Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 757

Codex Iustinianus cum Glossa ordinaria

Pergament · 1, 239, 2 Bll. · 45,3 × 30,1 cm · Südfrankreich · 1330–1340


Schlagwörter (GND)
Römisches Recht / Kommentar / Corpus iuris civilis / Codex Iustinianus.
Entstehungsort
Südfrankreich.
Entstehungszeit
1330–1340.
Typus (Überlieferungsform)
Codex.
Beschreibstoff
Pergament.
Umfang
1, 239, 2 Bll.
Format (Blattgröße)
45,3 × 30,1 cm.
Zusammensetzung (Lagenstruktur)
(I-1)1a + (II+1)E + 4 VI48 + 2 V68 + 3 VI104 + V114 + IV122 + III128 + 4 V168 + IV176 + 3 VI212 + V222 + VI234 + 1235* + (I-1)236*. Gegenbll. der Vorsatzbll. 1a und 235* dienen als vorderer und hinterer Spiegel. Bl. 11 versehentlich als 101 bezeichnet.
Seiten-, Blatt- und Lagenzählung
Vatikanische Blattzählung rechts oben (1–234). Zählung der Vorsatzbll. 1a, 235* und 236* sowie der von A–E reichenden Lage nach Digitalisat. Die genannte Lage besteht aus dem Doppelbl. A / B aus Papier, sowie aus Pergament dem Einzelbl. C und dem Doppelbl. D / E. Reklamanten am unteren Blattrand von anlegender Hand. Lagenzählung mit arabischen Ziffern.
Zustand
Pergament verschmutzt, mit Löchern und auffallend zahlreichen Rissen, in der Regel genäht, Haarwurzeln erkennbar, Tinte mitunter etwas verblasst.

Schriftraum
38,3 × 27 cm.
Spaltenanzahl
Textus inclusus und Klammerglosse jeweils zweispaltig.
Zeilenanzahl
Textus inclusus: meist um die 45–59 Zeilen, Klammerglosse bis zu ca. 110 Zeilen.
Angaben zu Schrift / Schreibern
Mehrere Hände schrieben Legaltext und Glosse in einer gotischen Minuskel, die insbesondere im Fall des Textus inclusus gerade im Duktus an die italienische Rotunda, insbesondere die in Bologna gepflegte Littera Bononiensis, erinnert, dennoch aber Formen aufweist, die für Italien untypisch sind, wie der unter die Grundlinie gezogene Bauch des h, – Merkmale die typisch für im Süden Frankreichs entstandene Schriften sind (vgl. Derolez, Palaeography, S. 116f.).
Buchgestaltung
Die für glossierte oberitalienische Rechtshss. entwickelte Seiteneinrichtung: zweispaltiger Text mit umgebender zweispaltiger Klammerglosse, in der Terminologie von Powitz, Textus, S. 84f., Klammerform des Vier-Spalten-Typs. Zeilengerüst mit Metallstift vorgezogen. Zeitgenössische Buchzählung in Rot und Blau im Seitenkopf als lebender Seitentitel, von I bis IX. Miniaturen und Deckfarbeninitialen an den Anfängen der Bücher (s. Buchschmuck). Vor den Tituli regelmäßig auf einer freigehaltenen Fläche im Schriftraum eine rot-blaue Initiale. Vor den Autorennamen meist zwei- bis dreizeilige blaue Lombarde mit Fleuronné in Gegenfarbe vor der Textspalte. Eingerückt dahinter die kleineren Initialen in Rot mit blauen Verzierungen am Anfang der Leges. Alternierend rote und blaue Paragrafenzeichen. In der Glosse beginnen die Abschnitte mit kleinen Initialen mit Fleuronné in Gegenfarbe, wiederum alternierend blau oder rot. Die Verweisung vom Legaltext auf die Glosse erfolgt durch ein System aus Buchstaben und Strichen.
Buchschmuck
Spaltenbreite Miniaturen an den Anfängen der Vorreden und der Bücher, begleitet von teils historisierten Deckfarbeninitialen: 1ra: Der thronende Justinian in der Diskussion mit zwei stehenden und einem sitzenden Gelehrten; in der Initiale umarmt ein Mann eine widerstrebende Frau; 2va: die Trinität, verbildlicht durch den Auferstandenen, den Logos-Creator und die Geisttaube; 29va: der Richter (König) spricht mit dem Ankläger und der Beschuldigten, die letztere hat ihren Sohn vor sich stehen und die geforderte Rechnung vor dem Bauch; 49va: Ein Richter thront rechts und diskutiert mit einer Gruppe sitzender und stehender Personen (Gerichtsverfahren?); 69ra: vor dem Richter (König) schwört ein kniender Mann, beide Hände auf einen Codex gelegt, hinter ihm hält ein Mann einen Kelch, über ihm schwebt eine goldene Scheibe; 97va: Verheiratung durch einen Priester, der die Hände des Paares für die Dextrarum iunctio erfasst hat; 129ra: der Besitzer des Sklaven klagt beim Richter, während ein Gerüsteter diesen in ein Gefängnis führt; 163vb: Freilassung (Manumissio) durch den Richter (König), der dem Sklaven einen Stab auflegt; 189ra: der Richter (König) ordnet die Fällung des Baumes an, der das Haus des Klägers gefährdet; 214vb: der Angeklagte vor dem Richter (der entscheidet, ob der Beklagte umgekehrt ihn beschuldigen darf). Bilderschließung online in heidICON.

Nachträge und Benutzungsspuren
Zahlreiche Interlinear- und Marginalglossen von verschiedenen Autoritäten, mitunter durch Siglen referenziert, darunter nachweisbar Bartolo da Sassoferrato (um 1313–1357; 4r; vgl. Calasso, Sassoferrato, S. 662; OVL), Iacopo Baldovini (†1235; 50v, 52v, 79r; vgl. Abbondanza, Baldovini, S. 524; OVL), Iacopo di Porta Ravennate (†1168; 3v, 4v, 5r, 5v–185v; vgl. OVL), Guido da Suzzara (um 1225–1292; 5v, 11v, 37v–216r; vgl. OVL), Guillaume de Cunh (†1336; 6v, 50v, 55v–198r; vgl. OVL), Pierre de Belleperche (um 1250–1308; 6v, 8v, 9r–234r; vgl. OVL), Cyno da Pistoia (um 1270–1336/37; 6v, 9r, 29v–224v; vgl. OVL), Francesco d’Accorso (1225–1293; 30v, 40v, 47r–172v; vgl. OVL), Odofredo (†1265; 39v, 75r, 87r–214v; vgl. OVL), Dino del Mugello (um 1254-um 1300; 40v, 50v, 58r–97v; vgl. OVL), Iacopo de Arena (um 1270–um 1320; 54r; vgl. OVL), Jacques de Révigny (um 1230–1296; 76v; vgl. OVL), Guillaume de Durfort (†1330; vgl. CALMA, Guillelmus de Duroforte), Guillaume de Ferrières (†1295; vgl. Speciale, La memoria, S. 322), Petrus de Dorphila (vgl. Speciale, La memoria, S. 322), Guglielmo d’Accorso (1246–1313; vgl. Speciale, La memoria, S. 322), Giacomo Belvisi (um 1270–1335; vgl. Speciale, La memoria, S. 322), Jacobus Broncinus (vgl. Speciale, La memoria, S. 323), Bertrand de Montfavès (um 1270–1342; vgl. Speciale, La memoria, S. 323), Canhardus de Sabalhano (vgl. Speciale, La memoria, S. 323), Iacopo Bottrigari (1274–1347; 137v; vgl. Pace, Riccardo, S. 62 A. 84), Riccardo da Saliceto (†1379; 30r–31r, 37r, 46r, 134r, 135r–136r, 143v, 151r, 154r, 155r; vgl. Pace, Riccardo, S. 44f., 62 A. 83), Bartolomeo da Saliceto (um 1330–1411; vgl. Speciale, La memoria, S. 323), womöglich Signorolo Omodei (†1362; Sigle Sigl, 199v; vgl. Pace, Riccardo, S. 62 A. 85), ferner die Siglen Hugo, Ignocencius, Prac. Vielh. (vgl. Pace, Riccardo, S. 154 A. 31). Darüber hinaus zahlreiche Anmerkungen von verschiedenen Händen, darunter Merkverse (79v, 81r, 86r, 91v, 97v, 132r) oder Verse aus den ‚Dicta Catonis‘ (140r, ediert in: Minor Latin Poets, Bd. 2, hrsg. und übersetzt von J. Wight Duff / Arnold M. Duff, Cambridge / London 1935, S. 612), mannigfaltige grafische Verweiszeichen und Zeichnungen, wie z.B. Hunde (85r, 91r, 234r), Schweine (151r, 152v), Würfel (152v), ein Adler (183r) oder ein Schiff (187v).

Einband
Pergamentband über Pappe, nach Schunke, Einbände 2.2, S. 850, um 1780 in Rom entstanden. Oben aufgeklebt auf den Rücken barockes helles Signaturschild 757, darunter direkt auf den Rücken der Buchtitel notiert; unten blaues Schildchen mit Pal. lat. 757. Löcher für zwei Schließschnüre in beiden Deckeln. 235* war möglicherweise früher Spiegel.
Provenienz
Heidelberg.
Geschichte der Handschrift
Modernes blaues Signaturschild der Vaticana Pal. lat. 757 auf dem vorderen Spiegel. Auf Vorsatzbl. 1a Pal. 757 und 669 [durchgestrichen], auf Ar Capsa-Nummer C. 48, darunter Allacci-Signatur 1710, weitere Altsignatur 340. Der Buchschmuck wie auch der paläografische Befund deuten auf eine Entstehung der Hs. im Südfrankreich der 1330er Jahren hin. Giuseppe Speciale verortet dies in Toulouse, da mit Canhardus de Sabalhano ein Professor der dortigen Universität zitiert wird (Speciale, La memoria, S. 146 A. 110). Die erste Lage wurde wohl nachträglich vorgebunden. Lehmann vermutet, dass der Codex aus Fuggerprovenienz nach Heidelberg gelangte und schreibt dazu: „Der Vermerk ‚hen‘ oder ‚seors‘ verloren“, womit jedoch kein wirklicher Nachweis einer solchen Herkunft gegeben ist. Darüber hinaus soll es laut Giuseppe Speciale einen conduxit-Vermerk geben (Speciale, La memoria, S. 139), der aber, zumindest im Digitalisat, nicht erkennbar ist. Ein wohl als Federprobe zu interpretierender Satz auf Er könnte einen Hinweis auf einen Vorbesitzer geben, ist in diesem doch von ego Iohannes de Aula publicus notarius die Rede. Besitzeinträge auf Ev wurden radiert.

Faksimile
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bav_pal_lat_757
Literatur
Abbondanza, Baldovini, S. 524; Calasso, Sassoferrato, S. 662; CALMA, Guillelmus de Duroforte, Iacobus Balduini; Caprioli, Tre capitoli, S. 329 A. 476; Cortese, La norma 2, S. 281 A. 84; Devoti, Un rompicapo, S. 202 A. 43; Hanselmann, Bücherschenkung, S. 126; Lehmann, Fuggerbibliotheken 2, S. 483; Maffei, La donazione, S. 138 A. 5; Manuscripta juridica, Pal.lat.757; Mirabile, Pal.lat.757; OVL, Pal.lat.757; Pace, Riccardo, S. 24 A. 7, 39 A. 1, 44 A. 13, 45, 49, 61f., 153f.; Paradisi, La diffusione, S. 35; Nicoletta Sarti, Sull’identità del „dominus Iacobus quod Ianuae in equo armatus tulit sententiam“. Intorno a una nuova fonte, in: Rivista di storia del diritto italiano 62 (1989), S. 363–382, hier S. 379 A. 51; Schunke, Einbände 2.2, S. 850; Frank Soetermeer, Libri legales a Padova. Note sul ms London, British Library, Arundel 433, in: Quaderni per la storia dell’Università di Padova 31 (1998), S. 77–90, hier S. 78 A. 3; Soetermeer, Utrumque ius, S. 318–319; Speciale, La memoria, S. 139–141, 146, 204 (mit weiterer Literatur), 222, 232, 322f.; Stevenson, Latini, S. 272 f.
Verzeichnis der im Katalogisierungsprojekt abgekürzt zitierten Literatur

1) Ara–Bvb Digitalisat

Titel
Alphabetischer Index der Tituli (Nachtrag).
Angaben zum Text
1ar Vorsatzbl., bis auf Signaturen leer. – 1av leer.

2) Cra–Drc Digitalisat

Titel
Inhaltsverzeichnisse.

3) Dv Digitalisat

Titel
Notizen und Zeichnungen, darunter ein Hund, ein Tier jagend.

4) Er Digitalisat

Titel
Kleintexte, darunter einer auf Italienisch zur Herstellung von Tinte.

5) Ev Digitalisat

Titel
Besitzvermerke, größtenteils radiert, Zeichnungen.

6) 1ra–234vd Digitalisat

Beteiligte Personen
Justinian I. (GND-Nr.: 11855896X) / Accursius (GND-Nr.: 100956599).
Titel
Codex Iustinianus cum Glossa ordinaria.
Angaben zum Text
Dritter Teil der von Kaiser Justinian I. in Auftrag gegebenen Rechtssammlung mit der Glossa ordinaria des Accursius (um 1182/85–um 1260/63): (1rb–1rc) De novo codice componendo; (1rc) De Iustiniano codice confirmando; (2rb) De emendatione codicis Iustiniani et secunda eius editione; (2vb–29rc) Buch 1; (29vb–49rc) Buch 2; (49vb–68vc) Buch 3; (69rb–97rc) Buch 4; (97vb–128vc) Buch 5; (129rb–163vb) Buch 6; (163vc–188vc) Buch 7; (189rb–214vc) Buch 8; (214vc–234vc) Buch 9. – 235*r leer. – 235*v Notizen. – 236*r–236*v leer.
Rubrik
1ra ›In nomine domini nostri Ihesu Christi. Codicis domini Iustiniani sacracissimi principis. Repetite prelectionis. Incipit liber primus de nouo codice faciendo. Rubrica. Rubrica‹.
Incipit
1rb ›Hecque necessario [nachgetragen im Rand: corrigenda] multis retro principibus visa sunt …
Explicit
234vc … ut libertatem non dampnationis, sed lenitatis paterne testem habeant.
Edition
Codex, Lyon 1627.


Bearbeitet von
Dr. Christoph Winterer, Dr. Thorsten Huthwelker, Universitätsbibliothek Heidelberg, 2024.


Zitierempfehlung:


Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 757. Beschreibung von: Dr. Christoph Winterer, Dr. Thorsten Huthwelker (Universitätsbibliothek Heidelberg), 2024.


Katalogisierungsrichtlinien
Die Katalogisierungsrichtlinien finden Sie hier.

Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Erschließung von 876 mittelalterlichen und frühneuzeitlichen lateinischen Handschriften der Heidelberger Bibliotheca Palatina in der Vatikanischen Bibliothek in Rom.