Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 759

Juristische Sammelhandschrift

Pergament · 1, 314, 1 Bll. · 44,3 × 26,7 cm · Bologna · 1330–1345


Schlagwörter (GND)
Römisches Recht / Rechtsgutachten / Kommentar / Corpus iuris civilis / Codex Iustinianus.
Entstehungsort
Bologna.
Entstehungszeit
1330–1345.
Typus (Überlieferungsform)
Codex.
Beschreibstoff
Pergament.
Umfang
1, 314, 1 Bll.
Format (Blattgröße)
44,3 × 26,7 cm.
Zusammensetzung (Lagenstruktur)
(I-1)1a + 1A + I2 + 17 V171 + II175 + 13 V205a + II209a + (II-1)212a + (I-1)213*. Vorderer Spiegel Gegenbl. von 1a, hinterer Spiegel Gegenbl. von 213*. Verschiedene Zählfehler: nach 1a folgt A, 61 doppelt gez., 185 nicht foliiert, aber mitgez., nach 281 beginnt Zählung erneut mit 182.
Seiten-, Blatt- und Lagenzählung
Vor- und Nachsatzbl. ungez. Römische Foliierung des 17. Jhs. (1–281, 182-212), die auf 281 182 folgen lässt. Bei ungez. Bll. und uneindeutiger Foliierung folgt die Zählung dem Digitalisat (1a, 213*, 182a-212a). Durchgängig verzierte Reklamanten auf der letzten Versoseite der Lage auf dem Fußsteg mittig (fehlen auf 2v, 175v, 209v). Lagenfoliierung mit Buchstaben und meist arabischen Ziffern, z.T. durch Beschnitt verloren gegangen.
Zustand
Vorderste Bll. mit leichtem Wasserschaden oben und relativ stark gebräunt, auf Av schwacher Abklatsch der folgenden Miniatur. Unterschiedlich starke Bräunung von Haar- und Fleischseite des Pergaments. Wenige genähte Risse. Zahlreiche Flecken und Benutzungsspuren. Schrift teilweise ausgeblichen. Zahlreiche überschriebene Rasuren.

Schriftraum
36,7 × 22,5 cm.
Spaltenanzahl
4 Spalten.
Zeilenanzahl
Legaltext: 16–62 Zeilen; Klammerglosse: 4–96 Zeilen.
Angaben zu Schrift / Schreibern
Die Schrift ist ein typisches Beispiel der in Bologna gepflegten Littera Bononiensis und entsprechend dem anspruchsvollen Buchschmuck kalligrafisch aufwändig gestaltet. Aufgrund ihrer Standardisierung sind Aussagen über verschiedene Hände kaum möglich. Alleine beim Inhaltsverzeichnis auf 211ar–212av ist eine andere Hand klar erkennbar. Von anderer Hand und auch in jüngerer gotischer Kursive sind die beiden Texte auf A geschrieben, wobei die Schrift auf Av zur Bastarda tendiert.
Buchgestaltung
Zeilengerüst mit Metallstift vorgezogen. Seitentitel mittig mit einem L auf der Versoseite und der dem jeweiligen Buch zugeordneten Ziffer auf der Rectoseite in Blau und Rot. Mittig und zweispaltig angelegter Text ist von Klammerglosse umflossen. Im Legaltext beginnt jedes Buch mit Miniatur, jeder Titel mit Rankeninitiale oder Bildeinschlussinitiale mit Person im Schulterstück, zuvor genannte Tituli rubriziert. Jede Lex mit blauer Lombarde mit rotem Fleuronnébesatz bzw. Paragrafenzeichen alternierend in Blau und Rot hervorgehoben. Gesetzgebender Kaiser wird namentlich nicht genannt, lediglich mit einem roten Satzmajuskel-I mit blauen grafischen Verzierungen ein ‚Imperator‘ oder ‚Idem‘ eingeleitet, was einer jeden Lex vorgeschaltet ist. Verweise zwischen Legaltext und Klammerglosse anhand von Buchstaben. In Klammerglosse Titel Rankeninitiale vorangestellt, ferner Unterteilung mit alternierend blauen und roten Lombarden mit Fleuronnéverzierungen in Gegenfarbe sowie alternierend blauen und roten Paragrafenzeichen.
Buchschmuck
Zehn reichhaltig ausgestaltete Miniaturen, Meister der Kreuzigung D (s. L’Engle, Illumination, S. 301), wahlweise auch Meister der Pariser Gratianhandschrift (Paris, BnF, Ms. N.a.l. 2508) zugeschrieben (s. Pace, Riccardo, S. 170) Ferner zeigen sich bildgestalterische Gemeinsamkeiten mit Pal. lat. 631 (vgl. die Bildbeschreibung von Dr. Margit Krenn in heidICON).

Nachträge und Benutzungsspuren
Korrekturen, Verweise, Anmerkungen und mannigfache grafische Verweiszeichen von verschiedenen Händen; Pace konnte alleine 13 ausmachen, die den Text mit Marginalglossen kommentierten (S. Pace, Riccardo, S. 177–185). Darunter finden sich solche von Riccardo da Saliceto (†1379; 1r–259r), Iacopo Bottrigari (1274–1347; 3r, 3v, 4v–290v), Raffaele Fulgosio (1367–1427; 7r, 10r, 12r–310r), Jacopo de Arena (um 1270–um 1320; 10r, 58v, 177r, 254r), Bartolo da Sassoferrato (1314–1357, 8r, 25v, 29v–267r), Jacques de Révigny (um 1230–1296; 39v, 110v, 141r, 243r), Maccagnano Azzoguidi (um 1334; 42r, 43r, 44v, 45r–273v), Guido da Suzzara (um 1225–1292; 72r, 248r), Bartolomeo da Saliceto (um 1330–1411; 192v–217v), Dino del Mugello (um 1254–um 1300; 193v, 199r, 254r), Raniero Arsendi (†1358; 203v, 259r, 290v, 295r; Pace, Riccardo, S. 177–185), Cyno da Pistoia (um 1270–1336/37; 39r, 290v, 237v–238r, 239r; s. Pace, Riccardo, S. 183, 185; Maffei, La donazione, S. 137f. A. 5); Iacopo Bottrigari junior (1310/20–1348; 40r), Rusticano da Bologna (68v), Martino Sulimani (1236–1306; 38v, 67v, 215v), Francesco d’Accorso (1225–1293; 41v), Iacopo Baldovini (†1235; 41v), Tommaso dei Formaggini (1275–1338; 41v; Speciale, La memoria, S. 324), Solleonus de Sascorbaino (123v), Azo (um 1150–um 1230; 39r, 69v), Pierre de Belleperche (um 1250–1308; 40r, 41r, 110v), Guillaume de Cunh (†1336; 140r), Baldo degli Ubaldi (um 1327–1400; 8r, 188v, 296r), Wilhelm Durand (1230–1296; 243v), Hostiensis (um 1200–1271; 243v), Giovanni Pagliarense (um 1330; 290v), Filippo Cassoli da Reggio (†1391; 184r), Niccolò Mattarelli (um 1240–um 1314; 284v), Riccardo Malómbra (†1334; 295r), Odofredo (†1265; 296r), Johannes Andreae (um 1270–1348; 38v; s. Pace, Riccardo, S. 177–185), Roberto da Saliceto (um 1310–1379; Speciale, La memoria, S. 324); wenn kein anderer Verweis gegeben, vgl. OVL, Pal.lat.759.

Einband
Römischer Einband, Pappe mit weißem Pergament überzogen, in Rom um 1780 gefertigt (Schunke, Einbände 2.2, S. 850), Löcher für Schließbänder noch vorhanden. Gelb-kupferfarbenes Kapital. Auf dem an Kopf und Schwanz eingerissenen Buchrücken zwei blaue aufgeklebte Schildchen mit aktueller Signatur, dazwischen Rückentitel: CODEX. Auf Schwanz Altsignatur 665.
Provenienz
Pavia / Padua / Heidelberg.
Geschichte der Handschrift
Auf Vorderspiegel blaues aufgeklebtes Schildchen mit aktueller Signatur. Auf 1ar nebst aktueller Signatur Altsignatur 668 [verbessert zu 678], auf Ar nicht mehr zweifelsfrei zu entziffernde durchgestrichene Altsignatur, auf 1r Capsa-Nummer C. 173, darunter Allacci-Signatur 505 [durchgestrichen], sowie Altsignatur 559. Buchschmuck und Schrift deuten auf eine Herstellung der Hs. in Bologna zwischen 1330 und 1345 hin. Dass sie an der dortigen Universität entstanden sein muss, zeigen die Hinweise auf die Verwendung von Pecien, so auf 19r: finis quarte pecie textus. Die ebenfalls im Codex vorgenommene Punctatio librorum legt Zeugnis über den Gebrauch in der Lehre ab, so auf 45v: finitur hic IJ punctum. Später nachgetragene Anmerkungen deuten darauf hin, dass sich die Hs. im Kreis der Schüler des Iacopo Bottrigari (1274–1348) befunden haben könnte (Pace, Riccardo, S. 171). Damit verblieb sie auch in der zweiten Hälfte des 14. Jhs. in Bologna. Ende des Jhs. dürfte sie nach Pavia gelangt sein. Denn in Pal. lat. 742 finden wir den Hinweis, dass ein gewisser Arduynus de Cicillia dem Cosimo Veronesi 1398 eine Ausgabe des Infortiatum sowie des Codex Iustinianus verkaufte. Jener Arduino Geremia ist von 1392 bis 1398 als Student in Pavia nachweisbar, wo er die Hss. seinem sizilischen Landsmann Cosimo Veronesi verkaufte, der mit diesen 1407 nach Padua einreiste, wie der Zollvermerk auf 1r nahelegt: Dominus Cosmas conduxit in Paduam die 19 Decembris 1407 mit der Unterschrift m subscripsi. Studenten der dortigen Hochschule war es nämlich erlaubt, zollfrei Bücher in die Stadt einzuführen, was eigens in den Büchern mit einem Vermerk bestätigt wurde. Hier stieg Cosimo bis zum Vicerector citramontanorum iuristarum auf und ist noch bis 1439 in den Quellen nachzuweisen (Pace, Cosmas, S. 195f.). Seine Bücher (er besaß ferner Pal. lat. 731 und Pal. lat. 742) muss er zuvor schon verkauft haben. Denn für das Jahr 1419 haben wir einen weiteren Vermerk für eine Einreise nach Padua, von einem gewissen Antonius: Dominus Antonius conduxit in Paduam 13 Augusti 1419 mit der Unterschrift Mel subscripsi. Weitere Besitzer lassen sich anhand von Nachträgen erschließen, so auf 39v: Hanc legem uidi dare in punctis domino Alarano de Ianua, 49v: Hec lex fuit data in punctis domino Joanni de Opitinis de Sancto Arcangelo, 66r: Hec lex fuit data in punctis domino Georgio de Bambutinis de Forliuio, 145v: Hec lex data fuit in punctis domino Phylipo de Nouaria. Wie der Codex schließlich über die Alpen nach Heidelberg gelangte, bleibt unklar. Lehmanns Annahme, der Codex stamme aus dem Besitz des Henri Estienne (1531–1598), lässt sich wie bei Pal. lat. 731 und Pal. lat. 742 anhand des Digitalisats nicht nachweisen.

Faksimile
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bav_pal_lat_759
Literatur
Abbondanza, Arsendi, S. 335; Calasso, Sassoferrato, S. 662; Caprioli, Tre capitoli, S. 255 A. 137; Devoti, Un rompicapo, S. 202 A. 43; Gargan, Nuovi codici, S. 42; Hanselmann, Bücherschenkung, S. 126; Lehmann, Fuggerbibliotheken 2, S. 483; L’Engle, Illumination, S. 179 A. 45, 183 A. 57 und 59, 264 A. 265, 301; Maffei, La donazione, S. 138 A. 5, 231 A. 4; Manuscripta juridica, Pal.lat.759; Murano, Opere; OVL, Pal.lat.759; Pace, Cosmas, passim; Pace, Riccardo, passim, v. a. S. 169–191; Paradisi, La diffusione, S. 8 A. 12, 35; Bruno Paradisi, Le glosse di Bartolo da Sassoferrato, in: La critica del testo, Florenz 1971 (Atti del secondo Congresso Internazionale della Società Italiana di Storia del Diritto), S. 575–618, hier S. 583, 591; Soetermeer, Utrumque ius, S. 324; Speciale, La memoria, S. 69, 138, 154 A. 150, 204f. (mit weiterer Literatur), 222, 232, 324; Speciale, Libri, S. 77 A. 2; Stevenson, Latini, S. 273; Veronese Ceseracciu / Zen Benetti, Bibliografia, S. 312f.
Verzeichnis der im Katalogisierungsprojekt abgekürzt zitierten Literatur

1) Ar Digitalisat

Verfasser
Riccardo da Saliceto (GND-Nr.: 119553716).
Titel
Consilium de accusationibus.
Incipit
Ar Statuto cauetur quod quilibet actor qui accusare uoluerit uel accusauerit aliquem testem de falso …
Explicit
Ar … C. De episcopis et clericis aut generaliter. Ricardus de Saliceto de Bononia fons iuris ciuilis.

2) Av Digitalisat

Verfasser
Riccardo da Saliceto (GND-Nr.: 119553716).
Titel
Kommentar zu ‚De novo codice componendo‘.
Angaben zum Text
Kommentar zur Justinianischen Konstitution ‚Haec quae necessario‘ vom 13. Februar 528.
Incipit
Av Oppono ad uerbum neccessario et ad uerbum oportet …
Explicit
Av … sed nullo congruentiori modo. Ricardus de Saliceto summus doctorum doctor.
Edition
Pace, Riccardo, S. 195f.

3) 1ra–212avb Digitalisat

Beteiligte Personen
Justinian I. (GND-Nr.: 11855896X) / Accursius (GND-Nr.: 100956599).
Titel
Codex Iustinianus cum Glossa ordinaria.
Angaben zum Text
Von Kaiser Justinian I. in Auftrag gegebene Rechtssammlung mit der Glossa ordinaria des Accursius (um 1182/85–um 1260/63): (1rb–1vb) De novo codice componendo; (1vb–2rc) De Iustiniano codice confirmando; (2rc–2vc) De emendatione codicis Iustiniani et secunda eius editione; (3rb–39rb) Buch 1; (39rb–65rc) Buch 2; (65rc–91vb) Buch 3; (91vb–134vc) Buch 4; (135rb–175rc) Buch 5; (175vb) Anmerkungen; (176rb–223rc) Buch 6; (223rc–258rb) Buch 7; (258rb–189arb) Buch 8; (189arb–210arc) Buch 9; (210av) leer; (211ara–212avb) Inhaltsverzeichnis. – 213*r–213*v leer.
Rubrik
1rb ›In nomine domini nostri Ihesu Christi. Codicis domini Iustiniani sacratissimi in principio perpetui imperatoris Augusti repetite prelectionis incipit liber primus de nouo codice componendo. Rubrica‹.
Incipit
1rb ›ImperatorIustinianus Augustus ad senatum:Hec, que necessario [Füllzeichen] corrigenda esse multis retro principibus uisa sunt …
Explicit
210arc … ut libertatem non dampnationis, sed lenitatis paterne testem habeant. Deo gratias. Amen.
Edition
Codex, Lyon 1627; Glossen des Riccardo da Saliceto: Pace, Riccardo, S. 197–349.


Bearbeitet von
Dr. Thorsten Huthwelker, Universitätsbibliothek Heidelberg, 2024.


Zitierempfehlung:


Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 759. Beschreibung von: Dr. Thorsten Huthwelker (Universitätsbibliothek Heidelberg), 2024.


Katalogisierungsrichtlinien
Die Katalogisierungsrichtlinien finden Sie hier.

Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Erschließung von 876 mittelalterlichen und frühneuzeitlichen lateinischen Handschriften der Heidelberger Bibliotheca Palatina in der Vatikanischen Bibliothek in Rom.