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Müller, Michael Christian; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Orgeldenkmalpflege: Grundlagen und Methoden am Beispiel des Landkreises Nienburg/Weser — Hameln: Niemeyer, Heft 29.2003

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https://doi.org/10.11588/diglit.51261#0044
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den wissenschaftlich Tätigen, kann also sowohl im wei-
testen Sinne vermittelnde Funktionen haben wie auch
wesentliche Quelle wissenschaftlicher Erkenntnis sein.
Aufgrund dieser Zusammenhänge lässt sich abschlie-
ßend noch einmal zusammenfassen: Denkmalwerte
Orgeln sind gekennzeichnet durch einen umfassenden
Erlebnis- und Zeugniswert, der sich in ganzheitlicher
Weise über mehrere Wege der Wahrnehmung
erschließt. Voraussetzung ist, dass die Orgel möglichst
vollständig in ihrer konzeptionellen Einheit erhalten ist.
Hiermit korreliert unter Berücksichtigung des Alters ein
entsprechender Seltenheitswert. Aus beiden Faktoren
leitet sich die Denkmalwürdigkeit einer Orgel ab, die
Voraussetzung für ein öffentliches Erhaltungsinteresse
ist. Die grundlegende Denkmalfähigkeit bestimmt sich
nach der geschichtlichen, wissenschaftlichen oder
künstlerischen Bedeutung des Instruments, die sich
wiederum in ihrem spezifischen, substanzgebundenen
Zeugnis- bzw. Erlebniswert manifestiert.
Inhaltliche Konsequenzen -
Ausweisungsbegründende Kriterien
Künstlerische Bedeutung und besonderer
Erlebniswert - Grundsätzliche Gedanken
Die künstlerische Bedeutung ist vom Gesetzgeber als
eines der möglichen Kriterien zur Begründung eines
öffentlichen Interesses an der Erhaltung eines Kultur-
denkmals festgeschrieben. Im Gegensatz aber beispiels-
weise zur geschichtlichen Bedeutung, die sich auf der
Basis wissenschaftlicher Erkenntnis aufzeigen lässt,“ent-
zieht sich die Darlegung der künstlerischen Bedeutung
sui generis einer solchen objektivierbaren Basis. Da es
sich bei der Bedeutungseinschätzung um eine Bewer-
tung einer dem Objekt innewohnenden Eigenschaft
handelt, stellt sich in Analogie die Frage, wie man künst-
lerische Bedeutung (be-)messen soll, an welchem Maß-
stab man sie ausrichten soll.
SCHMALTZ & WIECHERT verweisen in diesem Zusam-
menhang auf eine Entscheidung des BVerwG, das in der
dazugehörigen Begründung ausführt: eine Bedeutung
für die Kunst sei dann gegeben, wenn Bauwerke - hier
also auf die Orgel als Kulturdenkmal übertragen - „das
ästhetische Empfinden in besonderer Weise ansprechen
oder mindestens den Eindruck vermitteln, daß etwas
nicht Alltägliches oder eine Anlage mit Symbolgehalt
geschaffen worden ist."5' SCHMALTZ & WIECHERT deu-
ten diese Ausführungen so, dass ein Denkmal „Inspira-
tion und Gestaltungskraft" seiner Schöpfer verkörpere
und es daher - in unmittelbarer Weise - Menschen an-
sprechen könne, woraus ein tatsächlicher Erhaltungs-
grund resultiere.52

Wenn damit auch nochmals herausgestellt wird, dass
sich ein solcher ästhetischer Wert wissenschaftlicher
Feststellung entziehe, ist in diesen Umschreibungen ein
anderes wesentliches Merkmal künstlerischer Bedeu-
tung angesprochen: Grundsätzlich kommt es zu einer
Wirkung auf den Betrachter/Zuhörer. Jede Wahrneh-
mung, ob akustisch oder optisch, löst eine Reaktion
emotionaler Form aus, welche die Situation damit
gleichsam kodiert und zu einem erinnerbaren Erlebnis
werden lässt. MOENCH & OTTING verweisen auf das
OVG Bautzen, das für die künstlerische Bedeutung eines
Objektes ein „gesteigertes Maß an ästhetischer und
gestalterischer Qualität" einfordert.53 Diese Forderung
impliziert geradezu die emotionale Erlebniswirkung
eines künstlerisch bedeutenden Kulturdenkmals. Eine so
verstandene künstlerische Wirkung schlägt sich schließ-
lich in dem Begriff des „Erlebniswertes" nieder, der
oben bereits behandelt wurde.54
Das Phänomen der künstlerischen Kreativität selbst ist
andererseits immer Resultat kognitiver und emotionaler
Prozesse. Künstlerische Kreativität ist gebunden an
Individuen, die ihrerseits wiederum in zeit- und ortsspe-
zifische soziale Systeme eingebunden sind. Aufgrund
dieser grundlegenden intra- und extrapersonalen
Wechselwirkungen und Prozesse lassen sich Zugänge zu
Korrelaten und Merkmalen künstlerischer Kreativität
und - in der Folge - Qualität, herausarbeiten, die be-
schreibbar sind und damit - wenigstens vom Grundsatz
her - eine Vergleichs- und Argumentationsbasis bieten.
Diese Korrelate können in erster Linie aus der verglei-
chenden Analyse zeitgleich geschaffener Gegenstände
abgeleitet werden. Die Kulturgeschichte bzw. die Ge-
schichte des Orgelbaus in all ihren Facetten stellt dem-
nach eine der Folien dar, vor der die künstlerische
Qualität einer Orgel eingeschätzt werden kann - dazu
unten mehr.
Das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und
Kultur (MWK) hat all diese Aspekte wie folgt
zusammengefasst: „Die künstlerische Bedeutung
bestimmt sich nach der Qualität und der Gestaltung vor
dem Hintergrund der Bau- und Kunstgeschichte und
nach dem gegenwärtigen künstlerischen
Erlebniswert."55Hierzu ist zu ergänzen, dass der aktuel-
le Erlebniswert sicher in entscheidendem Maße abhän-
gig ist von der oben beschriebenen künstlerischen
Gestaltung bzw. handwerklichen Umsetzung, er aber in
hohem Maße flankiert wird von der architektonisch-
künstlerischen Gesamtsituation des Aufstellungsortes.
Ob hier eine historische geschlossene Situation gegeben
ist oder eine heterogene Ansammlung verschiedener
Ausstattungselemente, die in der Summe einen dispara-
ten Eindruck hinterlassen, hat einen nicht zu vernachläs-
sigenden Einfluss auf die erinnerbaren Sinneseindrücke.

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