strichen.
Buchschmuck
10rc, 34vc, 50vc, 61vc größere blau-rote Fleuronné-Initialen U mit dahinter zweizeilig in ausgezogener rot-blauer Zierschrift ULPIANUS LIBRO. Weitere größere Fleuronné-Initialen (U) auf 1rc, 4rc. In ausgezogener blauer Zierschrift mit rotem Fleuronné 80vc, 92rb ULPIANUS; 138rb etwas kleiner und rot-blau ULPIANUS sowie die Initiale N. Öfter auch kleinere Zierbuchstaben (105rb vor Dig. 46 allerdings ausgelassen). Die Fleuronnéinitialen, verziert mit Perlenreihenornament, gehören erst der zweiten Ausstattungsphase des Codex an. Hingegen finden sich 33vc–34vb drei mit Rot gezeichnete kleine Tierinitialen in romanischem Stil, die vermutlich zur Erstausstattung gehören.

Nachträge und Benutzungsspuren
Interlinearglossen an vielen Stellen. 198v–199v voller späterer Notizen und Federproben (unten nur in Auswahl erfasst).

Einband
Pergamentband über Pappe, nach Schunke, Einbände 2.2, S. 850, um 1780 in Rom entstanden. Oben aufgeklebt auf den Rücken barockes helles Signaturschild 752, darunter direkt auf den Rücken der Buchtitel notiert; unten blaues Schildchen mit Pal. lat. 752. Löcher für zwei Schließschnüre in beiden Deckeln.
Provenienz
Augsburg / Heidelberg.
Geschichte der Handschrift
Blauer Signaturaufkleber mit Pal. lat. 752 außer auf dem Rücken auch auf dem vorderen Spiegel. Auf Vorsatzbl. 1ar außer 752 und Pal. die durchgestrichene Nummer 628. Der Eintrag 194. seors. oben auf 1r legt nahe, dass die Hs. eine Einzelerwerbung für die Bibliothek des Ulrich Fugger (1526–1584) darstellt. – Der Legaltext wahrscheinlich im Umfeld der bereits florierenden Universität Bologna entstanden (s. Angaben zu Schrift / Schreibern). 199r findet sich zumindest ein Eintrag, der erkennbar mehrere italienische Personen- und Ortsnamen enthält. Die Zuordnung der Redaktion der deutlich später nachgetragenen und paläographisch eigenständigen Glosse zur Rechtsschule von Orléans durch Soetermeer 1997 spricht ebenso für eine Glossierung an diesem Ort wie die Notiz zum ‚estagium‘ eines studierenden Klerikers mit Beziehungen zum Abt von Saint-Euverte und den Bischof von Orléans auf 198v. Die in dieser zweiten Arbeitsphase ausgeführten Initialen lassen sich denen in der wohl in Orléans entstandenen Hs. Lat. 4488 der BnF in Paris an die Seite stellen.

Faksimile
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bav_pal_lat_752
Literatur
Caprioli, Tre capitoli, S. 365; Hanselmann, Bücherschenkung, S. 126, Nr. 3; Lehmann, Fuggerbibliotheken 2, S. 482; Manuscripta juridica, Pal.lat.752; OVL, Pal.lat.752; Soetermeer, Utrumque ius, S. 326; Soetermeer, Due tradizioni, S. 101, 109, 115 (Sigle Vag); Stevenson, Latini, S. 271.
Verzeichnis der im Katalogisierungsprojekt abgekürzt zitierten Literatur

1) 1ra–198rc Digitalisat

Beteiligte Personen
Justinian I. (GND-Nr.: 11855896X) / Accursius (GND-Nr.: 100956599).
Titel
Digestum novum cum Glossa ordinaria, am Beginn unvollständig.
Angaben zum Text
Dritter Teil der von Kaiser Justinian I. in Auftrag gegebenen Rechtssammlung mit der Glossa ordinaria des Accursius (um 1182/85-um 1260/63): - (1rb–10rb) Dig. 39.2.44pr.–6.44; (10rc–34vb) Dig. 40; (34vc–50vb) Dig. 41; (50vc–61vc) Dig. 42; (61vc–80vc) Dig. 43; (80vc–91vc) Dig. 44; (92rb–105rb) Dig. 45 (zwischen 96vc und 97rb Lücke zwischen Dig. 45.1.75.8 … non constituit incertum […] und Dig. 45.1.76pr Si stipulatus fuerim …, später unvollständig aufgefüllt); (105rb–120vc) Dig. 46; (120vc–137vc) Dig. 47; (138rb–158vb) Dig. 48; (158vb–172rc) Dig. 49; (172rc–198rc) Dig. 50. – Nach Einschätzung von Soetermeer 1997, S. 109, ist die rahmende Glosse über Rasur geschrieben. Sie enthält bereits weitgehend alle späteren Additiones des Accursius.
Incipit
1rb [Anfang verloren, beginnt:] […] pretor constituere debeat et mea culpa dampnum sim passus,…
Explicit
198rb Seruus rei publice causa habesse [!] non potest.
Edition
Digestum novum, Lyon 1627.

2) 198vb–199v Digitalisat

Titel
Von verschiedenen Händen nachgetragene juristische Fallbeispiele und Exzerpte.
Angaben zum Text
199v ausgeblichen und weitgehend unleserlich. Nur 198v–199r eine improvisierte Teilung in zwei Spalten. In einer beschädigten Notiz in der linken Marge von 198va Erwähnung des Jahres 1192, des Sohnes eines Albertus und Kaiser Heinrichs [VI.]: … filius domini Alberti […]pano millesimo centesimo XC secundoImperatore Henrico regnante … 199r oben auch kalendarische Notizen. Immer wieder Federproben, zum Teil in kalligraphischer Schrift.

3) 198va Digitalisat

Titel
Auflistung von Gesetzesstellen (Nachtrag).
Angaben zum Text
Stark berieben und kaum lesbar.
Incipit
198va Sibi imputari debere…

4) 198va Digitalisat

Titel
Estagium meum (Nachtrag).
Angaben zum Text
Bericht eines anonymen Klerikers über seine Abwesenheiten, vermutlich vom Studium, im Dienst des Bischofs von Orléans und des Abtes von Saint-Euvert.
Incipit
198va ›Incepi facere estagium meum secunda die intrante Septembri, hoc est die lune ante beate Marie natiuitatem …‹.
Edition
Soetermeer, Due tradizioni, A. 98 (zu korrigieren: „martis proximam“ statt „martis primam“, „pro abbate beati Evurcii“ statt „pro abbate beati C[…]rcii“).

5) 199ra Digitalisat

Titel
Index titulorum zu einem Teil von Dig. 43, 44, 45 und 46 (Nachtrag).
Angaben zum Text
Tituli Dig. 43.24.0–33.0, 44.1.0–7.0, 45.1.0–3.0, 46.1.0–2.0.
Incipit
199ra ›Quod vi aut clam‹.
Edition
Vgl. Digestum novum, Lyon 1627.

6) 199rb Digitalisat

Verfasser
Spinabellus.
Titel
Aufzählung von Zehnten (Nachtrag).
Angaben zum Text
Zehnten im Besitz des Spinabellus auf Grundstücke und Häuser in Trignano (möglicherweise San Paolo-Trignano bei Modena).
Incipit
199rb ›Ego Spinabellus habeo decima‹ [ergänzt zu: decimas] in Trignano. Primo in manso Manfridini, secundo in manso Spinelli, tercio in manso Balbi


Bearbeitet von
Dr. Christoph Winterer, Universitätsbibliothek Heidelberg, 2024.


Zitierempfehlung:


Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 752. Beschreibung von: Dr. Christoph Winterer (Universitätsbibliothek Heidelberg), 2024.


Katalogisierungsrichtlinien
Die Katalogisierungsrichtlinien finden Sie hier.

Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Erschließung von 876 mittelalterlichen und frühneuzeitlichen lateinischen Handschriften der Heidelberger Bibliotheca Palatina in der Vatikanischen Bibliothek in Rom.