Zur Situation der Wandmalereirestaurierung im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert
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einander abgestimmt. Die entdeckten Wandmalereien
wurden freigelegt und mit umfangreichen Ergän-
zungen und Übermalungen versehen, bis hin zum
totalen Verlust der ursprünglichen künstlerischen
Handschrift.256
Die Ausmalung des Dekagons von St. Gereon in Köln
(1883-1891) stellte Essenwein nach Holzamer vor
Schwierigkeiten, da er nicht auf Vorlagen der früh-
christlichen Malerei zurückgreifen konnte. Er mischte
daher die Inhalte der frühchristlichen Malerei mit den
Formen des 13. Jahrhunderts.257 Erhaltene Wandmale-
reifragmente verschiedener Epochen wurden in die
neue Malerei integriert und übermalt.258 Essenwein
selbst konstatierte: „Wir haben, beim großen [I] wie
beim Kleinsten, nur auf den Anteil gesehen, den es
für die Wirkung des Ganzen hat; wir haben gesucht,
dass auch das letzte noch dazu beiträgt, den eigentli-
chen innersten Charakter des Baues beim Beschauer
zu vermitteln."259
Die Malereien des Langchors in St. Gereon sollten
1896 der Essenweinschen historisierenden Malerei im
Dekagon angeschlossen werden. Dabei fand man
unter der barocken Fassung große Teile einer romani-
schen Ausmalung. Angesichts dieses Fundes ent-
schloss man sich, statt der Neuausmalung eine Wie-
derherstellung der mittelalterlichen Malerei durchzu-
führen. Der Kölner Dekorationsmaler Anton Barden-
hewer führte die restauratorischen Maßnahmen an
den Figuren aus, wobei es nicht bei der von Provin-
zialkonservator Paul Clemen geforderten „Nachretou-
chierung" blieb. Stattdessen wurde die figürliche
Malerei anhand des erhaltenen Bestands rekonstruie-
rend übermalt.260 Die dekorativen Malereien und die
Ausmalung der Apsiskalotte wurden vom Maler
Johannes Osten überarbeitet. Die Majestas Domini in
der Apsiskalotte war stark zerstört, Konturen und Far-
bigkeit aber noch erkennbar. Die Darstellung wurde
von Osten - nach Plänen von Bardenhewer - vollstän-
dig übermalt. Nach der Übermalung hatte die figürli-
che Apsismalerei mit dem romanischen Vorbild stilis-
tisch kaum noch Ähnlichkeiten. Clemen bezeichnete
die Figuren als „ziemlich modern gehalten".261 Zu den
ornamentalen Malereien bemerkte Clemen: „Die
Ornamente kommen, soweit sie überhaupt auf ältere
Spuren zurückgehen, als Dokumente für die Ge-
schichte der romanischen Dekoration nicht mehr in
Betracht."262 Grund für dieses Urteil war die starke
Schematisierung der Ornamentik und die schablonen-
hafte Wirkung. Der dekorativen Malerei der architek-
tonischen Gliederung wurde bei der Wiederher-
stellung wenig Beachtung geschenkt. Hierzu hieß es
nur: „Maler Osten hat die dort vorhandenen Motive
bei der Neubemalung wieder verwertet."263
Noch gegen Ende der 1890er Jahre waren dem mit-
telalterlichen Vorbild frei nachschöpfende Restaurie-
rungen' und Vervollständigungen im historisierenden
Geiste in den meisten Regionen an der Tagesordnung.
1890-93 wurden Wandmalereien in der Kirche St.
Pantaleon in Köln entdeckt, freigelegt und 1897/98
restauriert. Auch hier kam es zur vollständigen Über-
arbeitung des mittelalterlichen Bestands. In der
Apsiskalotte des Südannex wurde die Darstellung
einer Majestas Domini freigelegt. Mit der Restaurie-
rung einher ging eine freie Ergänzung der fehlenden
und die vollständige Übermalung der erhaltenen
Bereiche, teilweise mit geänderten Farbtönen, um sie
der übrigen Ausmalung anzugleichen. Das Resultat
war eine typisierende, starre Malerei, die, so Behrend-
Krebs, in ihrer stark schematischen Wirkung nur noch
ganz allgemein an das ursprüngliche Original erinne-
re 264
Die Ausmalung des 13. Jahrhunderts in der Barba-
rakapelle zu Thierfeld in Sachsen wurde 1896 freige-
legt. Nach den damaligen Zeichnungen zum Malerei-
bestand war sie nur fragmentarisch erhalten. 1898/99
wurden sämtliche Darstellungen durch den Dekorati-
onsmaler August Mebert aus Dresden ergänzt bzw.
rekonstruiert, der erhaltene Bestand wurde dabei voll-
ständig übermalt.265
Auch die fragmentarisch freigelegte Ausmalung des
Presbyteriums in der ehemaligen Benediktinerabtei-
kirche Prüfening diente bei der Restaurierung 1897
„lediglich als Malvorlage".266 Zur wohl geplanten,
infolge Geldmangels aber nicht zur Ausführung kom-
menden, vollständigen Re-Romanisierung des Innen-
raums kam es in Prüfening nicht, das Presbyterium
aber wurde purifizierend, unter Aufgabe aller späterer
Zutaten, in den vermeintlichen Formen und Farben
der Entstehungszeit wiederhergestellt.257 In Prüfening
lässt sich die Umbruchsituation um 1900 nachvollzie-
hen. 1906/07 wurden nämlich Überlegungen zur
Restaurierung der Wandmalereien in den Seiten-
chören der Kirche angestellt, die zu dem Schluss führ-
ten, den Bestand so lange wie möglich unberührt zu
lassen. 1915/16 folgten dann ausschließlich konserva-
torische Maßnahmen.268
Alle aufgeführten Restaurierungsbeispiele verdeutli-
chen den Versuch, die mittelalterliche Optik der
Kirchenbauten im-Sinne einer Stilvereinheitlichung
wiederherzustellen. Indem man vorhandene mittelal-
terliche Ausmalungsprogramme vervollständigte und
stilwidrige' Zutaten entfernte, erhoffte man sich, das
rezipierte Raumkonzept der Entstehungszeit mit sei-
ner Einheit von Architektur und Ausmalung zurück zu
gewinnen. Aus dem Studium mittelalterlicher Archi-
tektur und Malerei war die Erkenntnis gewonnen,
dass die ursprünglichen Ausmalungen eine kräftige
Farbgebung besessen hatten und dass der erhaltene
Bestand nur noch ein Schatten dessen war. Um dem
ursprünglichen Erscheinungsbild möglichst nahe zu
kommen, wurden daher die fragmentarisch erhalte-
nen Wandmalereien in ihrer Farbigkeit verstärkt, das
heißt meist vollständig übermalt, und in ihrem
Bildprogramm ergänzt. Wichtig war in erster Linie die
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einander abgestimmt. Die entdeckten Wandmalereien
wurden freigelegt und mit umfangreichen Ergän-
zungen und Übermalungen versehen, bis hin zum
totalen Verlust der ursprünglichen künstlerischen
Handschrift.256
Die Ausmalung des Dekagons von St. Gereon in Köln
(1883-1891) stellte Essenwein nach Holzamer vor
Schwierigkeiten, da er nicht auf Vorlagen der früh-
christlichen Malerei zurückgreifen konnte. Er mischte
daher die Inhalte der frühchristlichen Malerei mit den
Formen des 13. Jahrhunderts.257 Erhaltene Wandmale-
reifragmente verschiedener Epochen wurden in die
neue Malerei integriert und übermalt.258 Essenwein
selbst konstatierte: „Wir haben, beim großen [I] wie
beim Kleinsten, nur auf den Anteil gesehen, den es
für die Wirkung des Ganzen hat; wir haben gesucht,
dass auch das letzte noch dazu beiträgt, den eigentli-
chen innersten Charakter des Baues beim Beschauer
zu vermitteln."259
Die Malereien des Langchors in St. Gereon sollten
1896 der Essenweinschen historisierenden Malerei im
Dekagon angeschlossen werden. Dabei fand man
unter der barocken Fassung große Teile einer romani-
schen Ausmalung. Angesichts dieses Fundes ent-
schloss man sich, statt der Neuausmalung eine Wie-
derherstellung der mittelalterlichen Malerei durchzu-
führen. Der Kölner Dekorationsmaler Anton Barden-
hewer führte die restauratorischen Maßnahmen an
den Figuren aus, wobei es nicht bei der von Provin-
zialkonservator Paul Clemen geforderten „Nachretou-
chierung" blieb. Stattdessen wurde die figürliche
Malerei anhand des erhaltenen Bestands rekonstruie-
rend übermalt.260 Die dekorativen Malereien und die
Ausmalung der Apsiskalotte wurden vom Maler
Johannes Osten überarbeitet. Die Majestas Domini in
der Apsiskalotte war stark zerstört, Konturen und Far-
bigkeit aber noch erkennbar. Die Darstellung wurde
von Osten - nach Plänen von Bardenhewer - vollstän-
dig übermalt. Nach der Übermalung hatte die figürli-
che Apsismalerei mit dem romanischen Vorbild stilis-
tisch kaum noch Ähnlichkeiten. Clemen bezeichnete
die Figuren als „ziemlich modern gehalten".261 Zu den
ornamentalen Malereien bemerkte Clemen: „Die
Ornamente kommen, soweit sie überhaupt auf ältere
Spuren zurückgehen, als Dokumente für die Ge-
schichte der romanischen Dekoration nicht mehr in
Betracht."262 Grund für dieses Urteil war die starke
Schematisierung der Ornamentik und die schablonen-
hafte Wirkung. Der dekorativen Malerei der architek-
tonischen Gliederung wurde bei der Wiederher-
stellung wenig Beachtung geschenkt. Hierzu hieß es
nur: „Maler Osten hat die dort vorhandenen Motive
bei der Neubemalung wieder verwertet."263
Noch gegen Ende der 1890er Jahre waren dem mit-
telalterlichen Vorbild frei nachschöpfende Restaurie-
rungen' und Vervollständigungen im historisierenden
Geiste in den meisten Regionen an der Tagesordnung.
1890-93 wurden Wandmalereien in der Kirche St.
Pantaleon in Köln entdeckt, freigelegt und 1897/98
restauriert. Auch hier kam es zur vollständigen Über-
arbeitung des mittelalterlichen Bestands. In der
Apsiskalotte des Südannex wurde die Darstellung
einer Majestas Domini freigelegt. Mit der Restaurie-
rung einher ging eine freie Ergänzung der fehlenden
und die vollständige Übermalung der erhaltenen
Bereiche, teilweise mit geänderten Farbtönen, um sie
der übrigen Ausmalung anzugleichen. Das Resultat
war eine typisierende, starre Malerei, die, so Behrend-
Krebs, in ihrer stark schematischen Wirkung nur noch
ganz allgemein an das ursprüngliche Original erinne-
re 264
Die Ausmalung des 13. Jahrhunderts in der Barba-
rakapelle zu Thierfeld in Sachsen wurde 1896 freige-
legt. Nach den damaligen Zeichnungen zum Malerei-
bestand war sie nur fragmentarisch erhalten. 1898/99
wurden sämtliche Darstellungen durch den Dekorati-
onsmaler August Mebert aus Dresden ergänzt bzw.
rekonstruiert, der erhaltene Bestand wurde dabei voll-
ständig übermalt.265
Auch die fragmentarisch freigelegte Ausmalung des
Presbyteriums in der ehemaligen Benediktinerabtei-
kirche Prüfening diente bei der Restaurierung 1897
„lediglich als Malvorlage".266 Zur wohl geplanten,
infolge Geldmangels aber nicht zur Ausführung kom-
menden, vollständigen Re-Romanisierung des Innen-
raums kam es in Prüfening nicht, das Presbyterium
aber wurde purifizierend, unter Aufgabe aller späterer
Zutaten, in den vermeintlichen Formen und Farben
der Entstehungszeit wiederhergestellt.257 In Prüfening
lässt sich die Umbruchsituation um 1900 nachvollzie-
hen. 1906/07 wurden nämlich Überlegungen zur
Restaurierung der Wandmalereien in den Seiten-
chören der Kirche angestellt, die zu dem Schluss führ-
ten, den Bestand so lange wie möglich unberührt zu
lassen. 1915/16 folgten dann ausschließlich konserva-
torische Maßnahmen.268
Alle aufgeführten Restaurierungsbeispiele verdeutli-
chen den Versuch, die mittelalterliche Optik der
Kirchenbauten im-Sinne einer Stilvereinheitlichung
wiederherzustellen. Indem man vorhandene mittelal-
terliche Ausmalungsprogramme vervollständigte und
stilwidrige' Zutaten entfernte, erhoffte man sich, das
rezipierte Raumkonzept der Entstehungszeit mit sei-
ner Einheit von Architektur und Ausmalung zurück zu
gewinnen. Aus dem Studium mittelalterlicher Archi-
tektur und Malerei war die Erkenntnis gewonnen,
dass die ursprünglichen Ausmalungen eine kräftige
Farbgebung besessen hatten und dass der erhaltene
Bestand nur noch ein Schatten dessen war. Um dem
ursprünglichen Erscheinungsbild möglichst nahe zu
kommen, wurden daher die fragmentarisch erhalte-
nen Wandmalereien in ihrer Farbigkeit verstärkt, das
heißt meist vollständig übermalt, und in ihrem
Bildprogramm ergänzt. Wichtig war in erster Linie die