Heidschnuckenhaltung in der Nordheide
15
Heidschnuckenhaltung in der
Nordheide
Lehmanns Bericht zeigt bereits die Anklänge
einer aufkommenden modischen Heide-
poesie. Er ist aber auch zu einer nüchternen
Einschätzung der ökonomischen Gegeben-
heiten gekommen, wenn er schreibt: „Die
Torfmoore sind keineswegs bloß wüste,
abschreckende Landschaften, sondern reiche
Vorratskammern von Brennmaterial und
deshalb von großer Wichtigkeit. .. Das Heide-
kraut, welches sich durch ganz Deutschland
auf Heiden und in Wäldern findet, wächst
hier reichlich und dient dem Vieh zur Streu,
ja es wird auch teilweise zum Schaffutter
benutzt; seine Blüten sind eine Haupthonig-
quelle der Bienen. .. Auf den Heideflächen
weiden zahllose Herden von kleinen, der
Heide eigentümlichen Schafen, den soge-
nannten „Heidschnucken“. .. Die Land-
drostei Lüneburg besitzt etwa ein Drittel der
gesamten Schafzucht der Provinz Hannover,
zirka 600 000 Stück.“
Schon 20 Jahre früher, nämlich 1863, hatte
der zeitgenössische Beobachter I. G. Kohl
<17> versucht, die bereits im Schwinden
begriffenen Verhältnisse der Heidschnucken-
wirtschaft zu dokumentieren: „Die Heid-
schnucken sind eines der vornehmsten Haus-
tiere der Heidenbewohner und, als eine der
Hauptstützen der Existenz, ebenso verbreitet
wie die gesellig wuchernden Kräuter der
reizenden Eriken, und die großen flachen,
trockenen Heiderücken selbst. .. Die harten,
trockenen, fast hölzernen Heidekräuter
wollen keinem anderen Tiere behagen als
diesen Heidschnucken. Das Pferd frißt sie
gar nicht. Die Kuh nur im Notfälle, und sie
wird mager und elend dabei, ja für die Dauer
wäre die Existenz eines Rindes nicht auf
Heide zu begründen. .. Nur das Schaf hat
glücklicherweise das Gebiß, den Magen und
auch den rechten Appetit dazu. “
Auch der Agrarökonom W. Peters traf 1865
die knappe Feststellung: „Die reine Heide
wird als Weide zur vollen Ernährung wohl
nur für Schafe genutzt, Pferd und Schwein
würden auf ihr verhungern, die Kuh aber
keine Milch geben; jedoch ist der Nahrungs-
werth der Heide in der Zeit, wo sie Samen
angesetzt hat, bedeutend besser. “ <18>
Wenn also die Flächen groß genug waren und
als Allmende jederzeit offenstanden, trafen
die Bedingungen der Schnuckenhaltung zu.
Es gab aber in unserem Untersuchungsgebiet
auch Dörfer ohne solche Voraussetzungen
und somit ohne wesentliche Schafhaltung. In
den „Jordebüchern“ des Rotenburger Amts-
bereiches von 1692/94 <19> findet sich
folgende Begründung: „In der Vogtey Sche-
ßell, so in den Kirchspielen Scheßell und
Brockell bestehet, werden nebst dem Horn
Vieh in allen Dörfern Schaffe gehalten, ohne
zu Brockel, Söhling und Bellen nicht, alwo
der Boden zu wäßricht“ Ähnlich heißt es
auch z.B. bei dem Dorf Haßell, das bezeich-
nenderweise zu den „Vier Wasserdörfern“ des
Rotenburger Amtsbereiches gehört: „Haben
doch ziembl. gute Heide und Weide vor
allerhandt Vieh alß Pferde und Horn Vieh,
können aber keine Schaajfe halten, weil es
vor selbige zu naß ist. “ Für den einstelligen
Hof Berckhoffm der Vogtei Sottrum wird
notiert: „Die Weide vor Pferde und Horn
Vieh ist nur schlecht, sonderlich wart Naße
Jahre, so muß daßelbe sich in der Heide
nehren, worher auch wenig Heide und für die
Schaffe schlecht, welche wegen der Gründe
und Näße nicht über drei od. vier Jahre
gesund bleiben und außtauren können. “
Alle früheren Beobachter stimmen darin
überein, daß die Heidschnucken nichts mehr
zu fürchten hätten als das grüne Gras. Beson-
ders Kohls Beschreibung stellt uns diesen
Zusammenhang plastisch vor Augen <20>:
„Die saftigen Pflanzen all dieser Heidschlats
(Tümpel) und jener Täler und Torfmoore sind
den Heidschnucken. .. schädlich. Der Schäfer
muß daher überall seine Schafe aufmerksam
von diesen Stellen fernhalten, und er muß
sein Revier genau kennen, um im voraus die
Gefahr zu meiden. Die Gesundheit seiner
armen Tierchen steht also auf so schwachen
Füßen, daß eine kurze Beweidung jener
feuchten und dickgrasigen Triften imstande
ist, ganze Herden zu verderben. Die Schafe
werden alsbald „kösch“ danach, wobei ihre
inneren Teile in Fäulnis übergehen und
zuweilen Hunderte von Schnucken wie Flie-
gen dahinsterben. “
15
Heidschnuckenhaltung in der
Nordheide
Lehmanns Bericht zeigt bereits die Anklänge
einer aufkommenden modischen Heide-
poesie. Er ist aber auch zu einer nüchternen
Einschätzung der ökonomischen Gegeben-
heiten gekommen, wenn er schreibt: „Die
Torfmoore sind keineswegs bloß wüste,
abschreckende Landschaften, sondern reiche
Vorratskammern von Brennmaterial und
deshalb von großer Wichtigkeit. .. Das Heide-
kraut, welches sich durch ganz Deutschland
auf Heiden und in Wäldern findet, wächst
hier reichlich und dient dem Vieh zur Streu,
ja es wird auch teilweise zum Schaffutter
benutzt; seine Blüten sind eine Haupthonig-
quelle der Bienen. .. Auf den Heideflächen
weiden zahllose Herden von kleinen, der
Heide eigentümlichen Schafen, den soge-
nannten „Heidschnucken“. .. Die Land-
drostei Lüneburg besitzt etwa ein Drittel der
gesamten Schafzucht der Provinz Hannover,
zirka 600 000 Stück.“
Schon 20 Jahre früher, nämlich 1863, hatte
der zeitgenössische Beobachter I. G. Kohl
<17> versucht, die bereits im Schwinden
begriffenen Verhältnisse der Heidschnucken-
wirtschaft zu dokumentieren: „Die Heid-
schnucken sind eines der vornehmsten Haus-
tiere der Heidenbewohner und, als eine der
Hauptstützen der Existenz, ebenso verbreitet
wie die gesellig wuchernden Kräuter der
reizenden Eriken, und die großen flachen,
trockenen Heiderücken selbst. .. Die harten,
trockenen, fast hölzernen Heidekräuter
wollen keinem anderen Tiere behagen als
diesen Heidschnucken. Das Pferd frißt sie
gar nicht. Die Kuh nur im Notfälle, und sie
wird mager und elend dabei, ja für die Dauer
wäre die Existenz eines Rindes nicht auf
Heide zu begründen. .. Nur das Schaf hat
glücklicherweise das Gebiß, den Magen und
auch den rechten Appetit dazu. “
Auch der Agrarökonom W. Peters traf 1865
die knappe Feststellung: „Die reine Heide
wird als Weide zur vollen Ernährung wohl
nur für Schafe genutzt, Pferd und Schwein
würden auf ihr verhungern, die Kuh aber
keine Milch geben; jedoch ist der Nahrungs-
werth der Heide in der Zeit, wo sie Samen
angesetzt hat, bedeutend besser. “ <18>
Wenn also die Flächen groß genug waren und
als Allmende jederzeit offenstanden, trafen
die Bedingungen der Schnuckenhaltung zu.
Es gab aber in unserem Untersuchungsgebiet
auch Dörfer ohne solche Voraussetzungen
und somit ohne wesentliche Schafhaltung. In
den „Jordebüchern“ des Rotenburger Amts-
bereiches von 1692/94 <19> findet sich
folgende Begründung: „In der Vogtey Sche-
ßell, so in den Kirchspielen Scheßell und
Brockell bestehet, werden nebst dem Horn
Vieh in allen Dörfern Schaffe gehalten, ohne
zu Brockel, Söhling und Bellen nicht, alwo
der Boden zu wäßricht“ Ähnlich heißt es
auch z.B. bei dem Dorf Haßell, das bezeich-
nenderweise zu den „Vier Wasserdörfern“ des
Rotenburger Amtsbereiches gehört: „Haben
doch ziembl. gute Heide und Weide vor
allerhandt Vieh alß Pferde und Horn Vieh,
können aber keine Schaajfe halten, weil es
vor selbige zu naß ist. “ Für den einstelligen
Hof Berckhoffm der Vogtei Sottrum wird
notiert: „Die Weide vor Pferde und Horn
Vieh ist nur schlecht, sonderlich wart Naße
Jahre, so muß daßelbe sich in der Heide
nehren, worher auch wenig Heide und für die
Schaffe schlecht, welche wegen der Gründe
und Näße nicht über drei od. vier Jahre
gesund bleiben und außtauren können. “
Alle früheren Beobachter stimmen darin
überein, daß die Heidschnucken nichts mehr
zu fürchten hätten als das grüne Gras. Beson-
ders Kohls Beschreibung stellt uns diesen
Zusammenhang plastisch vor Augen <20>:
„Die saftigen Pflanzen all dieser Heidschlats
(Tümpel) und jener Täler und Torfmoore sind
den Heidschnucken. .. schädlich. Der Schäfer
muß daher überall seine Schafe aufmerksam
von diesen Stellen fernhalten, und er muß
sein Revier genau kennen, um im voraus die
Gefahr zu meiden. Die Gesundheit seiner
armen Tierchen steht also auf so schwachen
Füßen, daß eine kurze Beweidung jener
feuchten und dickgrasigen Triften imstande
ist, ganze Herden zu verderben. Die Schafe
werden alsbald „kösch“ danach, wobei ihre
inneren Teile in Fäulnis übergehen und
zuweilen Hunderte von Schnucken wie Flie-
gen dahinsterben. “