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Peter Königfeld

Kunstgeschichtliche Anmerkungen zur Kanzel

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seiner Zunft. Durch die Erbschaft eines Hauses „ober-
halb des Kayen"'9 (Abb. 40) besaß er die volle Bür-
gerschaft, die ihm als Handwerker Rechte, Privilegien
und Prestige einbrachte. Er war somit in der Hanse-
stadt bürgerlich etabliert.
Es fehlt ein zweifelsfrei zuzuordnendes Frühwerk.20
Als Münstermann 1608 den Auftrag für den Orgel-
prospekt der Schlosskapelle des Verdener Fürstbi-
schofs Philipp Sigismund von Braunschweig-Lüneburg
in Rotenburg an der Wümme erhielt und damit ein
erstes Mal mit einer Arbeit fassbar wird, war er bereits
seit neun Jahren Meister. Der kunstsinnige Fürst mit
seinen weit verzweigten verwandtschaftlichen Bezie-
hungen und kirchlichen Ämtern mag ihn den Olden-
burger Grafen empfohlen haben.21 1607-1612 sind
seine Arbeiten am Fassadenschmuck des Oldenburger
Schlosses22 und an der Rasteder Kanzel überliefert.
1613-1618 folgt die Ausstattung der Vareler Schloss-
kirche. Die Arbeiten für Altenesch, Schwei, Roden-
kirchen und Hohenkirchen, Holle, Stollhamm und
Apen füllen die Jahre bis 1631.
Münstermann war durch seine Ausbildung Stein-
bildhauer. Nicht nur seine Mitwirkung am skulptura-
len Schmuck des Oldenburger Schlosses (1607-1612),
sondern auch der Kanzelfuß aus der Lamberti-Kirche
in Oldenburg (1614), die Kanzel in Varel (1613), die
Taufsteine in Eckwarden (1616), Osternburg (um
1620), Varel (1618), Tossens (1623), Holle (1624), Ab-
behausen und Stollhamm (beide 1628), Rodenkirchen
(um 1630) und Golzwarden (1632) belegen seine
Kunstfertigkeit in Stein und Alabaster.23 Seine wesent-
lichen Arbeiten hat Münstermann allerdings in Holz
gefertigt.
Zur Organisation seiner Werkstatt fehlen uns die not-
wendigen Hinweise, um beispielsweise die wichtige
Frage der Händescheidung klären zu können. Die
Meisterinschrift an der Rückseite der Kuppa des
Kanzelkorbes in Rodenkirchen („ANNO 1631 habe ich
/ M. Ludowich Münstermä / mit Göttlicher hülfe und
mei / nes dieners Onnen Dircksen / wie auch meiner
beiden Sohns, / Johann und Claws diese / CANT / ZEL
ver / fertige /1") lässt keinen Schluss über die Vertei-
lung der Arbeiten zu (Abb. 2). Die Erwähnung auf der
Tafel legt aber die Vermutung nahe, dass alle
Genannten auch bildhauerisch tätig waren. Im Übri-
gen scheint Münstermann im letzten Lebensjahrzehnt
die Ausführung der vielen Aufträge in der Grafschaft
Oldenburg weitgehend den Mitarbeitern seiner
Werkstatt überlassen zu haben. So konnte Johann
Münstermann nach dem Tode seines Vaters auch
ohne Probleme die Kanzel in Blexen vollenden.24
Wie in diesem Zusammenhang allerdings die Situation
an der 1614 fertig gestellten Kanzel in der Lamberti-
Kirche in Oldenburg in Hinblick auf die Rolle
Münstermanns im Fertigungsprozess zu deuten ist,
muss offen bleiben. Er kürzte dort den Bildhauern,
den „Schnittgergesellen" sowie dem „Gitterschmidt"


40 Hamburg, Blick vom Kehrwieder über den Binnenhafen
auf Aussenkajen. Die Aufnahme (um 1880) vermag trotz
der Veränderungen über 250 Jahre einen guten Eindruck
von der Wohn- und Arbeitswelt Ludwig Münstermanns in
diesem Quartier mit seiner unmittelbaren Zugänglichkeit
zum Hafen zu vermitteln.

den Arbeitslohn, vermutlich wegen mangelhafter
Ausführung seiner Vorgaben.25 Ob daraus abgeleitet
werden kann, dass er in diesem Fall (oder grundsätz-
lich?) lediglich die künstlerische Konzeption in Form
von Entwurfszeichnungen oder plastisch ausgeführ-
ten Bozzetti lieferte, die durch untergeordnete Mit-
arbeiter oder Dritte in das endgültige Material über-
tragen wurden, bleibt unklar. War Münstermann eher
Unternehmer, der in einem Verbund von Fachbetrie-
ben (Schnitzer, Schreiner, Schmiede, Schlosser, Maler)
anleitend Großaufträge arbeitsteilig durchführte oder
ein künstlerisch hochbegabter Handwerker, der ge-
meinsam mit seiner Werkstatt Bildwerke aus Holz,
Stein und Alabaster schaffte - oder jeweils auftrags-
bezogen vielleicht doch beides?26
Seine Arbeiten sind heute im Wesentlichen in den
Kirchen des Oldenburger Landes präsent. Trotz der
vielen Aufträge aus Oldenburg blieb er in seiner
Werkstatt in der unmittelbaren Nähe des Hamburger
Binnenhafens, von wo er seine Bildwerke die Elbe ab-
wärts und die Weser aufwärts verschiffen konnte
(Abb. 41 ).27 Hinweise auf den Transport der Münster-
mann-Arbeiten zu Schiff gibt uns eine Kirchenrech-
nung aus Blexen, in der es heißt: „Noch hat derselbe
/ laut designation Sub. ... an Nageln / Holtz /
Schifflohn und anderen Kosten / zu Aufrichtung der
Kanzel gezahlet 17 Rt. a 72 gr., 63 1/? gr."2S
Nicht nur sein Status als Hamburger Bürger und die
Sicherheit der befestigten Stadt mögen ihn bewogen
haben, zu bleiben - der Markt in Hamburg muss für
ihn attraktiv gewesen sein. „Leider weiß man von kei-
ner einzigen künstlerischen Arbeit, die Münstermann
 
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