Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Denkmalpflege im ländlichen Raum — Heft 1.1981

DOI Artikel:
Weidner, Hartmut P.: Das kulturelle Erbe im ländlichen Raum und die Denkmalpflege
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.50202#0008
Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Das kulturelle Erbe im ländlichen Raum und die Denkmalpflege

agrarökonomisch zu analysieren, sondern die bisherigen Ergebnisse einmal auch auf die
Verluste an Lebensqualität (nicht nur für Fauna und Flora, sondern auch sehr vorder-
gründig für den Menschen) hin zu untersuchen. Man wird sie immer seltener finden,
solche Begriffe wie Geborgenheit und Vertrautsein, worunter manche Heimat verstehen.
Solche und ähnliche Landschaftsqualitäten wie Abwechslung, Geschlossenheit und
Offenheit, Erholsamkeit etc. findet man in agrarstrukturellen Planungen selten angespro-
chen. Dafür gibt es Freizeitparks, die durch Surrogate Ersatz für das ehemals Selbstver-
ständliche anbieten.
Mit Denkmalpflege hat eine so ausufernde Problemsituation kaum noch etwas zu tun und
doch muß eine Erhaltungsstrategie, in deren Verfolg dann auch die Erhaltung der Kulturdenk-
male sinnvoll und erfolgreich sein kann, beim Übergeordneten einsetzen. Sonst geht es der
Denkmalpflege wie häufig der bekannten Verschönerungsinitiative „Unser Dorf soll schöner
werden“, die mit ihren punktuellen Maßnahmen nicht annähernd das ersetzen kann, was als
Verlust der historischen Identität landauf, landab hingenommen werden muß. Erhaltung der
eigenständigen ländlichen Kultur heißt ja darüber hinaus auch nicht, das Dorf schöner zu
machen, sondern so schön zu belassen, wie es uns überliefert wurde. Es geht nicht um die
Dekoration der Freizeitlandschaft, sondern es geht darum, die Ablesbarkeit von Geschichte zu
gewährleisten, ihre in der heutigen Umweltgestalt konkretisierten Fakten und Prozesse als
Dokumente der Vergangenheit zu erkennen, zu bewerten und zu erhalten bzw., wo möglich,
erlebbarer werden zu lassen.
Für den Denkmalpfleger lassen sich viele Fragen letztlich immer wieder auf ähnliche Grund-
komplexe zurückführen. Neben dem Grundübel eines Mangels an finanziellen Mitteln seien
folgende als vorrangig kurz charakterisiert:
— Die große Quantität der ländlichen Kulturdenkmale ist noch nicht annähernd bekannt
bzw. erfaßt. Wo soll dann aber Denkmalpflege ansetzen, wenn dem Konservator selbst
ebensowenig wie den Betroffenen die Objekte seiner Erhaltungszielsetzung bekannt sind?
Hier liegt das wichtige Arbeitsfeld der Inventarisatoren, von deren Schnelligkeit es wohl
abhängt, ob Denkmalpflege oder Abbruchunternehmer Sieger bleiben werden.
— Qualität und Intensität der denkmalpflegerischen Betreuung leiden auf dem Lande auch
dort, wo die Kulturdenkmale bekannt sind. Was im städtischen Bereich allmählich selbst-
verständlich wird, die Entwicklung denkmalpflegerischer Konzeptpläne und die Einfluß-
nahme auf Sanierung und Modernisierung, bleibt im ländlichen Raum auf wenige Aus-
nahmen beschränkt. Der denkmalpflegerischen Maßnahme fehlt die Integration in ein
Gesamtkonzept. Sie bleibt Stückwerk und Ausnahme in einem Aktionsfeld, das mit
gestalterischem und technischem Unvermögen das Dorf systematisch zum Sanierungsfall
macht.
— Denkmalpflege bezieht seine generelle Begründung als Belang von öffentlichem Interesse
vorrangig aus dem politischen Umfeld mit seinen kulturellen Zielsetzungen. Sie ist abhän-
gig von den politischen Diskussionen auf Landesebene, auf regionaler Ebene bzw. im
Rahmen der Gemeinde. Je kleiner der Rahmen einer solchen Auseinandersetzung über
Erhaltungsprobleme wird — und auf dem Lande ist der Kreis der Beteiligten oft sehr
klein —, desto mehr degeneriert das öffentliche Interesse, das eine so kleine Gemeinschaft
meint, bestenfalls zur Summe der abgewogenen Privatinteressen. Denkmalpflegerische
Ziele, die meist mit einem gewissen Mehraufwand an gedanklicher Vertiefung und auch
Finanzmitteln verbunden sind, lassen sich dann kaum mehr durchsetzen.
Das kulturelle Erbe im ländlichen Raum umfaßt die zur Zeit wohl bedrohteste Denkmalkate-
gorie. Die historische Basis der in der Vergangenheit größten Bevölkerungsgruppe steht in der
Gefahr, ausgelöscht oder nur noch museal bzw. in Bild und Text konserviert zu werden. Es ist
zu hoffen, daß die Weichen noch rechtzeitig zum Besseren gestellt werden, durch qualifizierte
Dorferneuerungsplanungen, durch mehr Landschaftsplanung und Landschaftspflege, durch
sensiblere Straßenplanungen und undogmatische Agrarstrukturpläne. Bis es so weit ist, bleibt
dem Denkmalpfleger wenig mehr, als den Mentor zu spielen, zur Überwindung eingefahrener,
oft technokratischer Planungspraktiken.

6
 
Annotationen