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Mehrzweckgebäude

221

Das Gebäude liegt vor dem Wirtschaftsgiebel
des Bauernhauses und schirmt den Hofplatz
zur Straße hin ab. Wieder ist es der am weite-
sten vom Hausgiebel entfernt gelegene Teil
des Gebäudes, der als alter Schafstall zu
identifizieren ist. Neben dem Tor zum Hof-
platz liegt in diesem Gebäudeteil die Fußgän-
gertür. Das Tor und sein Gegenstück zur
Straße hin bestanden schon von Anfang an,
wie man an dem zusätzlichen Torsturz unter
dem Rähm und an den Ausnehmungen in den
Kopfbändern der Torgebinde erkennt. Eine in
Gebäudemitte gelegene Scheunendurchfahrt
hat dagegen kein Tor besessen. Auf der
Hofseite hat die Durchfahrt keinen Torsturz
und ist auch heute noch offen; auf der
Straßenseite wurde sie inzwischen zugemau-
ert. Die Giebelwand auf der „Schafstallseite“
des Gebäudes hat sich in ihrer alten Gestal-
tung erhalten: alle oberen Gefache sind mit
Lehm gefüllt, wobei als Träger ein dick
gewickeltes Strohtau anstelle geflochtener
Zweige eingebracht wurde; die untere
Gefachreihe besteht - wie bei einigen der
ältesten Wandständerställe - aus horizontal
eingefügten Eichenbohlen. Diese Bohlen, wie
auch viele Gefügeteile im Inneren, weisen
Zweitverwendungsspuren auf. Über dem
Schafstallraum findet sich typischerweise
eine Decke, die hier aus firstparallel liegen-
den Eichenbalken und einem Rundholzbelag
gebildet wird. Schließlich weisen auch die
hohen Legsteinfundamente auf die ursprüng-
liche Schafstallnutzung hin.
Im Falle des Hepstedter Kombinationsgebäu-
des rundet sich das Bild insofern ab, als der
Altbauer des Hofes die Unterbringung der
Schafherde in diesem Gebäudeteil gut erin-
nert und uns interessante Einzelheiten zur Auf-
stallung der Herde, die bis 1925 gehalten wurde,
berichten konnte. War die Schafstallfunktion
solcher Gebäudeteile auf Grund der Bau-
befunde von uns zunächst als Hypothese ent-
wickelt worden, fand sie hier erstmals eine
durch die Überlieferung gestützte Bestätigung.
Die Kartierung der Mehrzweckgebäude mit
mehr oder weniger dominierendem Schaf-
stallanteil (Karte XI) läßt für die quer-
erschlossenen Kombinationsgebäude eine
gewisse Häufung im westlichen Landkreis
Rotenburg erkennen, wo man durchaus von
einem einheitlichen Typ sprechen kann.

Als Beispiel für die Durchsetzung dieses
Baugedankens soll schließlich noch ein sehr
viel jüngeres Kombinationsgebäude in
Nartum vorgestellt werden (Abb. 162a). Als
Kennzeichen seiner Erbauung gegen Ende
des des 19. Jahrhunderts muß der massiv
gemauerte, ca. einen Meter hohe Ziegelstein-
sockel gewertet werden. Auch die Auffügung
der Nadelholzbalken auf das Wandrähm mit
einer schwalbenschwanzartigen Verkämmung
ist erst in dieser jüngsten Periode des Fach-
werkbaus üblich geworden. Dem widerspricht
zunächst, daß einige Hölzer außerordentlich
kräftig sind; diese weisen jedoch leere Zapf-
löcher und sonstige Gefügenarben auf, die
anzeigen, daß bei der Erbauung Hölzer eines
Vorgängergebäudes, vermutlich einer
Wandständerscheune, benutzt worden sind.


Abb. 162a: Nartum, Lkrs. Rotenburg/W., Hofgebäude
mit Queraufschluß, Schafstall, Schweinestall- und
Scheunennutzung, vorderer Anbau jünger

Die dem Hof zugewandte Traufseite des 16 m
langen Gebäudes weist auch hier wieder eine
zunächst verwirrend erscheinende Anordnung
verschiedenartiger Türen und Tore auf (Ta-
fel 54). Demgegenüber erscheint die Balken-
lage sehr regelmäßig angeordnet. Jeder
Balkenkopf trägt einen Sparren. Diese stehen
im Abstand von nur knapp einem Meter - ein
Hinweis darauf, das die Eindeckung bereits
ursprünglich nicht mit Stroh, sondern schon
mit Dachziegeln vorgenommen worden ist.
Es lagen noch die handgestrichenen Pfannen
der Erbauungszeit auf, die mit Strohdocken
abgedichtet waren. Im Landkreis Rotenburg
sind Eindeckungen dieser Art selten anzu-
treffen. Hier haben sich die eigentlichen
Strohdächer so lange gehalten, daß die frühen
Pfannendächer unserer Region in der Regel
bereits primär mit Mörtel und nicht mehr mit
Strohdocken abgedichtet wurden.
 
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