Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 830

Marianus Scottus, Chronicon

Pergament · 2, 170, 2 Bll · 29,7 × 24,5 cm · Mainz · 1072–1082


Schlagwörter (GND)
Geschichte / Geschichtsschreibung / Weltgeschichte / Chronologie / Computistik.
Entstehungsort
Mainz.
Entstehungszeit
1072–1082.
Typus (Überlieferungsform)
Codex.
Beschreibstoff
Pergament.
Umfang
2, 170, 2 Bll.
Format (Blattgröße)
29,7 × 24,5 cm.
Zusammensetzung (Lagenstruktur)
(I-1)1a + 12a + 11 + I3 + IV11 + III17 + IV25 + 4 VI73 + II77 + (IV+1)86 + II90 + (VI-2)100 + VII114 + V124 + (VII-1)137 + VI149 + VII163 + II167 + (II-1)170 + 1171* + (I-1)172*. Vorderspiegel Gegenbl. von 1a, Hinterspiegel Gegenbl. von 172*.
Seiten-, Blatt- und Lagenzählung
Römische Foliierung des 17. Jhs. (1–170). Bei ungez. Blättern folgt die Beschreibung dem Digitalisat (1a–2a, 171*–172*).
Zustand
26–73 dünneres Pergament, von höherwertiger Qualität, 1–25, 74–170 dickeres Pergament von minderer Qualität, mit zahlreichen Löchern, die bereits vor der Niederschrift vorhanden waren, selten genähte Risse (Baran-Kozłowski, Chronicon, S. 320). Pergament stark verschmutzt, Tinte verblasst. 170 unterer Teil abgetrennt, mit Pergament restauriert, so wie teilweise bei anderen Blättern die Ränder.

Schriftraum
25,8 × 18-23,2 cm.
Spaltenanzahl
1-8 Spalten.
Zeilenanzahl
35–38 Zeilen.
Angaben zu Schrift / Schreibern
Marianus Scottus diktierte den Text offenbar zwei Schreibern (Hand 1: 26r–149v, Hand 2: 38r–48r, 138r–147v Nachträge auf Rändern und in freien Zeilen), die sich beide einer insularen Minuskel bedienten. Der Rest des ursprünglichen Teils dürfte von Marianus Scottus selbst stammen, dessen Hand den größten Teil der ersten Bll. bis 24v und 150r bis 166r und 170r schrieb, später noch Korrekturen und Ergänzungen anbrachte und dessen Hand deutlich stärker zur karolingischen Minuskel tendiert (Güterbock, Handschriften, S. 90–98, der noch von vier Händen ausging, relativiert von Baran-Kozłowski, Chronicon, S. 328–335, der Hand 3 und 4 von Güterbock als eine und dieselbe interpretiert).
Buchgestaltung
Zeilenraster am Seitenrand durchgenadelt. Zeilengerüst blindliniiert. Der Text, in einer oder mehreren Spalten geschrieben, ist mit zahlreichen Tafeln durchsetzt und von vielfältigen Randbemerkungen, auch in irischer Sprache, umgeben, sodass der Hs. gerade im vorderen Teil der Charakter eines Arbeitsexemplars innewohnt. An Anfängen Initialen mit brauner, schwarzer oder roter Tinte (s. auch Buchschmuck). Unterschiedliche Initial- und Satzmajuskeln, zahlreiche Rubrizierungen.
Buchschmuck
Flechtbandinitialen, auf 31v, 37v, 43v, 52r, 71r, 101r als Tierinitialen ausgeführt, 26r eher als verzierte Initialmajuskel mit Tierkopf als Ablaufmotiv. 15v mit Metallstift ausgeführte Zeichnung eines Zierelements, einer Zeigehand und eines Männerkopfes. 37r Federzeichnung: Eva erhält von der sich um einen Baumstamm windenden Schlange die verbotene Frucht, die sie wiederum Adam anbietet, neben dem Baumstamm eine Quelle, daneben Kreuzigungsszene, Jesus am Kreuz, zu seiner Rechten Maria mit Nimbus, zu seiner Linken der Apostel Johannes mit Nimbus. 36v Darstellung von Sonne und Mond. 40v Schaubild in Form eines Hauses. 103r Federzeichnung, teilweise mit roter Tinte verziert, oben Kreuzabnahme: Joseph von Arimathäa nimmt Jesus vom Kreuz, unter Mithilfe der nimbierten Maria, während ein junger Mann einen Nagel aus dem Fuß Christi zieht. Joseph von Arimathäa und der junge Mann sind nicht nimbiert, weshalb es sich bei Letzterem nicht um Johannes handeln kann (s. dazu Ratkowska, Iconography, S. 315). Unter der Darstellung Kreuzigungsszene: Jesus am Kreuz, Blut rinnt aus den Handinnenflächen, zu seiner Rechten Maria, zu seiner Linken Johannes, beide nimbiert.

Nachträge und Benutzungsspuren
Korrekturen und Ergänzungen von Hand des Marianus Scottus (s. Angaben zu Schrift / Schreibern). Nachträge stammen zudem von zwei Händen des 12. Jhs., welche auch das Chronicon fortsetzten: Hand 4 (mehr zur zeitlichen Eingrenzung ihres Wirkens s. Angaben zum Inhalt von Text 3): 133v, 134v, 138r, 166rv, 170v, Hand 5, stärker von der diplomatischen Minuskel beeinflusst: 165v (Tod des Abts von Fulda, Widrad), 166v (die letzten drei Einträge). Spätmittelalterlich ist der Nachtrag zum Ableben des Macarianus Scottus auf 166r, frühneuzeitlich Verweise, z. B. 36v und 166r, auf den 1559 von Johann Basilius Herold besorgten Druck (s. auch Baran-Kozłowski, Chronicon, S. 330f.).

Einband
Braunes, marmoriertes Leder auf Pappe, auf dem rissigen Rücken die Signatur 830 sowie einzelne Elemente des Wappens (Stern und Dreiberg) von Alessandro Albani (1692–1779), Kardinal und Bibliothekar, in Gold geprägt, in Rom gefertigt zwischen 1761 und 1779 (Schunke, Einbände 2.2, S. 852). Kapital mit blau-gelben Schnüren umwickelt.
Provenienz
Heidelberg.
Geschichte der Handschrift
Vorder- und Hinterspiegel wie die jeweiligen Gegenbll. aus Marmorpapier. Aktuelle Signatur mit Blei auf 1av und in Tinte auf 1r, ebendort Altsignaturen, zweimal 1264, einmal zu 1364 korrigiert, sowie von Hand des 17. Jhs. Chronicon ecclesiasticum. Die Hs. wurde zwischen 1072 und 1082 in Mainz unter Anleitung des Marianus Scottus und teilweise auch von ihm selbst geschrieben und im 12. Jh. noch von zwei Händen fortgesetzt. Da Marianus Scottus Inkluse am Mainzer Dom war, wird die Hs. in die Bibliothek des Domstifts eingegangen sein. 1479 ist sie dort nachweisbar, wie der Eintrag auf 1r des Syndikus Macarius von Buseck (†1482) ausweist: Iste liber pertinet ad librariam sanctj Martinj ecclesie Maguntine sowie Macarius sindicus scripsit 1479, darunter noch einmal von neuzeitlicher Hand wiederholt. Eine wohl Mainzer Signatur aus dem Domstift findet sich ebenda, zweimal h 15, wobei das h für ‚historia‘ stehen dürfte, eine weitere auf 2r R III. Nach Heidelberg gelangte die Hs. wohl durch Michael Schütz (1514-1581), genannt Toxites, Balthasar Reisner (s. Drüll, Gelehrtenlexikon, S. 471f.) oder Marcus Wagner († 1579), die im Auftrag des Pfalzgrafen Ottheinrich die Mainzer Dombibliothek in den Jahren 1553–1555 besuchten und dabei auch mehrere Hss. ausliehen (Falk, Dombibliothek, S. 84–86, der allerdings annimmt, dass die Bücher im Rahmen des 2. Markgrafenkriegs als Kriegsbeute aus der Dombibliothek entwendet worden wären, anders bereits gesehen von Schottenloher, Pfalzgraf Ottheinrich, S. 12). Darunter dürfte sich auch der Palatinus befunden haben, der offenbar – wie andere Codices auch – nicht wieder zurückgegeben wurde und daraufhin schließlich in die Schlossbibliothek und später in die Bibliotheca Palatina eingegangen sein dürfte, in deren Katalog von 1581 es wie folgt heißt: Chronicon ecclesiasticum, geschrieben, perment, bretter, weiß leder, ketten (Pal. lat. 1956, S. 57). Von der Überführung nach Rom künden auf 1r die Capsa-Nummer C. 4 und darunter die Allacci-Signatur 1756, sowie auf 2ar das gedruckte Exlibris von 1623, welches das Buch als Kriegsbeute und als Siegeszeichen bezeichnet, das Gregor XV. von Maximilian I. von Bayern erhielt.

Faksimile
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bav_pal_lat_830
Literatur
Wojciech Baran-Kozłowski, Chronicon by Marianus Scotus – between Computistic and Historiography: World Chronicles and the Search for a Suitable Chronology of History, in: Quaestiones medii aevi novae 13 (2008), S. 313–347, passim, v. a. S. 319–335; Wojciech Baran-Kozłowski, „Kronika swiata“ Mariana Szkota: Studium zródloznawcze, Posen 2009 (mit weiterer Literatur); Wojciech Baran-Kozłowski, Wokół warsztatu średniowiecznego dziejopisa – uwagi na marginesie badań nad „Kroniką świata” Mariana Szkota, in: Historia Slavorum Occidentis 2 (2012), S. 22–36; Wojciech Baran-Kozłowski, Język ojczysty na „emigracji” – studium pewnego XI-wiecznego przypadku, in: Piotrkowskie Zeszyty Historyczne 19 (2018), S. 49–71; Bethmann, Nachrichten, S. 343; Ludwig Bieler, The Mission of Palladius. A Comparative Study of Sources, in: Traditio 6 (1948), S. 1–32, hier S. 27f.; Anna-Dorothee Von den Brincken, Marianus Scottus. Unter besonderer Berücksichtigung der nicht veröffentlichten Teile seiner Chronik, in: DA 17 (1961), S. 191–238, passim, v.a. S. 195; Anna-Dorothee Von den Brincken, Marianus Scottus als Universalhistoriker iuxta veritatem evangelii, in: Die Iren und Europa im früheren Mittelalter, hrsg. von Heinz Löwe, Stuttgart 1982, S. 970–1009, hier S. 970f. A. 2f., 977, 999 A. 135, 1001 A. 139; Françoise Gasparri, Authenticité des autographes, in: Gli autografi medievali. Problemi paleografici e filologici. Atti del convegno di studio della Fondazione Ezio Franceschini, Erice 25 sett.–2 ott. 1990, hrsg. von Paolo Chiesa / Lucia Pinelli, Spoleto 1994 (Quaderni di cultura mediolatina 5), S. 3–22, hier S. 8; Bruno Güterbock, Aus irischen Handschriften in Turin und Rom, in: Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung auf dem Gebiete der indogermanischen Sprachen 33 (1895), S. 86–105, hier S. 89–100; Françoise Henry / G. L. Marsh-Micheli, A Century of Irish Illumination (1070–1170), in: Proceedings of the Royal Irish Academy 62 (1961–1963), S. 101–166, hier S. 126–129; Hartmut Hoffmann, Irische Schreiber in Deutschland im 11. Jahrhundert, in: DA 59 (2003), S. 97–120, hier S. 99; Krämer, Handschriftenerbe 1.2, S. 529; Clifford E. Minor, Bacaudae: A Reconsideration, in: Traditio 51 (1996), S. 297–307, hier S. 307; Mirabile, Città del Vaticano, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 830; Mirabile, Marianus Scotus n. 1028, m. 22-12-1082/1083, Chronicon; Montuschi, Le biblioteche, S. 298, 303, 335; Agostino Paravicini Bagliani, La Papessa Giovanna. I testi della leggenda (1250–1500), Florenz 2021 (Millenio medievale 120, Testi 32), S. 546; Paulina Ratkowska, The Iconography of the Deposition without St. John, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 27 (1964), S. 312–317, hier S. 315; Irmgard Schuler, Fotografia, in: La Biblioteca Apostolica Vaticana luogo di ricerca al servizio degli studi, Atti del Convegno Roma, 11–13 novembre 2010, hrsg. von Marco Buonocore / Ambrogio M. Piazzoni, Vatikanstadt 2011 (Studi e testi 468), S. 477–502, hier S. 492; Schunke, Einbände 2.2, S. 852; Sharpe, Handlist, S. 370; Stevenson, Latini, S. 290f.; The Codex Palatino-Vaticanus, No. 830 (Texts, Translations and Indices), hrsg. von Bartholomew MacCarthy, Dublin 1892; José M. Viejo-Ximénez, Notas sobre la Collectio decem partium de Colonia, in: Bulletin of Medieval Canon Law 38 (2021), S. 59–144, hier S. 83–85.
Verzeichnis der im Katalogisierungsprojekt abgekürzt zitierten Literatur

1) 1v–169v Digitalisat

Verfasser
Marianus Scottus (GND-Nr.: 100952984).
Titel
Chronicon.
Angaben zum Text
Von Marianus Scottus (1028–1082/1083) verfasste Weltchronik, die stark von seinen chronologischen und komputistischen Ausführungen geprägt ist und hier als Teilautograf vorliegt. 1072–1073 erfolgte die Reinschrift, größtenteils von Hand 1, schließlich vollendet von Marianus selbst, der sich auch selbst nennt. In den folgenden Jahren fügten er und Hand 2 Ergänzungen ein, ehe Marianus 1082 die Fortsetzung bis zu diesem Zeitpunkt nachtrug (Baran-Kozłowski, Chronicon, S. 331–335). – (1v) Tractatio sequentis cycli; (2r–3r) Tafeln zur Chronologie; (3v) leer; (4r–10v) Tafel 1, den ersten Osterzyklus darstellend, beginnend mit dem Konsulat des Lentulus und Marcellus (49 v. Chr.) bis in das Jahr 532; (10v–11v) Tafel 2, Chronologische Konkordanz für die Jahre 12–333; (11v–15r) Tafel 3, Variante von Tafel 1, die Jahre 12–246 beinhaltend; (15v) Liste mit iro-schottischen Herrschern; (16r–16v) Liste mit Päpsten bis zu Johannes XII. († 964); (17rv) Bis auf Notiz leer; (18r–24v) Tafel 4, zwei Ostertafeln umfassend; (25rv) leer; (26r–27v) Prolog; (27v–31r) Inhaltsverzeichnis; (31v–71ra) Buch 1, reichend von der Entstehung der Erde bis zu Christi Geburt; (71rb–99v) Buch 2, die Zeit der Lebensjahre Christi umfassend; (100rv) leer; (101r–166r) Buch 3, bis in das Jahr 1073, mit dem Nachtrag zu 1076 und der von Marianus vorbenommenen Fortsetzung bis 1082; (166r–166v) Fortsetzungen des 12. Jhs.; (167r–169v) leeres Tafelgerüst.
Rubrik
26r ›In nomine sanctę trinitatis. Ressurrectionis Christi inquissitio incipit quam Marianus Hibernensis inclusus congregavit‹.
Incipit
26r Diuino informamur precepto, ut, quod nobis ab aliis fieri uolumus
Weiteres Initium
1v In pagina sequente per Abecedarium litterali regula.
Explicit
166r … ita ut in nocte palmarum multi sunt occisi.
Edition
Von den Brincken, Marianus Scottus. Unter besonderer Berücksichtigung, S. 208–231 (Prolog und Buch 1, c. 1–8); Mariani Scoti chronica. Adiecimus Martini Poloni historiam, hrsg. Johann Basilius Herold, Basel 1559, Sp. 1–392 (beginnt mit Buch 1, c. 9, hier bis zum Ende von Buch 2 angegeben); MGH SS 5, S. 495–562 (Kapitelüberschriften der Bücher 1–3, Buch 3, sowie die Fortsetzungen des 12. Jhs.); The Codex Palatino-Vaticanus, No. 830, hrsg. von MacCarthy (irische Glossen).

2) 170r Digitalisat

Beteiligte Personen
Gregor I. (GND-Nr.: 118541838).
Titel
Decretum ad clerum in basilica beati Petri apostoli.
Angaben zum Text
Beschlüsse der Synode des Jahres 595, abbrechend nach dem ersten Abschnitt.
Incipit
170r ›Regnantein perpetvvm domino nostro Ihesu Christo
Explicit
170r ... Et responderunt omnes: Anathema sit.
Edition
MGH Epp. 1, 5, 57a, S. 362f.

3) 170v Digitalisat

Titel
Collectio decem partium, 5.3.3–4.
Angaben zum Text
Abschrift von zwei Rechtssätzen, die sich mit dem Pallium befassen, aus der so genannten Collectio decem partium, einer Rechtssammlung, die zwischen 1094/1095 und 1130 in Köln entstanden sein dürfte und deren Rezeption im Mainz desselben Jhs. sich mit diesem kurzen Eintrag belegen lässt. Da die Rezeption des Decretum Gratiani in der zweiten Hälfte des 12. Jhs. die bestehenden kanonischen Rechtssammlungen verdrängte (vgl. Viejo-Ximénez, Notas, S. 82–85, 111f.), besitzen wir auch eine ungefähre Einschätzung zur zeitlichen Datierung der Hand.
Incipit
170v Quisquis metropolitanorum, quod minime credimus, sine pallio
Explicit
170v ... et omnes cooperatores eius similiter.
Edition
Viejo-Ximénez, Notas, S. 84f.


Bearbeitet von
Dr. Thorsten Huthwelker, Universitätsbibliothek Heidelberg, 2024.


Zitierempfehlung:


Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 830. Beschreibung von: Dr. Thorsten Huthwelker (Universitätsbibliothek Heidelberg), 2024.


Katalogisierungsrichtlinien
Die Katalogisierungsrichtlinien finden Sie hier.

Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Erschließung von 876 mittelalterlichen und frühneuzeitlichen lateinischen Handschriften der Heidelberger Bibliotheca Palatina in der Vatikanischen Bibliothek in Rom.