Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. gr. 261

Philosophische Sammelhandschrift

Papier · 5, 308, 2 Bll. · 20,3 × 14,5 cm · s.l. · 2. Hälfte 15. Jh.


Schlagwörter (GND)
Spätantike / Philosophie / Diogenes Laertius / Lucianus Samosatensis.
Diktyon-Nr.
65993.
Ar Lateinische Inhaltsbezeichnung
Av Nota possessoris
Br–Cv Pinax libri a manu scriptoris
Dr Nonnulla ex Diogene Laertio de Graeciae Sapientibus, quid primi omnium excogitaverint
Dv vacat
1) 1r–292v Diogenes Laertius, Vitae Philosophorum
2) 293r–304v Lucianus Samosatenis, Vita Demonactis
3) 305r–308r Claudius Ptolemaeus, Geographiae initium
4) 308r Libanius, Orationum excerpta dua

Kodikologische Beschreibung

Entstehungsort
s.l.
Entstehungszeit
2. Hälfte 15. Jh. Bis etwa 1487, da Tätigkeit des um diese Zeit bereits neunzigjährigen Schreibers bis dahin dokumentiert ist, vgl. RGK I, Nr. 95 u. RGK III, Nr. 161 (siehe Angaben zu Schrift / Schreibern).
Typus (Überlieferungsform)
Codex.
Beschreibstoff
Westliches Papier.
Umfang
5, 308, 2 Bll.
Format (Blattgröße)
20,3 × 14,5 cm.
Zusammensetzung (Lagenstruktur)
(IV-1)1a + IIA–D + 3 IV24 + (IV-1)31 + 34 IV303 + III309 + (IV-1)310*. Vorderspiegel ist Gegenbl. von 1a, Hinterspiegel Gegenbl. von 310*.
Foliierung
Vatikanische Bleistiftfoliierung (f. A–D, 1–309) im Kopfsteg rechts. Die Bezeichnung der ungez. Bll. folgt dem Digitalisat (1a, 310*).
Lagenzählung
Die originale Lagenzählung von der Hand des Schreibers ist zu einem großen Teil noch erhalten (f. 1r = αʹ… f. 288r = λζʹ) und wurde im Fußsteg rechts auf jeder ersten Rectoseite einer Lage notiert.
Zustand
Handschrift insgesamt eher wenig benutzt. Am Anfang und am Ende etwas stickfleckig, gelegentlich auch an den Rändern. Etwas Wurmfraß, Papier mitunter im Bereich des Falzes etwas brüchig.
Wasserzeichen
Wegen der Größe der Hs. keine Wasserzeichen erkennbar.

Schriftraum
15,2 × 9,5 cm.
Spaltenanzahl
1 Spalte.
Zeilenanzahl
27 Zeilen.
Schriftart
Individuelle Gebrauchsschrift der Renaissance mit kursiven Elementen. Die rechtsgeneigte Minuskel hat ein kleines Format mit reduzierten Unterlängen und ausgeprägter Wort- und Buchstabentrennung. Auch der Abstand zwischen den Zeilen ist groß. Die häufigsten Ligaturen betreffen die Buchstaben epsilon (epsilon-iota, epsilon-pi, epsilon-rho, epsilon-ypsilon, epsilon-omega) und rho (tau-rho). Gamma und Tau sind hochgezogen und grifförmig. Obwohl der Schreiber mit Demetrios Raoul Kabakes identifiziert wurde (siehe Angaben zu Schrift / Schreibern), erinnert der Stil der Handschrift auch an die Hand des Michael Apostoles. (nach Cataldi Palau 2004, S. 330–331 wurde die Hs. von Michael Apostoles geschrieben; vgl. aber Vat. gr. 1359, f. 56v–57r, Speranzi 2010, S. 335, 77).
Angaben zu Schrift / Schreibern
Demetrios Raoul Kabakes (RGK I, Nr. 95; RGK II, Nr. 128e; RGK III, Nr. 162). Von derselben Hand stammt auch die Pinax zu Diogenes Laertius am Anfang der Handschrift (Bll. Br–Cv). Geboren in Konstantinopel oder in den nahen Regionen, 1441 war Demetrios Kabakes in Mystra Schüler des Gemistos Plethon. Er war nicht nur ein Schreiber, sondern auch der wahrscheinliche Autor eines kleinen Werks (Theorema), in dem er einige Lehren darlegt, die dem heidnischen Mystizismus von Julian dem Apostaten nahe stehen und die in gelehrten Kreisen der Renaissance wiederentdeckt wurden. Später war er am Hof des Kostantinos XI. Palaiologos tätig und ab 1466 in Rom. In Italien ist er in Kontakt mit Bessarion gekommen, wie u. a. eine Randnotiz in Vat. gr. 2236 bezeugt. Die letzte von ihm geschriebene Handschrift ist 1487 datiert. Auf Bl. Av der Hs. ist auch die Schrift von Markos Musuros (RGK I, Nr. 265; RGK II, Nr. 359; RGK III, Nr. 433) erkennbar (s. Nachträge und Benutzungspuren).
Buchgestaltung
Dem Verwendungszweck der Handschrift entsprechende, schlichte Gestaltung der Texte.
Buchschmuck
Die Seiten zeigen ein schlichtes Aussehen ohne besondere Zierrate. Die Titel wurden mit einer roten Tinte markiert. Am Anfang der verschiedenen Texte befinden sich stilisierte Pflanzenmotive. Die Initialen wurden teilweise mit roter Tinte ausgeführt.

Nachträge und Benutzungsspuren
Signaturenmarke der BAV auf dem Vorderspiegel. Auf f. Ar befinden sich die noch aktuelle Fuggersignatur, das Erwerbersignet Cypr(ius) des Hieronymus Tragodistes und der von Angelo Mai geschriebene Titel der Hs. (Laertuis vitae Philosophorum). Im Kopfsteg von f. Br Eintrag der Capsa-Nr. C. 68, darunter die BAV-Stempel und Signatur 261. Am Rand der Texte befindet sich die Zählung der verschiedenen Textabschnitte zusammen mit kleinen Notizen und Kommentaren von der Hand des Kopisten. Andere Beiträge sind rückführbar auf die Hände der späteren Eigentümer. Auf f. Av befinden sich ein kleines Dodecasyllable Epigramm, das Musuro geschrieben hat, um die Handschrift seinem Lieblingsschüler zu widmen: φίλων τόδ'ἐστὶν οὐ μόνου κάρλου κτέαρ/Κάρλου τόδ᾽οὐκ ἔστ᾽ἀλλὰ Μουσούρου κτέαρ/Κάρλου τόδ᾽ ἐστίν, οὐχὶ Μουσούρου κτέαρ/Κάρλου τόδ᾽ ἐστὶν ἠδὲ Μουσούρου κτέαρ/Τύχης τόδ᾽ ἐστὶ κτῆμα καὶ τῶν χρωμένων/ἀλλ᾽ οὔτε Κάρλων οὔτε Μουσούρων κτέαρ. Mit einem Wortspiel stellt das Epigramm die Frage, wer eigentlich der Besitzer der Handschrift ist: Der Text hat also die Funktion eines Besitzvermerks. Wegen mancher grafischen und inhaltlichen Einzelheiten vermutet Görgemanns 1990, S. 70-75, dass der erste Vers (φίλων τόδ'ἐστὶν οὐ μόνου κάρλου κτέαρ) Carlos Hand gehört und dass die zwei Freunde sich auf eine lustige literarische Art und Weise unterhaltn. Der Inhalt und die Struktur spiegeln jedenfalls die philia und den literarischen divertissement wieder, die die humanistischen Kreise bestimmten.

Einband
Roter Ledereinband der BAV aus der Zeit von Kardinalbibliothekar Francesco Saverio de Zelada und Papst Pius VI.; späterer Rücken mit goldenen Wappenstempeln von Papst Pius IX. (oben) und Kardinalbibliothekar Angelo Mai (unten), vgl. Schunke, Einbände, II, S. 909.
Provenienz
Venedig / Augsburg / Heidelberg.
Geschichte der Handschrift
Die Handschrift ist war in Venedig bei Marco Musuro, als er 1509 dorthin umgezogen ist (vgl. aber Görgemanns 1990 für die Möglichkeit, dass der Codex tatsächlich Eigentum Carlos war). 1511 wurde Musuro in Venedig Griechischlehrer und dann 1513-1514 Lehrer der Söhne des venezianischen Adels: In diesen Jahren fasste er besondere Zuneigung zu einem seiner Schülern, Carlo Cappello (vgl. Mercati 1938 für die erste Identifikation von Κάρλος mit Carlo Cappello), dem er mindestens vier Handschriften geschenkt hat, wie die Widmungen und die kleinen Gedichte von BAV, Pal. gr. 287, Pal. gr. 261, Pal. gr. 275 und Ambros. A 164 sup. bezeugen. Die Handschrift wurde danach von dem Cyprioten Hieronymus Tragodistes für Ulrich Fugger in Venedig erworben (vgl. Lehmann, Fuggerbibliotheken, I, S. 111–115). 1567 wurde sie nach der Verbringung der Fuggerbibliothek aus Augsburg nach Heidelberg gebracht und nach dem Tod Ulrichs in die Bibliotheca Palatina intergriert. Seit 1623 befindet die Hs. sich in der Biblioteca Apostolica Vaticana.

Faksimile
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bav_pal_gr_261
Literatur
Stevenson, Graeci, S. 143; Annaclara Cataldi Palau, Su alcuni Umanistici possessori di manoscritti greci. I: Alcuni manoscritti appartenuti a Giorgio Valla. II: Un nuovo manuscritto appartenuto a Marco Musuro, in: Studi umanistici piceni 14 (1996), S. 154; Annaclara Cataldi Palau, La vita di Marco Musuro alla luce di documenti e manoscritti, in: Italia medioevale e umanistica XLV, 2004, S. 295–369; Giovanni Mercati, Codici latini Pico Grimani Pio: e di altra biblioteca ignota del secolo XVI esistenti nell'Ottoboniana e i codici greci Pio di Modena, Città del Vaticano 1938; Diogenis Laertii Vitae Philosophorum ed. Herbert Strainge Long, Oxford 1964, I, S. XX u. II, S. XIV; Diogenis Laertii Vitae Philosophorum, I: Libri I–X ed. Miroslav Marcovich, Berlin/New York 2008, S. 5–813; V. Giuseppina Donzelli, Per un'edizione critica di Diogene Laerzio: i Codici V U D G S, in: Bollettino del Comitato per la preparazione della edizione nazionale dei classici greci e latini, n.s., 8 (1960), S. 93–132; V. Giuseppina Donzelli, in: Studi Italiani di Filologia Classica, n.s., 32 (1960, S. 180 Anm. 2 u. 181, Anm. 3); David Speranzi, ll ritratto del anonimo. Ancora sui manoscritti di Alessio Celdano, vescovo di Gallipoli e Molfetta, in: La tradizione dei testi greci in Italia meridionale. in: Filagato da Cerami philosophos e didaskalos. Copisti, eruditi in Puglia tra XII e XVI secolo, a cura di Nunzio Bianchi, Bari 2011, S. 117 Anm. 23; David Speranzi, Vicende umanistiche di un antico codice. Marco Musuro e il Florilegio di Stobeo, in: Segno e Testo 8, 2010, S. 313–350; Herwig Görgemanns, Wem gehört dieses Buch? Ein Epigramm des Markos Musuros, in: Bibliothek und Wissenschaft 24, 1990, S. 66–75.
Verzeichnis der im Katalogisierungsprojekt abgekürzt zitierten Literatur

Inhalt

1) 1r–292v Digitalisat

Verfasser
Diogenes Laertius (GND-Nr.: 118525859).
Titel
Vitae Philosophorum.
TLG-Nummer
0004.001.
Angaben zum Text
F. 1r–31r Liber I; f. 31r–55r Liber II; f. 55r–67r Liber III; f. 67r–110v Liber IV; f.110v–136r Liber V; f. 136r–162r Liber VI; f. 162r–210r Liber VII; f. 210r–231r Liber VIII; f. 231r–257r Liber IX; f. 257r–292v Liber X.
Titel (Vorlage)
1r λαερτίου διογένους, βίων καὶ γνωμῶν τῶν ἐν φιλοσοφίᾳ δοκιμησάντῶν, καὶ τῶν ἐν ἑκάστῃ αἱρέσει ἀρεσάντνων, τῶν εἰς δέκα τὸ πρώτον.
Textgestaltung
Hinweis auf Buchanfang jeweils im Kopfsteg genannt und entsprechend gezählt.
Nachträge und Rezeptionsspuren
An den Rändern Abschnittzählungen und gelegentlich auch Zwischenüberschriften. Außerdem weitere philologisch-redaktionelle Hinweise für den möglichen Kopiervorgang.
Edition
Diogenis Laertii Vitae Philosophorum, I: Libri I–X ed. Miroslav Marcovich, Berlin u. New York 2008, S. 5–813 (diese Hs. Sigle S als Vertreter der sog. recensio vulgata); Diogenis Laertii Vitae Philosophon rec. bevique add# .

2) 293r–302v Digitalisat

Verfasser
Lucianus Samosatenis.
Titel
Vita Demonactis.
Titel (Vorlage)
293r λουκιανοῦ ῥήτορος, δημώνακτος βίος.
Incipit
293r Ἔμελλεν ἄρα μὴ δὲ ὁ καθ᾿ ἡμᾶς …
Explicit
302v … ἐκεῖνος ἀνὴρ ἐγένετο.
Edition
Ausgewählte Schriften des Lucian. Für den Schulgebrauch erklärt von Dr. Karl Jakobitz. III: Demonax, Der Fischer, Anacharsis. Leipzig 1865, S. 5–19; Lucianus, vol. I. With an English Translation by A<ustin> M<orris> Harmon, Cambridge, MA u. London 1913, S. 142–172.

3) 302v–305v Digitalisat

Verfasser
Demetrius Rhalles Cabaces.
Titel
Epistula ad Plethona Philosophum.
Titel (Vorlage)
302v πρὸς πλέθονα ἢ περὶ τῆς βίβλου.
Incipit
302v ὦ πλήθων ἄριστε καὶ σοφὲ …
Explicit
305v πολλῷ μάλιστον τῷ φίλῳ.
Edition
Unpubliziert.

4) 305r–308r Digitalisat

Verfasser
Claudius Ptolemaeus (GND-Nr.: 118641786).
Titel
Geographiae initium et scholia primi.


Bearbeitet von
Dr. Janina Sieber, Dr. Lars Hoffmann, Alice Montalto, Universitätsbibliothek Heidelberg, 11.02.2020.
Katalogisierungsrichtlinien
Die Katalogisierungsrichtlinien finden Sie hier.
Gefördert durch
The Polonsky Foundation Greek Manuscripts Project: a Collaboration between the Universities of Cambridge and Heidelberg – Das Polonsky-Stiftungsprojekt zur Erschließung griechischer Handschriften: Ein Gemeinschaftsprojekt der Universitäten Cambridge und Heidelberg.