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„Praedikatur" meist eine Stiftung von Bürgern, Fürs-
ten oder religiösen Bruderschaften war. Vor allem
diese Praedikanten, gut ausgebildete Theologen,
waren es dann auch, um die sich Anfang des 16.
Jahrhunderts Kreise scharten, die eine Reform der
Kirche als besonders dringlich ansahen. „... und für
sie alle war das öffentliche Auftreten Luthers nur das
Signal, ihre Forderungen und Absichten ... in die Tat
umzusetzen."5
Durch die wesentlich höhere Wertung der Predigt
nach der Reformation erhielt die Kanzel eine größere
Bedeutung, die sie in der Anfangszeit dem Altar
gleichwertig machte. Neben die gleichrangigen
Prinzipalstücke Altar und Kanzel trat nun als wesent-
liches Moment die Gemeinde. Im Baulichen doku-
mentiert sich dieser neue Faktor durch das feste
Gestühl. Entsprechend der sozialen Gliederung der
Gemeinde erhielt jedes Gemeindemitglied einen sei-
nem Stand angemessenen Platz zugewiesen. Durch
das Gestühl wurde aber auch die Richtung der
Gemeinde festgelegt, die kaum noch eine gleich gute
akustische und optische Verbindung zu Kanzel und
Altar ermöglichte. „Die Diskrepanz zwischen liturgi-
scher und Predigtachse wird hier erst durch die Auf-
stellung des festen Gestühls nach der Reformation
deutlich, in derzeit vorher ordnete sich die Gemeinde
während des Gottesdienstes um den jeweiligen litur-
gischen Ort."6
In den lutherischen Kirchen wurde im Laufe der Zeit
unterschiedlich auf dieses Problem reagiert. Man ent-
wickelte dabei verschiedene Lösungen für die Stellung
von Kanzel und Altar im Raum, bevor diese schließlich
im barocken Kanzelaltar ihre engste Verbindung fan-
den: Die traditionelle Stellung in der Mitte des Schiffes
auf der Epistelseite, die dem Altar angenäherte Kan-
zel, schließlich die sogenannte Refektoriumskanzel,
die von einer Konsole getragen wird.
Auch bei den Kanzeln, die Münstermann für das
Oldenburger Land geschaffen hat, erfolgte die Auf-
stellung in verschiedener Weise, die durch Raumform
und Raumgröße, aber auch durch die sonstige Aus-
stattung bestimmt wurde: Beispielsweise in Schwei im
vorderen Drittel in Nähe des Altares, in Altenesch und
Blexen am Chorbogen, ebenda in Varel gegenüber
dem Grafenstuhl. Eine Besonderheit stellt die Kanzel
in Hohenkirchen dar: Wie andere Kanzeln Frieslands
in der Mitte der Langhauswand der großen Hallen-
kirche angeordnet, war sie über einen langen Empo-
rengang von Osten her erreichbar.7
In Rodenkirchen wurde die Kanzel zentral am süd-
westlichen Vierungspfeiler zwischen Lang- und Quer-
haus angeordnet (Abb. 8). Vom Eingang bis zur
Kanzel ist das Gestühl nach Osten ausgerichtet, die
Bänke im Raum zwischen Kanzel und Altar stehen
parallel zur Kirchenachse, sodass nur von einem klei-
nen Teil des Gestühls der Blickwinkel zur Kanzel
ungünstig ist.8 Der mittelalterliche Chor wurde mit


38 Gotische Holzkanzel. Königsfelden (Kanton Aargau),
ehemalige Franziskaner-Klosterkirche. Die bewegliche
Kanzel aus dem 15. Jahrhundert ist eines der wenigen
erhaltenen Beispiele für eine mittelalterliche Predigerkanzel.
Da der Prediger nahe seinen Zuhörern sprach, fehlt ein
Schalldeckel.

dem großen Altarretabel Ludwig Münstermanns, zwei
Beichtstühlen, den je zwei Längsreihen des Gestühls
für die Kommunikanten und dem Taufstein konse-
quent zu einem abgesonderten Sakralraum für den
Vollzug des Abendmahlsgottesdienstes und der Taufe
umgestaltet.
Planung und Herstellung der Kanzel
Über die Planungen, die der Herstellung der Boden-
kirchener Kanzel vorausgingen, über die Durchfüh-
rung der Arbeiten durch den Bildhauer Ludwig Müns-
termann und seine Mitarbeiter, über den anschließen-
den Transport aus seiner Hamburger Werkstatt nach
Rodenkirchen und die Aufstellung am Bestim-
mungsort fehlen schriftliche Unterlagen. Wir dürfen
allerdings davon ausgehen, dass die Bestellung einer
so reich gestalteten Kanzel sehr sorgfältig zwischen
Auftraggeber und Auftragnehmer vorbereitet und
dann wohl auch in der seit dem Mittelalter gebräuch-
lichen Form eines „Gedings" rechtskräftig fixiert und
besiegelt wurde.9
Solche Verträge enthalten üblicherweise das Datum
des Vertragsabschlusses, die Angabe der Vertrags-
partner, den Gegenstand des Vertrages, die Festle-
gung des Schmuckes und des Entgeltes, eine Rege-
 
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