Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 798

Zusammengesetzte Handschrift zum Prozessrecht

Papier · 1, 138, 1 Bll. · 41,2 × 28,4 cm · Mainz · 1360er Jahre


Schlagwörter (GND)
Römisches Recht / Kanonisches Recht / Prozessrecht / Prozess / Formularsammlung / Urkunde / Papsturkunde / Kanzlei / Päpstliche Kanzlei.
Typus (Überlieferungsform)
Codex.
Beschreibstoff
Papier.
Umfang
1, 138, 1 Bll.
Format (Blattgröße)
41,2 × 28,4 cm.
Zusammensetzung (Lagenstruktur)
Hs. aus 2 Faszikeln zusammengesetzt (I. Bll. 15–130; II. Bll. 131–142). (I-1)1a + … + (I-1)143*. Vorderspiegel Gegenbl. von 1a, Hinterspiegel Gegenbl. von 143*.
Seiten-, Blatt- und Lagenzählung
Zeitgenössische Foliierung (XV–CXXXVI), wobei zuweilen Zählung durch Beschnitt beeinträchtigt oder verloren, zudem wurde die 10. Lage nachträglich eingefügt, sodass die alte Zählung nach CXXIIIJ eine Lücke aufwies, die in Rom im 17. Jh. mit einer neuen Foliierung versehen wurde, die auch über den zweiten Faszikel ausgestreckt wurde (125–142). Vor- und Nachsatzbl. ungez., weshalb hier Zählung der Digitalisate übernommen wird (1a, 143*).
Zustand
Papier verschmutzt und gebräunt, zahlreiche Flecken, zerlöcherte Ränder teilweise zeitgenössisch mit Pergamentband überklebt, Schriftraum gebräunt, Tinte mitunter verblasst. Zahlreiche Falzverstärkungen.


Einband
Pergamentband über Pappe, nach Schunke, Einbände 2.2, S. 851, um 1780 in Rom entstanden. Löcher für Schließbänder in den Deckeln noch vorhanden. Gelb-kupferfarbenes Kapital. Auf dem Rücken oben blaues barockes Signaturschild 798, darunter blaues Signaturschild Pal. lat. 798, in Tinte auf den Rücken notiert: Summa libellorum à diuersis, ein weiteres Mal 798 sowie in Blau: Pal.
Provenienz
Heidelberg.
Geschichte der Handschrift
Auf dem vorderen Spiegel modernes blaues Signaturschild der Vaticana Pal. lat. 798 und kleiner Zettel, der sich zwischen 52 und 53 befand. Auf Vorsatzbl. 1ar aktuelle Signatur mit Tinte und Pal. in Blau, samt Altsignatur 696 [durchgestrichen], samt weiterer, nicht mehr klar zu erkennender. Auf 15r Capsa-Nummer C. 121., darunter Allacci-Signatur 1480 [durchgestrichen], weiter unten Altsignaturen 1625 und 572. Die beiden hier versammelten Faszikel dürften in den 1360er Jahren entstanden sein. Wie die zeitgenössische Foliierung nahelegt, wurden zeitnah die Practica aurea libellorum und der Libellus fugitivus geschrieben und daraufhin mit dem zweiten Faszikel verbunden, ehe – ebenfalls zeitnah – am Ende des ersten Faszikels noch ein Ternio eingebunden wurde, um Anmerkungen und Kommentare zur Practica aurea libellorum aufzunehmen. Angesichts der hier versammelten Texte dürfte es sich um einen Codex handeln, der entweder einem Kleriker am Mainzer erzbischöflichen Gericht oder dem Gericht selbst als Arbeitsgrundlage diente. Denn dass die Hs. nicht nur in Mainz geschaffen wurde, wie es die beiden Faszikel nahelegen, sondern dort auch in der Dombibliothek aufbewahrt wurde, zeigt der Eintrag des Syndikus Makarius von Buseck (†1482, zur Person und zu seinem Amt s. Franz Falk, Die ehemalige Dombibliothek zu Mainz. Ihre Entstehung, Verschleppung und Vernichtung, nach gedruckten und ungedruckten Quellen, Leipzig 1897 [Zentralblatt für Bibliothekswesen, Beiheft 18], S. 25) auf 15r: Iste liber pertinet ad librariam Sanctj Martinj ecclesie Maguntinensis. Macarius sindicus subscripsit. Anno 1479. Dort dürfte das Buch bis 1552/1553 gelegen haben, ehe es wahrscheinlich im Zuge von Plünderungen im Zweiten Markgrafenkrieg (1552–1554) über den kriegstreibenden Albrecht II. Alcibiades (1522–1557) an den bibliophilen Pfälzer Kurfürsten Ottheinrich gelangte (s. Einleitung) und auf diesem Weg schließlich in die Bibliotheca Palatina.

Faksimile
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bav_pal_lat_798
Literatur
Bartsch, Handschriften, S. 191, Nr. 371; Manuscripta juridica, Pal.lat.798; Mirabile, Pal.lat.798; Murano, Ricerche sul Libellus fugitivus, in: Aevum. Rassegna di scienze storiche, linguistiche e filologiche 79 (2005), S. 417–460, hier S. 428, 430, 436, 453, 455; OVL, Pal.lat.798; Schunke, Einbände 2.2, S. 851; Stevenson, Latini, S. 284f.
Verzeichnis der im Katalogisierungsprojekt abgekürzt zitierten Literatur

Faszikel I (Bl. 15–130)

Sachtitel / Inhalt
Texte zum Prozessrecht.
Entstehungsort
Mainz.
Entstehungszeit
1360er Jahre.
Typus (Überlieferungsform)
Faszikel.
Beschreibstoff
Papier.
Umfang
116 Bll.
Format (Blattgröße)
33,5 × 19 cm.
Zusammensetzung (Lagenstruktur)
8 VI110 + VII124 + III130. Zählung beginnt mit XV. Bei 52a handelt es sich lediglich um einen kleinen Zettel.
Seiten-, Blatt- und Lagenzählung
s. zum Codex. Durchgehend Kustoden auf der ersten Rectoseite der Lage, beispielsweise auf 75r quaternus sextus. 62v–98v Reklamanten auf letzter Versoseite der Lage auf dem Fußsteg rechts. Lagenfoliierung in römischen Ziffern.
Wasserzeichen
Frei stehender Ochsenkopf mit Augen, mit einkonturiger Stange und sechsstrahligem Stern als Oberzeichen, ab Bl. 16, vergleichbar mit Wzz. von Papieren, die laut WZIS 1370 in Bologna Verwendung fanden, IT1185-PO-67696.

Schriftraum
32,2 × 22 cm.
Spaltenanzahl
2 Spalten.
Zeilenanzahl
59–67 Zeilen.
Angaben zu Schrift / Schreibern
Mehrere Hände schrieben diesen Faszikel, wobei alle zwischen den Polen einer gotischen Minuskel und einer älteren gotischen Kursive oszillieren. Auffallend dabei ist die Hand, welche von 38vb bis 44va übernahm und deren Schrift in den segelhaften Ausformungen der Oberlängen den Kanzleibastarden nahesteht.
Buchgestaltung
Schriftraum mit Tinte vorgezogen. Rubriken, an den Anfängen rote Lombarden, zuweilen mit Aussparungen, ferner rote Paragrafenzeichen zur Strukturierung der Texte. Auf 122r Text gestrichen.
Buchschmuck
Auf 56r und 56v jeweils Schema, Verwandtschaftsverhältnisse darstellend.

Nachträge und Benutzungsspuren
Korrekturen und Anmerkungen von mehreren zeitgenössischen Händen, darunter dürften auch jene sein, welche die eigentlichen Texte ausführten. Zahlreiche grafische Verweiszeichen, auch in Form von Vögeln oder im Profil dargestellten Köpfen. Anmerkungen und Kommentare zur Practica aurea libellorum später nachgetragen, wofür wohl eigens nachträglich ein Ternio eingebunden wurde.

Provenienz
Heidelberg.
Geschichte des Faszikels
Wie das Schriftbild vermuten lässt, muss der Text in der Mitte des 14. Jhs. kopiert worden sein. Dies könnte in Mainz geschehen sein, wofür nicht zuletzt eine über den Text geschriebene Glosse auf 31v in rheinhessischem Dialekt spricht: id est: ergangen hayt vuyr geyrychte.

1) 15ra–104rb Digitalisat

Verfasser
Pierre Jame d’Aurillac (GND-Nr.: 103146989).
Titel
Practica aurea libellorum.
Angaben zum Text
(15ra–103vb) Text; (103vb–104rb) Inhaltsverzeichnis.
Rubrik
15ra ›Jncipit Summa libellorum a Petro Jacobi composita. Rubrica‹.
Incipit
15ra ›Jnnomine domini nostri Ihesu Christi, qui cum patre et spiritu sanctu vnus est domnus et vnus omnipotens dominus, qui, ut ait primas, scienciarum est dominus et omnia in sapiencia fecit
Explicit
104rb … ipsum ad finem per me optatum deduxi. Benedictum sit nomen domini nostri Ihesu Christi. Amen.
Edition
Der Text liegt in keiner modernen Edition vor, erschien aber bereits 1492/1493 als Wiegendruck (GW 13803).

2) 104rb–104vb Digitalisat

Titel
Anmerkungen und Kommentare zur ‚Practica aurea libellorum‘.
Incipit
104rb A. Notatur in xxviij. folio quando quis agere potest

3) 105ra–124ra Digitalisat

Verfasser
Bagarotto dei Corradi (GND-Nr.: 1013285794).
Weitere beteiligte Personen
Nepos de la Divina (GND-Nr.: 100310605).
Titel
Libellus fugitivus.
Angaben zum Text
Prozessrechtlicher Traktat, in dieser Version zuletzt Bagarotto zugeschrieben (Murano, Ricerche, S. 441–452), in der Redaktion des Nepos de la Divinia (um 1220–um 1284). Vgl. Murano, Ricerche, S. 441, s. zuletzt auch Jörg Feuchter, Nepos of Montauban, Assistant to Inquisition and Defender of the Accused, in: Inquisition and Knowledge, hrsg. von Peter Biller / Lucy J. Sackville, New York 2022, S. 72–109.
Incipit
105ra ›Cvmplures libelli super causarum exerciciis a predecessoribus nostris facti fuerint
Explicit
124ra … contra scilicet insidiantes et emulos dignentur ipsum libellum sustinere et cetera, et cetera, et cetera.Explicit libellus fugitiuus compositus a magistro Nycolao [!] de Monte Albano. Deo gracias et cetera‹.
Edition
Prolog ediert in: Murano, Ricerche, S. 453–455, Textausgaben des 16. Jhs. ebenda S. 431–434.

4) 124ra–130vb Digitalisat

Titel
Anmerkungen und Kommentare zur ‚Practica aurea libellorum‘.
Incipit
124ra A. Nota: In l. folio de accionibus cumulatis et de accionibus accumulatis
Explicit
130vb … consensu causali per collationem substancialiter.

Faszikel II (Bl. 131–142)

Sachtitel / Inhalt
Kleinere Rechtstexte, v.a. Material zu verschiedenen Gerichtsfällen.
Entstehungsort
Mainz.
Entstehungszeit
1360er Jahre.
Typus (Überlieferungsform)
Faszikel.
Beschreibstoff
Papier.
Umfang
12 Bll.
Format (Blattgröße)
41,2 × 28,4 cm.
Zusammensetzung (Lagenstruktur)
VI12 .
Seiten-, Blatt- und Lagenzählung
s. zum Codex.
Wasserzeichen
Ab Bl. 132, Drei Elemente: Kreis – Kreis – Kreuz (einkonturig), Wzz. ähnlich bei Papieren, die laut WZIS 1357 in Lucca beschrieben wurden, IT5025-PO-22419.

Schriftraum
33 × 24 cm.
Spaltenanzahl
2 Spalten.
Zeilenanzahl
39–55 Zeilen.
Angaben zu Schrift / Schreibern
Mehrere Hände schrieben den Faszikel in älteren gotischen Kursiven, wobei durchaus auch Elemente von Kanzleibastarden zu finden sind.
Buchgestaltung
Schriftraum blindliniiert? Überschriften nachgetragen. An den Anfängen Initialmajuskeln, ferner zuweilen Paragrafenzeichen zur Strukturierung der Texte.

Nachträge und Benutzungsspuren
Wenige Anmerkungen von anderen zeitgenössischen Händen. Grafische Verweiszeichen.

Provenienz
Heidelberg.
Geschichte des Faszikels
Wie die Texte aus den 1360er Jahren und auch die verwendete Schrift suggerieren, dürften diese zeitnah kopiert worden sein. Aufgrund der Inhalte ist davon auszugehen, dass dies in Mainz geschah.

5) 131ra–142vb Digitalisat

Beteiligte Personen
Benedikt XII. (GND-Nr.: 118508903).
Titel
Kleinere Rechtstexte, v.a. Material zu verschiedenen Gerichtsfällen.
Angaben zum Text
Abschriften von Urkunden und weiteren Rechtstexten, auch in deutscher Sprache (131va–132rb), vorwiegend aus den 1360er Jahren. Auffallend dabei sind die zahlreichen Bezüge zu Mainzer Kirchen und deren Klerikern: (131ra–137ra) Material zu verschiedenen Gerichtsfällen; (137rb–138rb) Papst Benedikt XII., Konstitution ‚Vas electionis‘ (ed. Andreas Meyer, https://www.uni-marburg.de/de/fb06/mag/institut/prof-dr-andreas-meyer/kanzleiregeldateien/benedikt12.pdf, Nr. 49, S. 111–128); (138rb–138va) Papst Benedikt XII. , Konstitution ‚Ex cotidiana‘ (ed. Andreas Meyer, Nr. 47, S. 104–110); (138vb–142vb) Material zum Prozess des Johannes Rummel von Hetzingen, Kleriker der Kölner Diözese, gegen Johannes Orth aus Allendorf, Propst der Stiftskirche St. Peter und Paul in Oberdorla und Kanoniker in Mariengraden zu Mainz.
Rubrik
131ra ›Hic est de fructis taxacionis, exspectatis et monitionis bene concepta‹.
Incipit
131ra Zu Wolkenburg triginta quinque cum dimidio Florenis auri
Explicit
142vb … inter ipsum parte ex vna et dictum dominum Johannis Orthonis pendentem discuciat seu diffinire dignetur.


Bearbeitet von
Dr. Thorsten Huthwelker, Universitätsbibliothek Heidelberg, 2024.


Zitierempfehlung:


Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 798. Beschreibung von: Dr. Thorsten Huthwelker (Universitätsbibliothek Heidelberg), 2024.


Katalogisierungsrichtlinien
Die Katalogisierungsrichtlinien finden Sie hier.

Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Erschließung von 876 mittelalterlichen und frühneuzeitlichen lateinischen Handschriften der Heidelberger Bibliotheca Palatina in der Vatikanischen Bibliothek in Rom.