Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Müller, Michael Christian; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Orgeldenkmalpflege: Grundlagen und Methoden am Beispiel des Landkreises Nienburg/Weser — Hameln: Niemeyer, Heft 29.2003

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.51261#0047
Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
rausarbeiten helfen, die aber in einem zweiten Schritt vor
dem kunst- oder designgeschichtlichen Hintergrund zu
bewerten sind:
■ Das Verhältnis Orgel - übrige Ausstattung: Ist eine
Bezugnahme zwischen der Orgel und dem oder den Al-
tären sowie weiteren Ausstattungselementen erkennbar,
zum Beispiel was formale oder stilistische Aspekte be-
trifft?
■ Die Gestaltung des Prospektes selbst: wie ist das
Gehäuse gegliedert, zum Beispiel in welchem - propor-
tionalräumlichen - Verhältnis stehen Gehäusekompar-
timente zueinander? Wie sind diese gestaltet, zum Bei-
spiel mit Blick auf die Anordnung der Pfeifenstellungen -
handelt es sich um eine räumlich wirksame Skulptur oder
bildet die Orgel gleichsam eine Folie aus? Wie stellt sich
das Verhältnis von Blendflächen und Pfeifenstellungen
dar? Wie sind Pfeifenstellungen proportioniert, gleich ob
es sich um Felder oder Türme handelt? Wie sind die
Pfeifen aufgeteilt, wie ist das Verhältnis von Pfeifenfuß
und -körper? Aus welchem Material bestehen die
Pfeifen, welche Wirkung wird damit erzielt? Ist
Dekorwerk - insbesondere Schleierbretter - vorhanden,
wenn ja in welcher Form? Schließlich: Ist eine Fassung
vorhanden und wie ist sie zu beurteilen?
Im Gegensatz zu allgemeinen, zum Beispiel gestaltpsy-
chologischen Grundsätzen sind diese Ansätze in Form
von Fragen formuliert, da sie ja gerade vor dem Hinter-
grund zeitgenössischer Gestaltungen zu beurteilen sind.
Andernfalls wäre den höchst unterschiedlichen Pros-
pektformen der letzten Jahrhunderte, ob barocker
Werkprospekt, historistische Pfeifenfassade, Freipfeifen-
prospekt oder minimalistischer Kastenprospekt der
1960er Jahre kaum gerecht zu werden. Weiterhin ist von
Bedeutung und für den Orgelbau geradezu wesensbe-
stimmend, dass die als Fragen formulierten Gestaltungs-
möglichkeiten mit dem Klangkörper in Wechselwirkung
stehen: Eine als allseitig wirksame Klangskulptur konstru-
ierte Orgel ist auch architektonisch mit Blick auf die mit
dieser Funktion verbundenen Eigenschaften (Anordnung
der Teilwerke und Windladen, der Trakturen etc.) zu
beurteilen.
Aufgrund des vorhandenen Vorwissens und der aktuel-
len Sehgewohnheiten resultiert im Betrachter schließlich
eine Erlebniswirkung. Sie wird umso intensiver sein, je
prägnanter und schlüssiger die Wahrnehmungen sind. So
gilt hier ebenso wie auch schon im klanglich-musikali-
schen Bereich, dass sich der bewertende Denkmalpfleger
von persönlichen Vorlieben weitgehend freizumachen
hat, um der großen Spanne existenter Prospekt-
gestaltungen gerecht werden zu können. Hierbei sind
wiederum die Referenzfolien hilfreich, die auch das
Ministerium formuliert hat: vor dem Hintergrund der
künstlerisch unzweifelhaft hochrangigen Objekte der
Vergangenheit, nötigenfalls der jeweiligen kunst- und
architekturtheoretischen Abhandlungen, lassen sich

Grundmuster herausarbeiten, die zeittypisch sind. Deren
originelle Variation oder kreative Weiterentwicklung -
Korrelate der künstlerischen Kreativität - werden sich an
dem fraglichen Objekt nachvollziehen lassen müssen.
Die Ausführungen des Ministeriums kommen damit zwei
Anforderungen nach: Zum einen wird eine Gestaltung
vor dem Hintergrund zeitgleicher Objekte bewertet, um
die damalige künstlerische Leistung einzuschätzen, zum
anderen wird auch der allem Künstlerischen eigenen
Wirkung auf den heutigen Betrachter - bei all ihrer zeit-
und personengebundenen Umstrittenheit - Rechnung
getragen. Indem man sich aber auf die oben genannten
Ansätze oder zum Beispiel gestaltpsychologischen
Grundlagen bezieht und die kulturhistorische Perspektive
als Referenzfolie einsetzt, wird eine Ausgangsbasis her-
gestellt, die wie im klanglichen Bereich zu im methodi-
schen Ansatz vergleichbaren Maßstäben führt.
Geschichtliche Gründe und der Zeugniswert
Zu Beginn dieses Kapitels war der künstlerischen
Bedeutung einer Orgel, die sich im Erlebniswert
manifestiert, die geschichtliche - und damit verbunden
-wissenschaftliche Bedeutung gleichsam gegenüberge-
stellt worden. Die Erläuterungen zum künstlerischen
Wert dürften allerdings deutlich gemacht haben, dass
von einem Gegensatz nicht die Rede sein kann. Das
Erleben einer konkreten künstlerisch-musikalischen
Absicht ist mit ihrer materiellen Umsetzung verbunden,
die in der mehr oder weniger vollständig erhaltenen
Substanz gegenwärtig ist. Die Denkmalsubstanz ist,
bildlich gesprochen, die Schnittstelle zwischen Erlebnis-
und Zeugniswert, sie ist das Subjekt der künstlerischen
Wirkung und Objekt wissenschaftlicher Forschung. Die
Forschung wiederum liefert der Denkmalpflege die nöti-
gen Informationen zur - vergleichenden - Einschätzung
der künstlerischen Bedeutung und zur Erläuterung des
geschichtlichen Zeugniswertes.
Wegen der anfangs erläuterten Definition der Orgel als
komplexes Musikinstrument lassen sich analog der
Funktions- bzw. Bestandteile unterschiedliche Gruppen
von geschichtlich-inhaltlichen Kriteriengruppen festma-
chen.
a) Orgelbaugeschichte: Hierzu zählen Aussagen zu
unterschiedlichen Aspekten des Orgelbaus, die in
Unterguppen aufgegliedert werden können:
- Orgelbauer. Werke bedeutender Orgelbauer
- Orgeltechnik-Geschichte
■ Gehäusebau: Entwicklungsbeispiele unter akus-
tisch-funktionalem und konstruktivem Blickwinkel,
charakteristische Ausprägungen für Zeit, Region,
Orgelbauer, Kirchentyp bzw. Baustil

45
 
Annotationen