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Einleitung

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Einleitung

am Werk des Zimmermanns eine erfahrbare
Wirklichkeit.

Die schnellen und überaus grundlegenden
Wandlungen der Landwirtschaft in unserem
Jahrhundert haben die Landschaft und die
Dörfer umgeformt; die Weltkriege brachten
Zerstörungen und Entwurzelung mit sich.
Das Alte, Gestrige besiegen und Fortschritt
um jeden Preis wurden die Devise der Zeit.
In dem letzten Jahrzehnt allerdings ist eine
gewisse Rückbesinnung eingetreten. So
genießt die Geschichte der Alltagskultur
heute wachsende Aufmerksamkeit. Nach und
nach wird uns das ganze Ausmaß des
Verlustes bewußt!
Was uns bleibt, ist die Suche nach Über-
lieferung, manchmal nur die Deutung einer
zufällig gefundenen oder mühsam freigeleg-
ten Spur. Spurensicherung, das ist auch die
Beschäftigung mit den baulichen Überresten
der Vergangenheit. Eine Strohdachkate, ein
Schafstall im Felde: Zerfall, der nicht auf-
haltbar zu sein scheint. Ein Dorfbewohner
Heidenaus, Heinrich Lohmann, faßte dieses
Gefühl in folgende Verse:
Door steiht clee Schapkoben oold un gries
Verleiten, so alleen.
Verleiten up dee wiede Heid
Keen Schapheer lett sich sehn.
Un dörch dee Fuhren strakt de Wind
So üm den oolenAhn.
See singt so weenerlich een Leed
von Warren und Vergahn.
Wied in dee Fütt see truernd kiekt
Singt bloß von oole Tied.
Dee oole Schapkab’n is verfolln
To’n Afbruch is hee riep.
Ein poetisches Bild, ein nüchterner Ab-
schluß! Wir möchten die Bauwerke, über die
die Zeit hinweggegangen ist, näher kennen-
lernen. Treten wir doch einmal heran, sehen
wir die Spuren des Lebens von Mensch und
Tier, versuchen wir das Ziel und den Plan,
den Nutzen und den Niedergang zu begrei-
fen; Interesse ist geweckt, wir suchen nach
Ähnlichem, erkennen Unterschiede und
Alternativen, Überliefertes und Geschrie-
benes, Kulturgeschichte und ökonomische
Zusammenhänge gewinnen am alten Holz,

Dabei hat es mit den Schafställen - gegen-
über den anderen alten ländlichen Neben-
gebäuden, den Scheunen, Backhäusern und
Speichern - noch eine besondere Bewandt-
nis. Sie sind das geradezu klassische Symbol
der Heideromantik, des Heimwehs nach der
„guten alten Zeit“ geworden. Der schon vor
hundert Jahren einsetzende Niedergang dieser
Gebäude hat wohl zu diesem kollektiven
Abschiedsschmerz beigetragen.
Die ältesten heute noch anzutreffenden
Schafställe stammen aus der Zeit um 1600.
Schriftliche Quellen geben Auskunft zu
einzelnen Aspekten der Schafhaltung und des
Schafstallbaues aus der Zeit des ausgehenden
Mittelalters. Für die Zeitspanne vom 16. bis
zum 19. Jahrhundert trifft für die meisten
Geestgebiete der einprägsame Begriff „Hei-
debauernzeit“ zu <1>. Dies ist der Zeitraum,
in dem die uns interessierenden Gebäude
entstanden sind.
In der hauskundlichen Literatur fanden die
typologischen Unterschiede der Schafställe
bisher keine besondere Aufmerksamkeit. Ein
zusammenfassendes Schrifttum über diese
Nebengebäude der norddeutschen Tiefebene
oder wenigstens einzelner größerer Regionen
existiert nicht. In den größeren Bauernhaus-
werken findet man zumeist nur sporadische
Hinweise.
Im heimatkundlichen Schrifttum führt die
regional begrenzte Sicht leicht dazu, örtliche
Eigentümlichkeiten solcher Bauwerke unzu-
lässig zu verallgemeinern.
Der vor Ort überprüfbare Bestand an
Schafställen ist stark geschrumpft. Die
wenigen heute noch erhaltenen Schafställe
werden in anderer Weise - etwa als
Häuslingshaus oder Schweinestall, Scheune,
Wagenschauer, Melkstand oder „Jagdhütte“ -
benutzt und sind kaum noch in ihrer
ursprünglichen Funktion zu erkennen. Immer
wieder stellten wir fest, daß ehemalige
Schafställe seitens ihrer Bewohner und
Eigentümer nicht mehr als solche angesehen
und bezeichnet werden. Umgekehrt können
auch andere Gebäude, allerdings seltener, zu
 
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