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Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Denkmalpflege im ländlichen Raum — Heft 1.1981

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Weidner, Hartmut P.; Gläntzer, Volker: Das westliche Niedersachsen, der Regierungsbezirk Weser-Ems: entwicklungsgeschichtliche Erläuterungen zum Umfeld der Reiseroute und der Fahrtziele
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https://doi.org/10.11588/diglit.50202#0026
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Das westliche Niedersachsen

außerhalb des bereisten Gebietes — das Wesertal. Die Hun-
te, die die Meppen-Nienburger Geest durchbricht, ist von ge-
ringerer naturraumgliedernder Bedeutung. Viele der auf die-
ser natürlichen Grundlage ursprünglich entstandenen klein-
räumig wirkenden Unterschiede der Landschaftsgestaltung
sind durch die lange währenden, in den letzten hundert Jah-
ren intensivierten Kultivierungsarbeiten wieder verschwun-
den oder in ihrer Augenfälligkeit zurückgedrängt worden.
Abgesehen von den Mittelgebirgsausläufern, die von der
Fahrt nicht berührt werden, lassen sich aber noch heute die
drei großen Landschaftstypen Geest, Moor und Marsch
deutlich unterscheiden.
Zur Siedlungsstruktur
Die Struktur der ländlichen Siedlungen im nordwestlichen
Niedersachsen unterscheidet sich in mehreren Punkten von
der im übrigen Niedersachsen, grundsätzlich jedoch von den
meisten mittel- und süddeutschen Formen. Die dort gewon-
nenen — und leicht und oft verallgemeinerten — Vorstel-
lungen einer dörflich verdichteten und zentrierten ländlichen
Bebauung stimmen nur selten überein mit dem vorherr-
schenden Siedlungsbild. Ebenso sind deren funktionale, so-
ziale und politische Beziehungen anders gegliedert. Gleich-
wohl sind diese historischen spezifischen Siedlungsformen in
neuerer Zeit mit uniformen Entwicklungstendenzen und
Planungsvorstellungen konfrontiert, die oft noch aus ande-
ren dörflichen und kleinstädtischen Erfahrungsräumen
stammen. Die Möglichkeiten und Risiken dieser Diskrepan-
zen werden an mehreren Stationen dieser Fahrt verdeutlicht.
Einige allgemeine Bemerkungen sollen den Bezugsrahmen
herstellen helfen. Die komplizierten Probleme der Sied-
lungsformengenese bleiben dabei weitgehend ausgespart, die
Hinweise beschränken sich auf die Beschreibung von Struk-
tur und Erscheinungsbild der Siedlungen. Die räumliche
Verbreitung ihrer verschiedenen Formen hält sich — z. T.
durch sie bedingt — an die oben beschriebenen Land-
schaftstypen.
Auf der Geest und im Osnabrücker Tiefland, also im weit-
aus größten Teil unseres Gebiets, herrscht die Streusiedlung
vor, sie besteht aus Einzel- und Doppelhöfen sowie lockeren
Gruppensiedlungen. Die jeweilige Zuordnung dieser Teile
spiegelt sowohl soziale Differenzierungen wie historische
Siedlungsabläufe. Gleiche rezente Formen können das Pro-
dukt unterschiedlicher Entwicklungen sein, die im jeweiligen
Einzelfall aufgeschlüsselt werden müssen. Eine häufig vor-
kommende Entwicklungsreihe ist jedoch folgende: Aus-
gangspunkt — meist aus vorfränkischer Zeit — einer Sied-
lungsinsel ist ein lockerer Weiler von 3 bis zumeist 8, maxi-
mal ca. 15 Höfen (Voll- und Halberben) am Rande eines
Eschs; für diese Siedlungsform hat sich die westfälische Be-
zeichnung „Drubbel“ eingebürgert. Im Rahmen des mittel-
alterlichen Siedlungsausbaus wurde dieser Kern oft durch
Einzel- oder Doppelhöfe (Voll- und Halberben) auf neu ge-
wonnenem Siedlungsland erweitert.
Auf Absplissen der Althöfe entstanden im Spätmittelalter
die sogenannten Erbkötter; zu diesen kamen seit der frühen
Neuzeit auf Gründen der gemeinen Marken die sogenannten
Markkötter. Die Kötter konnten sich zu lockeren Verbänden
zusammenschließen, lagen oft aber auch in Streulage in den
Außenbereichen der Marken.

Seit der frühen Neuzeit wurden die Höfe eines oder mehrerer
dieser Wohnplätze zu sogenannten „Bauerschaften“ zusam-
mengefaßt. Innerhalb eines solchen Personalverbandes be-
saßen die Vollerben, Halberben, Erbkötter und Markkötter
unterschiedlich große Rechte an der Nutzung der gemeinen
Marken und in der politischen Selbstverwaltung. Am unter-
sten Rand der sozialen Skala waren die Heuerleute angesie-
delt, die — ohne eigenen Grundbesitz — in einem Nebenge-
bäude des Hofes zur Miete wohnten, ein kleines Landstück
selbst bewirtschafteten und als Gegenleistung auf dem Hof
landwirtschaftliche Arbeiten ausführen mußten.
Allgemeinstes und charakteristisches Merkmal dieser Bauer-
schaften war das Fehlen eines funktionalen wie baulich mar-
kierten Zentrums. So besitzt fast keine Bauerschaft eine ei-
gene Kirche, ganz selten eine Kapelle. Eigene, auch früher
nicht überall vorhanden gewesene Bauerschaftsschulen sind
durchgängig wieder eingegangen, zudem lagen sie — wie
z. B. auch Wirtshäuser — im Rahmen der Streusiedlung
meist einzeln zwischen den Hofstellen. Feste Grenzen zwi-
schen den Bauerschaften bildeten sich erst im 19. Jahrhun-
dert nach der Markenteilung, sie sind im räumlichen Konti-
nuum der heutigen Parklandschaft selten als solche erkenn-
bar, vielmehr gehen die Flächen der einzelnen Wohnplätze
optisch ineinander über und verstärken so den Eindruck ei-
ner Kulturlandschaft, zu deren Rhythmus das lockere bauli-
che Netz, Wirtschaftsflächen und ungenutzte Naturräume
annähernd gleichwertig beitragen.
Innerhalb der Streusiedlung kommt die Bezeichnung „Dorf“
nur dem Kirchdorf zu. Um die Kirche als geistlichem Mittel-
punkt mehrerer — manchmal von bis zu 10 oder 12 Bauer-
schaften haben sich schon früh Handwerker angesiedelt. Sie
wohnten oft in den sogenannten Kirchhofspeichern direkt
am Kirchhof (wie sie z. B. in Menslage noch recht gut erhal-
ten sind).
In unterschiedlichem Entwicklungsgrad traten hierzu noch
Mark- und Erbkötter, die die Landwirtschaft meist nur im
Nebenerwerb betrieben. Von den Bauerschaften unterschei-
det sich das Kirchdorf damit vor allem in zwei Bereichen:
— Erstens besitzt es eine z. T. sehr starke bauliche Verdich-
tung um die Kirche. Neben den Häusern der ehemaligen
landwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetriebe, die den Bau-
ernhäusern der Umgebung im Prinzip noch gleichen, finden
sich — verstärkt seit dem 19. Jahrhundert — auch andere
Hausformen und Materialien (z. B. Querdielenhäuser, ein-
und zweigeschossige Wohn- bzw. Wohn-Geschäftshäuser
städtischen Zuschnitts in Putz und Ziegelbau).
— Zweitens besitzt es zentrale Funktionen für die zugehöri-
gen Bauerschaften: So ist es Sitz der geistlichen und weltli-
chen Gemeindeverwaltung sowie Standort für Schule, Feu-
erwehr und ähnliches. Deutlich ist auch die andere soziale
und funktionale Schichtung. Mit dem Zurückweichen des
landwirtschaftlichen Sektors ist seit dem 19. Jahrhundert
der von Handel und Gewerbe bestimmte Charakter immer
stärker geworden.
Neben diesen Kirchdörfern finden sich „echte“ bäuerliche
Dörfer regional begrenzt nur selten. Außerhalb der Fahrt-
route bleiben die Dörfer im nördlichen Lößvorland des
Wiehengebirges. Eine besondere Genese und Physiognomie

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