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Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Restaurierungsgeschichte mittelalterlicher Wandmalereien im Gebiet des heutigen Niedersachsen — Petersberg: Imhof, Heft 41.2014

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Zur Situation der Wandmalereirestaurierung im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.51159#0040
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Restaurierungsgeschichte mittelalterlicher Gewölbe- und Wandmalereien im Gebiet des heutigen Niedersachsen

Als weiterer Vertreter moderner Denkmalpflege stell-
te sich schon 1900 Cornelius Gurlitt gegen die Richt-
linien Tornows und forderte eine stärkere Trennung
zwischen dem Denkmal als Urkunde und der forma-
len Selbstständigkeit bei neuen Teilen. Er plädierte
1909 für das Abrücken von den „stilvoll schaffenden"
Restaurierungen des 19. Jahrhunderts und stellte den
Wert der in dieser Zeit restaurierten Kunstwerke als
historische Urkunden in Frage.289 1907, in der dritten
Auflage seiner Publikation ,Die deutsche Kunst des
19. Jahrhunderts' äußerte Gurlitt sich wiederholt kri-
tisch gegenüber den anhaltenden Restaurierungs-
methoden: „Altertümer kann man nicht machen.
Nachahmungen alter Werke sind künstlerisch wert-
los."290 Auch der Kunsthistoriker Dr. Kautzsch aus
Darmstadt verwies auf den urkundlichen Wert eines
Kunstwerks, der nicht durch Imitation erreicht werden
könnte. Darüber hinaus sei auch der künstlerische
Wert darin nicht mehr enthalten.291
Die stenografischen Berichte der Tage für Denkmal-
pflege292 zeigen, dass das kurz nach der Wende zum
20. Jahrhundert nur von Wenigen geäußerte Verlan-
gen nach Konservierung statt traditioneller Restau-
rierung im Sinne von Stilvereinheitlichung und Wie-
derherstellung mehr und mehr Öffentlichkeit und
Akzeptanz fand. Das veränderte Bewusstsein begrün-
dete sich in der Anerkennung und Wertschätzung der
Geschichte und dessen, was sie hervorgebracht hatte.
Es galt der Anspruch, ein Kunstwerk als ein historisch
gewachsenes Ganzes anzuerkennen und den überlie-
ferten Bestand als Geschichtszeugnis zu bewahren.
Bei den Tagen für Denkmalpflege wurden die Restau-
rierungsanhänger im Laufe der Jahre weniger, sie hat-
ten ihre führende Rolle bis 1913 an die Anhänger der
Erhaltung verloren. Dabei war eine Wandlung einiger
Denkmalpfleger zu verzeichnen, zum Beispiel bei
Oechelhäuser, der 1909 eine durchaus konservatori-
sche Haltung an den Tag legte, während er wenige
Jahre zuvor noch Anhänger Tornows gewesen war.293
Ein solches Umdenken war unter anderem den zum
Teil heftigen Diskussionen, die bei den Tagen für
Denkmalpflege zwischen den Vertretern der unter-
schiedlichen Positionen ausgetragen wurden, zu ver-
danken.294 Immer mehr Teilnehmer ließen sich da-
durch von den modernen Ansätzen überzeugen.
Dennoch lag der Konflikt auch weiter noch darin, ob
Restaurierung eine künstlerische oder wissenschaftli-
che Aufgabe mit Respektierung der historischen und
künstlerischen Werte sei. Carl Weber referierte noch
1909 über die „Stilfragen bei der Wiederherstellung
alter Baulichkeiten" und berief sich auf Tornow und
sah das Hauptargument für eine gelungene Wieder-
herstellung in künstlerischen Gesichtspunkten im
Gegensatz zu den historischen Gesichtspunkten der
Gegenpartei. Es herrschten jedoch unterschiedliche
Verwendungen des Wortes ,historisch'. Zum Einen
wurde damit die Nutzung historischer Formen und

das Einfühlen in das Mittelalter, zum Anderen die
Akzeptanz des geschichtlichen Verlaufs bezeichnet.295
Die beiden Strömungen existierten also auch weiter-
hin nebeneinander und lassen Widersprüche vor
allem in der Verknüpfung von theoretischem Ansatz
und praktischer Ausführung erkennen.
In der Praxis blieben die rekonstruierenden und histo-
risierenden Tendenzen zunächst auch mit der Wende
zum 20. Jahrhundert bestehen. Sie lassen sich bei-
spielsweise an den Wiederherstellungen von Wand-
malereien in der Barbara-Kirche in Breslau und in der
katholischen Kirche in Strehlitz durch den Berliner
Maler August Oetken 1901 sowie in der Kirche von
Zeddenick bei Magdeburg durch den hannoverschen
Maler August Olbers 1902 ablesen. In allen Fällen
handelt es sich um rekonstruierende Neufassungen
auf Grundlage des freigelegten Bestands.296
Tomaszewski beschrieb die Situation als „allgemeinfe]
Heuchelei. ... Man bekannte sich zwar zur neuen
Philosophie, handelte aber nach der alten und entlud
seine Schaffensenergie an den Denkmälern."297
Dieses harte Urteil erscheint in Teilen durchaus be-
rechtigt. Hatte beispielsweise der hannoversche
Architekt Albrecht Haupt bereits 1899 die Ansicht ver-
treten, dass der überlieferte Zustand eines Denkmals
zu erhalten sei298, so plädierte er 20 Jahre später für
eine rekonstruierende Übermalung der Wandmale-
reien in Auetal-Hattendorf.
Sogar die strengen Restaurierungsgegner wie Dehio,
Gurlitt oder Giemen warnten aber vor einer allzu dog-
matischen Herangehensweise, die prinzipiell keine
Restaurierungsmaßnahmen zuließ.299 Alle rieten zu
kritischen Abwägungen und individuellen Maßnah-
men. Giemen wies darauf hin, dass ausschließliche
Erhaltungsmaßnahmen unter Umständen sogar zu
einer Schmälerung des historischen Lehrwertes führen
könnten.300

Beiträge zur Restaurierungsmethodik
Im seit 1899 erscheinenden zentralen Organ der
staatlichen Denkmalpflege, der Zeitschrift ,Die
Denkmalpflege', wurde anhand von Einzelfällen über
Restaurierungen berichtet, welche jedoch allgemein
blieben und schwerpunktmäßig den kunsthistori-
schen Hintergrund behandelten. Die Berichte in dem
von der preußischen Bauverwaltung herausgegebe-
nen Blatt waren zumeist konservativ und unkritisch.
Sämtliche Beiträge zur Restaurierung von Wandma-
lerei und auch anderer Kunstwerke vermittelten, dass
die Zielsetzung nach wie vor die Wiederherstellung'
eines früheren Zustands war. Grundsätzliche denk-
malpflegerische Fragen und Standpunkte wurden
nicht diskutiert.301 Ganz anders beim jährlich stattfin-
denden Tag für Denkmalpflege, wo solche Fragen im
Mittelpunkt lebhaften Interesses standen und die
 
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