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Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Denkmalpflege im ländlichen Raum — Heft 1.1981

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Weidner, Hartmut P.: Das kulturelle Erbe im ländlichen Raum und die Denkmalpflege
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https://doi.org/10.11588/diglit.50202#0007
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HPC Weidner

Das kulturelle Erbe im ländlichen Raum
und die Denkmalpflege
Denkmalpflege fand bis vor wenigen Jahren vor allem in den Städten statt, alle ähnlichen
Bemühungen auf dem Lande (soweit es sie überhaupt gab) bezeichnete man als Heimatschutz.
Dies war zum Teil das Ergebnis einer Entfremdung der ehemals zu Beginn des 20. Jahrhun-
derts zusammengehörigen Bereiche Heimatschutz und Denkmalschutz. Die starke Ideologisie-
rung des Heimatbegriffes in den 30er Jahren machte ihre Basis vor allem in den agrarbezo-
genen Bereichen von Land und Kultur fest, was wohl nicht zuletzt ein Grund war, warum der
sachliche Bezug zum Dorf, zu seiner eigenständigen kulturellen Tradition in der Zeit nach dem
Zweiten Weltkrieg so schwer hergestellt werden konnte.
Entscheidend für das Fehlen denkmalpflegerischer Bemühungen um die Zeugnisse bäuerlicher
Kultur war jedoch die Mißachtung dieser Werte durch die etablierte Geschichtswissenschaft
und in ihrem Gefolge durch die Denkmalinventarisatoren. Der Denkmalpfleger ging von
einem Kunstbegriff aus, der geprägt war von feudaler und bürgerlicher Überheblichkeit
gegenüber den kulturellen Zeugnissen der außerhalb der Städte lebenden und arbeitenden
Menschen. Dazu kam das Fehlen einer erkennbaren Gefährdung, das die Dokumentation die-
ses Kulturbereiches nicht herausforderte. Auf dem Dorfe schien durch die starken Traditions-
bezüge ein bruchloser Übergang der Vergangenheit in die Gegenwart und Zukunft gesichert
und fast gesetzmäßig.
Erst seit den 60er Jahren nimmt die Entwicklung in der Landwirtschaft deutlich erkennbar
einen anderen Verlauf. Die Veränderungen der Hofanlagen, der Dörfer, der ganzen Land-
schaft sind vergleichbar mit den gründerzeitlichen Prozessen in den Städten am Ende des ver-
gangenen Jahrhunderts.
Doch anders als in der historischen Gründerzeit spielt sich dieser Umwandlungsprozeß nicht in
spontaner Expansion ab unter Mißachtung und dadurch Erhaltung vieler historischer Berei-
che. Wir haben es vielmehr mit einer weitestgehend zentral geplanten und gesteuerten Verän-
derung des Produktionskonzeptes zu tun. Das führt zu flächendeckender Störung oft jahr-
hundertealter Traditionen, die in Bausubstanz und Siedlungsstruktur sichtbare Dokumente
mit oft praktischem Nutzwert bewahrt hatten:
— Die optimale Symbiose von Wohnbedürfnissen und Produktionserfordernissen, die in
unserer historischen bäuerlichen Architektur eine gestalterisch wie funktionell so groß-
artige Ausprägung gefunden hatte, besteht nicht mehr. Damit ergeben sich die bekannten
fast unlösbaren Erhaltungsprobleme durch das Fehlen einer adäquaten Nachfolgenut-
zung. Das Bauernhaus verfällt, verkommt zur Ferienhausantiquität oder wandert ins
Freilichtmuseum.
— Struktur und Siedlungsbild der Dörfer sind entscheidend geprägt durch einen jahrhun-
dertelangen, allmählichen, aber sehr konsequenten und eigenständigen Anpassungspro-
zeß an die sich ändernden Herrschafts- und Gesellschaftsformen auf dem Lande. Die Ein-
beziehung dieser Siedlungsformen in die Zielkonzeptionen einer von Begriffen wie Hygie-
ne und Wachstum im Übermaß bestimmten Städtebaupraxis führt zu schwerwiegenden
Störungen des Selbstverständnisses in künstlerischen und gestalterischen Fragen. Der
bedingungslose Verfolg eines auf die Auflösung der Gegensätze zwischen Stadt und Land
abhebenden Raumplanungskonzeptes führt zudem zu tiefgreifendem Verlust der sozialen
und (man denke nur an die Gemeindereform) politischen Identität.
— Dazu kommt die Veränderung der Landschaft. Auch sie ist ein, wenn auch aus Naturele-
menten aufgebauter, jedoch weitgehend artefiziell überformter Bereich, ein Kulturbe-
reich, dessen häufig ästhetischer Wert in der Vergangenheit stark bestimmt war von
einem ökologischen Gleichgewicht der Interessen von Natur und Mensch. So dokumen-
tiert sich in der historischen Feldflurteilung neben der realen Landesgeschichte jeweils
auch ein Stück Menschheitsgeschichte in allgemeinster Form.
Daß der derzeitige Wandel in der Landschaft so gesehen seine nicht zuletzt historisch
begründbare Logik besitzt, soll nicht verkannt werden. Es ist jedoch für unsere Wertvor-
stellungen sicher sehr entlarvend, Flurbereinigung und Aussiedlungspraxis nicht nur

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