Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 758

Codex Iustinianus cum Glossa ordinaria

Pergament · 1, 265, 1 Bll. · 42 × 26,6 cm · Orléans (?) / Toulouse (?) · um 1300


Schlagwörter (GND)
Römisches Recht / Kommentar / Corpus iuris civilis / Codex Iustinianus.
Entstehungsort
Orléans (?) / Toulouse (?).
Entstehungszeit
um 1300.
Typus (Überlieferungsform)
Codex.
Beschreibstoff
Pergament.
Umfang
1, 265, 1 Bll.
Format (Blattgröße)
42 × 26,6 cm.
Zusammensetzung (Lagenstruktur)
(I-1)1a + (V-3)10 + 3 V40 + (V-2)50 + (V-1)60 + 8 V140 + VI152 + 11 V262 + (V-1)271 + (I-1)272*. Vorderspiegel Gegenbl. von 1a, Hinterspiegel Gegenbl. von 272*. Bll. 1–3 herausgeschnitten, Zählung beginnt mit Bl. 4. Bll. 47, 49 und 51 fehlen.
Seiten-, Blatt- und Lagenzählung
Vorrömische Foliierung in arabischen Ziffern (4–271, Anfang fehlt). Vor- und Nachsatzbl. ungez., weshalb hier die Zählung der Digitalisate übernommen wird (1a, 272*). Durchgehend Reklamanten auf der letzten Versoseite der Lage auf dem Fußsteg rechts (fehlen 40v, 100v, 140v, 152v, 252v).
Zustand
Pergament verschmutzt, mit zahlreichen Flecken, Haarwurzeln erkennbar, manche Risse, Tinte mitunter berieben und verblasst. 56–59, 259, 270–271 Wasserschaden.

Schriftraum
27,9 × 22,1 cm.
Spaltenanzahl
Textus inclusus und Klammerglosse jeweils zweispaltig.
Zeilenanzahl
Textus inclusus: 46–48 Zeilen, Klammerglosse bis zu ca. 117 Zeilen.
Angaben zu Schrift / Schreibern
Der Schreiber, welcher den Legaltext in einer Textura ausführte, dürfte im Norden Frankreichs sozialisiert gewesen sein, wie die gebrochene Schrift nahelegt. Diese Hand verwendete teilweise ein d wie in der Halbunziale, dennoch verweist die Schrift in die Zeit um 1300. Ebenjene Hand schrieb auch die eine oder andere Glosse, das Gros des Apparats komplettierten jedoch weitere Hände, denen z.T. ein breiterer und runderer Duktus zu eigen ist, der eher einem Schreiber aus dem Süden Frankreichs zuzuordnen wäre.
Buchgestaltung
Die für glossierte oberitalienische Rechtshss. entwickelte Seiteneinrichtung: zweispaltiger Text mit umgebender zweispaltiger Klammerglosse, in der Terminologie von Powitz, Textus, S. 84f., Klammerform des Vier-Spalten-Typs. – Mit Metallstift vorgezogenes Zeilengerüst. Buchzählung in Rot und Blau im Seitenkopf, von I bis XII, als lebender Seitentitel. Miniaturen an den Anfängen der Bücher (s. Buchschmuck). Tituli als Rubrik hervorgehoben. Vor den Autorennamen meist zwei- bis dreizeilige Lombarden alternierend in Blau und Rot vor der Textspalte, eingerückt dahinter die kleineren Initialen in Gegenfarbe am Anfang der Leges; selten Initialen mit Zierstrichen in Gegenfarbe. Alternierend rote und blaue Paragrafenzeichen. In der Glosse beginnen die Abschnitte mit zweizeiligen Initialen mit Zierstrichen in Gegenfarbe, wiederum alternierend Blau oder Rot. Die Verweisung vom Legaltext auf die Glosse erfolgt anhand von Buchstaben und Unterstreichungen.
Buchschmuck
Spaltenbreite Miniatur am Anfang eines jeden Buchs: 40vb: ein thronender Richter flankiert von der Partei des Klägers wie des Angeklagten; 62rb: dasselbe Motiv, wobei eine der den Richter flankierenden Personen sitzt; 83vb: vor dem Richter schwört ein kniender Mann, die rechte Hand auf ein Buch gelegt; 115vc: Verheiratung durch einen Priester, der die Hände des Paares für die Dextrarum iunctio erfasst hat; 153rb: vor dem Richter wird dem Verurteilten der Fuß mit einem Beil abgeschlagen; 194vb: Freilassung (Manumissio) durch den Richter, der dem Sklaven einen Stab auflegt; 226rb: der Richter ordnet die Fällung des Baumes an, der das Haus des Klägers gefährdet; 253rb: der Angeklagte vor dem Richter (der entscheidet, ob der Beklagte umgekehrt ihn beschuldigen darf).

Nachträge und Benutzungsspuren
Anmerkungen und Korrekturen von verschiedenen Händen, ferner im Profil dargestellte Köpfe, Maniculae und weitere grafische Verweiszeichen, darunter diverse Wappen, so auf 115r Wappen, darinnen ein schwarzes Ankerkreuz, verweisend auf 115v, wo das Wappen erneut an der auszuweisenden Stelle erscheint. Von verschiedenen Händen Interlinear- und Marginalglossen mit den Kommentaren von: Giacomo Belvisi (um 1270–1335; 185v; Manuscripta juridica), Martino Sulimani (1236–1306; 5v, 152v), Iacopo Bottrigari (1274–1347; 5v, 6r–218v), Odofredo (†1265; 8v, 16v, 33v–271r), Guillaume de Ferrières (†1295; 23r, 43r, 80r, 94v, 110r, 165r, 188v, 209r–v), Bertrand de Deux (†1355; 32r–v, 33r–271r); Francesco d’Accorso (1225–1293; 32r–v, 35r–271r), Iacopo de Arena (um 1270–um 1320; 40r, 41r, 183v, 187v, 190v), Riccardo Malómbra (†1334; 50r, 179r, 180v), Pierre de Belleperche (um 1250–1308; 72v, 86r, 108r–207v), Pierre Raymond Fabri (†1271; 84v, 85r), Guillaume de Cunh (†1336; 90r, 95v, 220r), Guido da Suzzara (um 1225–1292; 92v, 95v, 97v–226v), Oldrado da Ponte (†1335; 105v, 107r, 109r–164v), Guillaume de Durfort (†1330; 107r), Bernardus Saporis (114v, 177v, 205v, 218r, 220r), Pierre de Mortemart (†1335; 172v, 174v, 179r), Jacques de Révigny (um 1230–1296; 180r, 192r), Dino del Mugello (um 1254–um 1300; 57v, 180v, 185v, 197v, 222r), Andreas de Barulo († nach 1291; 185v), Azo (um 1150–um 1230; 266v), Pietro Peregrossi (1220–1295; 155r), Arnal Escharbot, Cyno da Pistoia (um 1270–1336/37), Franciscus Roma de Perpignano, Petrus Calvelli, Poncius Blegeri, Raniero Arsendi (†1358; 55v), Riccardo da Saliceto (†1379; 44r, 50r, 52r), Baldo degli Ubaldi (um 1327–1400), Nicolaus de Tudeschis (1386–1445), Giovan Francesco Capodilista (erste Hälfte 15. Jh.), Accursius (um 1185–1263; 237v–238r), ferner finden sich die Siglen P. (253r) und G. (43r); vgl. OVL; Pace, Riccardo S. 63; Speciale, La memoria, S. 323f.

Einband
Am Rücken beschädigter Pergamentband über Pappe, nach Schunke, Einbände 2.2, S. 850, um 1780 in Rom entstanden. Oben aufgeklebt auf den Rücken barockes helles Signaturschild 758, darunter direkt auf den Rücken der Buchtitel notiert; unten blaues Schildchen mit Pal. lat. 758. Löcher für zwei Schließschnüre in beiden Deckeln.
Provenienz
Augsburg / Heidelberg.
Geschichte der Handschrift
Modernes blaues Signaturschild der Vaticana Pal. lat. 758 auf dem vorderen Spiegel. Auf Vorsatzbl. 1ar 758 Pal. und 671 sowie 713 [beide durchgestrichen]. Auf 4r Altsignatur 562. Der Legaltext der Hs. dürfte um 1300 im Norden Frankreichs kopiert worden sein. Als ein möglicher Ort kommt dafür Orléans in Betracht, finden sich doch in den etwas später angefügten Glossen solche des Jacques de Révigny oder Pierre de Belleperche, die beide an der dortigen Hochschule als Professoren wirkten (Eduard Maurits Meijers, Le droit romain au moyen âge [Études d’histoire du droit 3], Leiden 1959, S. 59–80, 95–106). Noch während der Anlage der Glossen dürfte der Codex in den Süden Frankreichs gelangt sein, wie nicht zuletzt der paläografische Befund nahelegt. Auch hier lässt sich mit Toulouse ein wahrscheinlicher Ort nennen, denn weitere Glossen stammen von Pierre de Mortemart, Guillaume de Cunh, Guillaume de Durfort, Arnal Escharbot und Bertrand de Deux, die zwischen 1310 und 1320 in Toulouse wirkten (ebenda, S. 185–201). Nach Heidelberg gelangte die Hs. über die Sammlung des Ulrich Fugger (1526–1584), wie die Signatur auf 4r 185. [durchgestrichen] seors. ausweist. Zum Bestand der mit ‚seorsum‘ überschriebenen Werke gehörten einzelne Erwerbungen (s. Einleitung), die mit dem Hinscheiden des Sammlers in das Eigentum des Kurfürsten und schließlich in die Bibliotheca Palatina übergingen.

Faksimile
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bav_pal_lat_758
Literatur
CALMA, Bertrandus de Deucio, Guillelmus de Duroforte, Iacobus de Balvisio, Iacobus de Butrigariis senior; Adriana Tognoni Campitelli, Art. Bottrigari, Iacopo, in: DBI, Bd. 13, Rom 1971, S. 498–501, hier S. 499; Caprioli, Tre capitoli, 232 A. 31, 329 A. 476 ; Caprioli, Belvisi, S. 94; Cornelia Cogrossi, Per uno studio intorno alle cronache dei notai ed agli atti notarili nei comuni dell’Italia settentrionale (XII–XIV sec.), in: Jus. Rivista di scienze giuridiche 28 (1981), S. 333–360, hier S. 336 A. 15; Devoti, Un rompicapo, S. 202 A. 43; Lehmann, Fuggerbibliotheken 2, S. 483; Maffei, La donazione, S. 138 A. 5; Domenico Maffei, Qualche postilla alle ricerche di E.M. Meijers sulle scuole di Orléans, Tolosa e Montpellier, in: TvR 36 (1968), S. 387–400, hier S. 387 A. 1; Manuscripta juridica, Pal.lat.758; Mirabile, Pal.lat.758; OVL, Pal.lat.758; Pace, Riccardo, S. 24 A. 7, 39 A. 1, 62f., 154; Schunke, Einbände 2.2, S. 850; Soetermeer, Utrumque ius, S. 318–319; Speciale, La memoria, S. 204 (mit weiterer Literatur), 222, 230, 323f.; Stevenson, Latini, S. 273f.
Verzeichnis der im Katalogisierungsprojekt abgekürzt zitierten Literatur

1) 4ra–271vd Digitalisat

Beteiligte Personen
Justinian I. (GND-Nr.: 11855896X) / Accursius (GND-Nr.: 100956599).
Titel
Codex Iustinianus cum Glossa ordinaria.
Angaben zum Text
Dritter Teil der von Kaiser Justinian I. in Auftrag gegebenen Rechtssammlung mit der Glossa ordinaria des Accursius (um 1182/85–um 1260/63): – (Anfang verloren) (4rb–40vb) Buch 1; (40vb–62rb) Buch 2; (62rb–83vb) Buch 3; (83vb–115vc) Buch 4; (115vc–152vc) Buch 5; (153ra–194rb) Buch 6; (194va–226ra) Buch 7; (226ra–252v) Buch 8; (253rb–271vc) Buch 9.
Incipit
4rb [Anfang fehlt, setzt ein in Cod. 1.1.8 pr.]…[cari]tatis studio, edocti ecclesiasticis disciplinis…
Explicit
271vc … Excepta sola maiestatis questione: quam siquis sacrilego animo adsump[serit… Text bricht ab in Cod. 9.49.10.5].
Edition
Codex, Lyon 1627.


Bearbeitet von
Dr. Christoph Winterer, Dr. Thorsten Huthwelker, Universitätsbibliothek Heidelberg, 2024.


Zitierempfehlung:


Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 758. Beschreibung von: Dr. Christoph Winterer, Dr. Thorsten Huthwelker (Universitätsbibliothek Heidelberg), 2024.


Katalogisierungsrichtlinien
Die Katalogisierungsrichtlinien finden Sie hier.

Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Erschließung von 876 mittelalterlichen und frühneuzeitlichen lateinischen Handschriften der Heidelberger Bibliotheca Palatina in der Vatikanischen Bibliothek in Rom.