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Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Denkmalpflege im ländlichen Raum — Heft 1.1981

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Mosel, Manfred: Anmerkungen eines Denkmalpflegers zum Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“
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https://doi.org/10.11588/diglit.50202#0014
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Manfred Mosel
Anmerkungen eines Denkmalpflegers
zum Wettbewerb
„Unser Dorf soll schöner werden“

Die öffentliche Diskussion des Wettbewerbs „Unser Dorf
soll schöner werden“ wird in zunehmendem Maße durch die
Thematik „Denkmalpflege“ bestimmt, wobei Mißverständ-
nisse sowohl über die Ziele der Denkmalpflege als auch über
die des Wettbewerbs diesen zu gefährden in der Lage sind.
Besonders die Folgen der Verwechslung von Dorfverschöne-
rung mit Dorferhaltung, wie auch von Umweltschutz mit
Denkmalschutz, gehen zu Lasten der Wettbewerbsziele.
Der Dorfwettbewerb soll die Dorfbewohner in ihren gemein-
schaftlichen Aufgaben zur Gestaltung des Wohn- und Wirt-
schaftsumfeldes unterstützen. Er soll die Chancen aufzei-
gen, die der alternative Lebensraum, die ländliche Siedlung,
im Gegensatz zur städtischen Wohnumgebung auch in kul-
tureller Hinsicht bietet. Er soll das Selbstbewußtsein der
ländlichen sozialen Lebensgemeinschaft als Trägerin einer
zu wenig anerkannten, aber eindrucksvollen kulturellen Tra-
dition stärken. Diese Ziele sind natürlich in hohem Maße
idealistisch, und sie leiten sich von einem Dorfbild der vor-
industriellen Zeit ab.
Als der Wettbewerb — in seinen Anfängen als reiner Ver-
schönerungswettbewerb für Blumenschmuck und einfachste
Dorfpflege initiiert — unter den Druck der Veränderungen
des ländlichen Lebens- und Wirtschaftsraumes geriet, wurde
er zum Negativsymbol für die gestalterische Verwahrlosung
unserer Umwelt und die staatlich geförderte Beschönigung
dieser Verwahrlosung durch Blumenschmuck und Rustikal-
kitsch.
Der Denkmalschutz, vielfach als Synonym für Umwelt-
schutz und „Schöner Bauen“ mißverstanden, wurde als Ge-
gensymbol in dem Wettbewerb, quasi als Alibi für seine tat-
sächliche kulturelle Bedeutung eingeführt.
Parallel dazu gewannen Fragen des Städtebaus, der Raum-
planung und der allgemeinen strukturellen Erneuerung (also
bauliche, wirtschaftliche, technische und soziale Entwick-
lung in der dörflichen Siedlung) stetig mehr Einfluß auf die
Bewertungskriterien des Wettbewerbes.
Kein Zweifel, daß der Wettbewerb selbst, aber vor allen
Dingen die Dorfbewohner total überfordert wurden. Unsi-
cherheiten entstanden bei vorher selbstverständlichen Din-
gen. Auswüchse in der Detailgestaltung reizten die Kritik.
Drei Übel, die unsere Dörfer sichtlich häßlicher gemacht ha-
ben, sind nicht oder nur sehr bedingt den Bewohnern anzu-
lasten:
1. Das häßliche Baudetail ist sehr viel weniger das Ergeb-
nis einer freien Entscheidung des Einzelnen als ein
Symptom für die Auswüchse der freien Marktwirtschaft
und den weitgehenden Verzicht auf die notwendige

Bauberatung. (Stichworte dafür sind die Planvorlagebe-
rechtigung, die Produktion der Bauzubehörindustrie,
die Praxis der Baugenehmigungsbehörden im Zusam-
menhang mit Verunstaltung, und damit verbunden die
hoffnungslose Situation von Kreisbauverwaltungen und
anderen Fachleuten, durch Beratung des Baugeschehens
zu beeinflussen.)
2. Die von Flensburg bis Garmisch gleichermaßen
schlimmste Verunstaltung ist die maßlose Asphaltie-
rung und Betonierung der Verkehrs- und Freiflächen.
Auch auf den privaten Flächen ist dies fast immer die
Folge fehlender oder unsachgemäßer fachlicher Bera-
tung.
3. Die Zersiedlung der Ortsränder durch gesichtslose Neu-
bauquartiere (Suburbanisierung) und durch Wirt-
schaftsgebäude mit Industriecharakter ist Folge staatli-
cher Boden- und Wirtschaftspolitik ebenso wie die So-
zial- und Strukturplanung im ländlichen Raum.
Wer will es den Wettbewerbsteilnehmern verargen, daß sie
nur das machen, was sie auch selbst leisten können und was
in ihren Augen ihr Dorf „schöner“ macht. Also wird gemalt,
gepflanzt, werden unzählige Arbeitsstunden geopfert, um
Schandflecke zu beseitigen. Kritisieren sollte man den Bera-
ter, der die Dörfer durch seine Empfehlungen in drittklassi-
ge Kurgartenzonen mit Jägerzaun und rustikalem Wegwei-
ser verwandelt. Noch mehr kritisieren sollte man die Verwei-
gerung der Beratung und die darauf folgende Anmaßung,
über mißglückte Ergebnisse so hämisch zu urteilen.
Als größere Gemeinschaftsaufgaben werden Fachwerkhäu-
ser repariert, Kirchen ausgetüncht, Friedhofsmauern neu
aufgebaut, die Freiflächen um die Denkmäler herum schön
und pflegeleicht hergerichtet (zugerichtet?).
Der Vorwurf des „Blumenkastenwettbewerbs“ sitzt allen Be-
teiligten mit Widerhaken tief im Fleisch. Hilflos vor den
Kräften, die die dörfliche Umwelt verändern, allein gelassen
von Beratern mit Zeit und mit Verständnis für nicht nur
fachliche Aspekte, dient die Instandsetzung von Baudenk-
mälern als Nachweis der besonderen Leistung.
Überhaupt Leistungen!! Leistungen werden prämiert, weil
nur sie einer Beurteilung zugänglich sind. Fehlleistungen
werden kritisiert aus dem gleichen Grunde. Es ist ein „Lei-
stungswettbewerb“, der wegen der ungeheuren Zahl der Be-
teiligten (im Jahr 1979 5153 Dörfer, bei durchschnittlich
1000 Einwohnern) zu dem beschriebenen Leistungsdruck
führt. Dabei verdiente gerade die „Nichtleistung“, die Be-
wahrung dörflicher, landschaftlicher Gestaltmerkmale, die
Bescheidung auf einfache handwerkliche und funktional be-
grenzte Maßnahmen die besondere Anerkennung. Solche
wahrhaftigen Leistungen der Dorfverschönerung schließen
aber denkmalpflegerische Instandsetzungsmaßnahmen in
dem Umfang, wie sie überall zu beobachten sind, aus.

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