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DIE MANESSEHANDSCHRIFT UND IHRE ZEIT-
GENOSSEN.
Im südwestlichen Deutschland — dessen besondere Beto-
nung durch diese Tatsache auch für das XIV. Jahrhundert
gerechtfertigt wird — entstand noch in der ersten Hälfte des
XIV. Jahrhunderts, um 1330, die Bilderhandschrift, der wir einen
klaren Begriff von dem landschaftlichen Sehen der Zeit ver-
danken: Die Maness ehan dschr ift (die «große Heidel-
berger Liederhandschrift») *. Die germanistische Untersuchung
hat neuerdings wieder in überzeugender Weise Zürich als die
Heimat der Handschrift hingestellt, nachdem eine Zeitlang der
Bodenseekreis, Konstanz, dafür in Anspruch genommen worden
war2. Die ausgebildete ritterliche Kultur, die um die Wende
des XIII. auf das XIV. Jahrhundert in der Ostschweiz und ge-
rade in Zürich blühte, war von Seiten der französischen
Kultur befruchtet worden. Dieser französische Einfluß muß
bei der Manessehandschrift wie bei der geringeren, einige
Jahrzehnte früher entstandenen Weingartnerhandschrift (Stuttgart)
in Rechnung gezogen werden, zunächst für die überraschend
hoch entwickelte Technik der Miniaturen; sie dient aber auch
einer ebenso überraschenden Freiheit der Darstellung selbst.
«Zum ersten Male tritt uns offen und reich die Freude am
Dasein, die Liebe zur Natur entgegen.» Nun sind für
einzelne Kompositionen neuerdings durch Ganz3 französische
Vorbilder entdeckt worden, deren Echtheit jedoch angezweifelt
1 Die umfängliche Literatur zuletzt zusammengestellt bei Stange, E. Die
Miniaturen der Manessischen Liederhandschrift und ihr Kunstkreis. Königsberger
Dissert. 1909. Im Folgenden wird auf die Publikation von Kraus, F. X. Die Minia-
turen der Manessischen Liederhandschrift, Straßburg 1887, verwiesen.
2 E. v. Zeppelin in: Deutscher Herold XXIX, p. 133.
3 Die Entdeckung von Gan2 wurde von Stange a. a. 0. benützt; vgl. dazu
A. Kuhn und P. Ganz, Manessecodex und Rosenroman, im Anz. f. Schweizer Al-
tertumskunde XII (1910) H. 1, sowie in H. 2 die Entgegnung von Stange und den
Aufsatz von A. Kuhn, Die Spetzschen Miniaturen.
DIE MANESSEHANDSCHRIFT UND IHRE ZEIT-
GENOSSEN.
Im südwestlichen Deutschland — dessen besondere Beto-
nung durch diese Tatsache auch für das XIV. Jahrhundert
gerechtfertigt wird — entstand noch in der ersten Hälfte des
XIV. Jahrhunderts, um 1330, die Bilderhandschrift, der wir einen
klaren Begriff von dem landschaftlichen Sehen der Zeit ver-
danken: Die Maness ehan dschr ift (die «große Heidel-
berger Liederhandschrift») *. Die germanistische Untersuchung
hat neuerdings wieder in überzeugender Weise Zürich als die
Heimat der Handschrift hingestellt, nachdem eine Zeitlang der
Bodenseekreis, Konstanz, dafür in Anspruch genommen worden
war2. Die ausgebildete ritterliche Kultur, die um die Wende
des XIII. auf das XIV. Jahrhundert in der Ostschweiz und ge-
rade in Zürich blühte, war von Seiten der französischen
Kultur befruchtet worden. Dieser französische Einfluß muß
bei der Manessehandschrift wie bei der geringeren, einige
Jahrzehnte früher entstandenen Weingartnerhandschrift (Stuttgart)
in Rechnung gezogen werden, zunächst für die überraschend
hoch entwickelte Technik der Miniaturen; sie dient aber auch
einer ebenso überraschenden Freiheit der Darstellung selbst.
«Zum ersten Male tritt uns offen und reich die Freude am
Dasein, die Liebe zur Natur entgegen.» Nun sind für
einzelne Kompositionen neuerdings durch Ganz3 französische
Vorbilder entdeckt worden, deren Echtheit jedoch angezweifelt
1 Die umfängliche Literatur zuletzt zusammengestellt bei Stange, E. Die
Miniaturen der Manessischen Liederhandschrift und ihr Kunstkreis. Königsberger
Dissert. 1909. Im Folgenden wird auf die Publikation von Kraus, F. X. Die Minia-
turen der Manessischen Liederhandschrift, Straßburg 1887, verwiesen.
2 E. v. Zeppelin in: Deutscher Herold XXIX, p. 133.
3 Die Entdeckung von Gan2 wurde von Stange a. a. 0. benützt; vgl. dazu
A. Kuhn und P. Ganz, Manessecodex und Rosenroman, im Anz. f. Schweizer Al-
tertumskunde XII (1910) H. 1, sowie in H. 2 die Entgegnung von Stange und den
Aufsatz von A. Kuhn, Die Spetzschen Miniaturen.