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Achim Knöfel

Die Geschichte der St. Matthäus-Kirche und ihrer Ausstattung

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romanischen Stück umgearbeiteten Taufstein, der sei-
nen Platz in der Achse des Altars inmitten des Chor-
raumes fand, gehörte nach archivalischen Quellen ein
heute verlorener Deckel,10 wahrscheinlich in ähnli-
chem Formenreichtum gestaltet wie vergleichbare
erhaltene Stücke aus Varel, Schwei oder Holle." Als
Kniebank für die Kommunikanten beim Abendmahl
dienten beiderseits des Altarstipes zwei Kommunion-
bänke.12 Das Epitaph der einflussreichen Familie Deth-
mers an der Nordseite des Chores entstand im Jahre
1637. Die beiderseits des Altares aufgestellten Beicht-
stühle für die beiden Pastoren der Gemeinde13 aus
dem Jahre 1695 sowie das Kastengestühl an den
Längswänden vervollständigte die Ausstattung des
Chores. Vom Kirchenschiff war der Altarraum, in dem
ausschließlich das Abendmahl gefeiert und getauft
wurde, durch ein Trennelement geschieden, das im
Inventar der Kirche von 1774 wie folgt beschrieben
wird: „Beym Eingänge des Chors in der Mitten
stehet eine kleine Cantzel, mit einer Tür ... versehen,
darin die Epistel verlesen wird, neben derselben sind
zwei Thüren ..., damit das Chor kann zugemacht
werden."14
Eine entscheidende bauliche Veränderung im Chor
betraf in unmittelbarem Zusammenhang mit der Er-
richtung des Altarretabels das große gotische Ost-
fenster, dessen lichte Öffnung nach Herausnahme der
gotischen Fensterteilung zu einer durch teilweise
skulptural bearbeitetes Stabwerk aus Obernkirchener
Sandstein unterteilten Rechtecköffnung umgeformt
wurde (Abb. 18). Das Retabel ist so geschickt auf das
dahinterliegende Fenster abgestimmt, dass die verti-
kalen Sandsteinpfosten des Fensters durch die vertika-
len Trageelemente des Altars verdeckt werden und die
verglasten Fensterflächen den transparenten Hin-
tergrund für die mannigfaltig durchbrochenen Teile
des Retabels bilden. Welche Unterteilung die beiden
seitlichen Chorfenster zur Münstermannzeit besaßen,
ist nicht bekannt. In ihrer ursprünglichen, gegenüber
heute größeren Ausformungen waren sie wichtig für
die seitliche Beleuchtung des Altarretabels. Bis zum
Umbau der Kirchenfenster zur heutigen Größe um
1840 unterschied sich der Chor mit seiner Lichtfülle
deutlich vom relativ dunklen Lang- und Querhaus mit
den kleinen romanischen Fensteröffnungen.15 Ledig-
lich in die Ostwand des Südquerhauses war wohl
schon im 17. Jahrhundert zur besseren Belichtung der
Kanzel eine größere Fensteröffnung mit stark ange-
schrägten Laibungen eingefügt worden.
Von der Raumfassung des Chores aus dem Anfang
des 17. Jahrhunderts ist wenig bekannt. Freigelegt
wurden im Zuge der jüngsten Restaurierung ein weiß-
licher Anstrich auf dem Sandsteinrahmen des Ost-
fensters und zugehörig ein hellgrauer Anstrich der
Wandflächen. Reste einer Rahmungsmalerei in Gri-


20 Bankwange (Detail) mit freigelegter Farbfassung von
1738, Aufnahme 2001.

saille um das Ostfenster ließen sich ebenso feststellen
wie eine möglicherweise etwas jüngere Cherubimdar-
stellung im „Tympanon" des Ostfensters, Reste einer
barocken Rahmungsmalerei in Rot- und Ockertönen
um das Epitaph Dethmers sowie Schriftkartuschen auf
den ursprünglich abgeschrägten Sohlbänken der seit-
lichen Chorfenster.
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erfolgte in
der Kirche eine zweite nachreformatorische Erneue-
rungswelle. Im Jahre 1758 baute Johann Hinrich
Klappmeyer auf der Westempore eine neue Orgel.
Nachfolgend wurde abschnittsweise die gesamte vor-
handene Ausstattung der Kirche in blauer Grund-
farbigkeit mit Marmorierung, teilweise polychromer,
ornamentaler Malerei und Vergoldung überfasst
(Abb. 19). Schriftlich belegt sind die Überfassungen
für den Altar (1761)16, die Kanzel (1772)17 und die
Chorschranke (1773)18, nachzuweisen und teilweise
freigelegt sind die Überfassungen auf allen Ausstat-
tungsstücken, in sehr reicher Form insbesondere auf
den Gestühlswangen (Abb. 20). Zugehörig zu dieser
Raumfassung ist auch die heutige Deckenmalerei von
1776. Einen guten Eindruck vom Aussehen der Kirche
zu dieser Zeit vermittelt das bereits erwähnte Inventar
von 1774. In der Grunddisposition entsprach die Aus-
stattung des Raumes offenbar noch derjenigen vom
Anfang des 17. Jahrhunderts, lediglich die Farbigkeit
hatte sich entscheidend verändert.
Das 19. Jahrhundert brachte für den Kirchenraum
kaum Neuerungen. Dem Zeitgeschmack folgend wur-
de 1801 der Taufstein samt Deckel entfernt und durch
einen hölzernen, an einer Stange befestigten Tauf-
engel ersetzt.19 Später entstand anstelle der beiden
Kommunionbänke ein halbkreisförmiges Altargitter.
Wann die chorschrankenartige Abtrennung des Altar-
 
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