Zur Freilegungs- und Restaurierungspraxis in Niedersachsen 1899-1939
am Beispiel ausgewählter mittelalterlicher Wandmalereien
73
baren zu begnügen hat, dass seinen Bestrebungen
nur selten ein genügendes Verständnis entgegen
gebracht wird, dass er ferner andere Interessen, die
oft recht energisch vertreten werden, nicht unberück-
sichtigt lassen kann, dürfte genügend bekannt sein.
Die Gemeinden sehen, da sie sich ungern drein reden
lassen, in der Denkmalpflege mitunter eine ver-
zögernde, alles besser wissende Instanz, die nach
Möglichkeit ausgeschaltet und umgangen werden
muss."488
Ein bewusstes Zuwiderhandeln seitens der Kirchen-
gemeinden war Folge anders gearteter Wünsche und
Vorstellungen in Bezug auf das Ergebnis der Restau-
rierung, die dazu führten, dass Kirchengemeinden
gezielt Einfluss auf die Restaurierungen nahmen.
In Auetal-Hattendorf wurde von Seiten der Denkmal-
pflege der Wunsch geäußert, die Malereien in ihrem
überlieferten Zustand zu erhalten und zu präsentie-
ren. Ähnliche Bemühungen zeigten sich auch in Nord-
stemmen-Mahlerten 1921. In beiden Fällen stießen
die Konservatoren jedoch auf offenen Widerspruch in
den Kirchengemeinden. Während der Konflikt in
Mahlerten nicht weiter verfolgt wurde und die
Kirchengemeinde ihren Wunsch nach Wiederherstel-
lung' durchsetzte, kam es in Hattendorf zu langwieri-
gen Auseinandersetzungen. Da die außergewöhnlich
umfangreiche Quellenlage hervorragenden Auf-
schluss über die verschiedenen Ansichten bietet, sol-
len diese hier eingehender diskutiert werden. Die im
folgenden verwendeten Zitate sind der Kirchen-
chronik des Pfarrarchivs Auetal-Hattendorf entnom-
men, die Abschriften der im Rahmen der Restau-
rierung erstellten Briefe und Gutachten enthält.489
Im Dezember 1920 stellte der Konservator für den
Regierungsbezirk Kassel, Holtmeyer, fest, dass im Ge-
wölbe der Hattendorfer Kirche bereits Restaurierungs-
arbeiten liefen, ohne dass bezüglich des Vorgehens
Absprachen mit der Denkmalpflege getroffen worden
waren. Auch wenn er einige der ausgeführten Arbei-
ten kritisierte, entsprachen sie zu diesem Zeitpunkt
noch den Auffassungen der Denkmalpflege. Zu den
Wandmalereien im Chor, die noch unbearbeitet
waren, äußerte er sich folgendermaßen: „An figürli-
cher Malerei besitzt der Chor an der nördlichen und
an der südlichen Seite je 6 Apostelfiguren in etwa 3/4
Lebensgröße mit Namensunterschrift und reich deko-
rierten Gewändern. ... Die Gestalten stehen in goti-
schen Arkaden mit stilistisch behandelten Säulen und
Wimpergen. Wenn auch die Denkmalpflege nichts
dagegen einzuwenden hat, daß die Architekturteile
aus dekorativen Gründen wiederhergestellt werden,
so muß doch darauf bestanden werden, daß die
Figuren innerhalb dieser Rahmen vollkommen unbe-
rührt bleiben. Fehlende Stellen der Gewandung kön-
nen mit einem neutralen Ton ausgelegt werden, der
als Ergänzung kenntlich ist. Der Versuch einer Wie-
derherstellung könnte erfahrungsgemäß nur Schaden
stiften und den geschichtlichen u. [I] hohen künstleri-
schen Wert des Originals stark beeinträchtigen. Das
selbe gilt an den wesentlich besser erhaltenen figürli-
chen Malereien des überlebensgroßen Christophorus
und des Eremit mit Laterne links und rechts neben
dem Ostfenster des Chors."
Bezüglich der figürlichen Darstellungen verdeutlicht
diese Äußerung den hohen Wert des Originals, das,
wenn auch nur fragmentarisch erhalten, nicht überar-
beitet werden sollte. Die Vorgabe Holtmeyers war
unmissverständlich: innerhalb der figürlichen Malerei
dürften nur Neutralretuschen angelegt werden. Da-
gegen spreche nichts gegen die Wiederherstellung',
das heißt die Übermalung und rekonstruierende
Ergänzung der gemalten architektonischen Rahmung.
Im März 1921 berichtete der Hattendorfer Pastor
Sommerlath dem Konsistorium: „Das Gewölbe ist
bereits fertig gestellt, ebenso die Südwand, an der 7
Apostel stehen in Lebensgröße. Was die anderen
figürlichen Darstellungen anbelangt, so hofft das
Presbyterium, daß der Herr Konservator seine Mei-
nung dahin ändert, daß dieselben wiederhergestellt
resp. ganz neu gemalt werden dürfen. Die Gemeinde
ist sehr verdrießlich darüber, auf unfertige nicht
erkennbare figürliche Darstellungen zu blicken und
gibt mir die Schuld."
Dass die Restaurierung der Apostel an der Südwand
nicht den Vorgaben entsprach, offenbarte sich bei
einer Besichtigung des Bezirkskonservators. Er wies
gegenüber dem Konsistorium darauf hin, dass sie
„ohne Gegenäußerung der Gemeinde bereits über-
malt beziehungsw. [I] durch neue Figuren ersetzt
worden" seien. Anderer Ansicht war der die Instand-
setzungsmaßnahmen leitende Architekt, Baurat
Albrecht Haupt. Er widersprach dem Vorschlag
Holtmeyers, die Architekturrahmung wiederherzustel-
len und die figürlichen Darstellungen unberührt zu
lassen. So „würden diese [die figürlichen Malereien,
Anm. d. Verf.] im ganzen unenträtselbare farbige
Schatten bleiben, die obendrein in Kürze so gut als
ganz verschwunden sein würden. ... Der einzige Weg,
um die Bilder in einer möglichen Form zu retten, ist
eben der, sie in den Umrissen nachzuziehen, sie am
Stofflichen zu retouchieren, nachzumalen und auch
zu ergänzen, soweit dazu Anhalt gegeben ist. Dann
bliebe vor allem der geistige Gehalt und die Gesamt-
konzeption gerettet, auch farbig wird eine der einsti-
gen möglichst adäquate Erscheinung erzielt ... Der
einzige Weg um diese alten Kunstwerke zu erhalten,
ist der bisher eingeschlagene: die Gemälde aus-
nahmslos so herzustellen, daß sie erkennbar sind,
andererseits eine Dauer versprechen; das Fehlende zu
ergänzen, im Ganzen aber auf eine künstlerisch ein-
heitliche Wirkung zu erstreben, die der Gemeinde zur
Erbauung gereicht. Sonst wäre die Arbeit ohne Zweck
für Gemeinde und Gottesdienst."
am Beispiel ausgewählter mittelalterlicher Wandmalereien
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baren zu begnügen hat, dass seinen Bestrebungen
nur selten ein genügendes Verständnis entgegen
gebracht wird, dass er ferner andere Interessen, die
oft recht energisch vertreten werden, nicht unberück-
sichtigt lassen kann, dürfte genügend bekannt sein.
Die Gemeinden sehen, da sie sich ungern drein reden
lassen, in der Denkmalpflege mitunter eine ver-
zögernde, alles besser wissende Instanz, die nach
Möglichkeit ausgeschaltet und umgangen werden
muss."488
Ein bewusstes Zuwiderhandeln seitens der Kirchen-
gemeinden war Folge anders gearteter Wünsche und
Vorstellungen in Bezug auf das Ergebnis der Restau-
rierung, die dazu führten, dass Kirchengemeinden
gezielt Einfluss auf die Restaurierungen nahmen.
In Auetal-Hattendorf wurde von Seiten der Denkmal-
pflege der Wunsch geäußert, die Malereien in ihrem
überlieferten Zustand zu erhalten und zu präsentie-
ren. Ähnliche Bemühungen zeigten sich auch in Nord-
stemmen-Mahlerten 1921. In beiden Fällen stießen
die Konservatoren jedoch auf offenen Widerspruch in
den Kirchengemeinden. Während der Konflikt in
Mahlerten nicht weiter verfolgt wurde und die
Kirchengemeinde ihren Wunsch nach Wiederherstel-
lung' durchsetzte, kam es in Hattendorf zu langwieri-
gen Auseinandersetzungen. Da die außergewöhnlich
umfangreiche Quellenlage hervorragenden Auf-
schluss über die verschiedenen Ansichten bietet, sol-
len diese hier eingehender diskutiert werden. Die im
folgenden verwendeten Zitate sind der Kirchen-
chronik des Pfarrarchivs Auetal-Hattendorf entnom-
men, die Abschriften der im Rahmen der Restau-
rierung erstellten Briefe und Gutachten enthält.489
Im Dezember 1920 stellte der Konservator für den
Regierungsbezirk Kassel, Holtmeyer, fest, dass im Ge-
wölbe der Hattendorfer Kirche bereits Restaurierungs-
arbeiten liefen, ohne dass bezüglich des Vorgehens
Absprachen mit der Denkmalpflege getroffen worden
waren. Auch wenn er einige der ausgeführten Arbei-
ten kritisierte, entsprachen sie zu diesem Zeitpunkt
noch den Auffassungen der Denkmalpflege. Zu den
Wandmalereien im Chor, die noch unbearbeitet
waren, äußerte er sich folgendermaßen: „An figürli-
cher Malerei besitzt der Chor an der nördlichen und
an der südlichen Seite je 6 Apostelfiguren in etwa 3/4
Lebensgröße mit Namensunterschrift und reich deko-
rierten Gewändern. ... Die Gestalten stehen in goti-
schen Arkaden mit stilistisch behandelten Säulen und
Wimpergen. Wenn auch die Denkmalpflege nichts
dagegen einzuwenden hat, daß die Architekturteile
aus dekorativen Gründen wiederhergestellt werden,
so muß doch darauf bestanden werden, daß die
Figuren innerhalb dieser Rahmen vollkommen unbe-
rührt bleiben. Fehlende Stellen der Gewandung kön-
nen mit einem neutralen Ton ausgelegt werden, der
als Ergänzung kenntlich ist. Der Versuch einer Wie-
derherstellung könnte erfahrungsgemäß nur Schaden
stiften und den geschichtlichen u. [I] hohen künstleri-
schen Wert des Originals stark beeinträchtigen. Das
selbe gilt an den wesentlich besser erhaltenen figürli-
chen Malereien des überlebensgroßen Christophorus
und des Eremit mit Laterne links und rechts neben
dem Ostfenster des Chors."
Bezüglich der figürlichen Darstellungen verdeutlicht
diese Äußerung den hohen Wert des Originals, das,
wenn auch nur fragmentarisch erhalten, nicht überar-
beitet werden sollte. Die Vorgabe Holtmeyers war
unmissverständlich: innerhalb der figürlichen Malerei
dürften nur Neutralretuschen angelegt werden. Da-
gegen spreche nichts gegen die Wiederherstellung',
das heißt die Übermalung und rekonstruierende
Ergänzung der gemalten architektonischen Rahmung.
Im März 1921 berichtete der Hattendorfer Pastor
Sommerlath dem Konsistorium: „Das Gewölbe ist
bereits fertig gestellt, ebenso die Südwand, an der 7
Apostel stehen in Lebensgröße. Was die anderen
figürlichen Darstellungen anbelangt, so hofft das
Presbyterium, daß der Herr Konservator seine Mei-
nung dahin ändert, daß dieselben wiederhergestellt
resp. ganz neu gemalt werden dürfen. Die Gemeinde
ist sehr verdrießlich darüber, auf unfertige nicht
erkennbare figürliche Darstellungen zu blicken und
gibt mir die Schuld."
Dass die Restaurierung der Apostel an der Südwand
nicht den Vorgaben entsprach, offenbarte sich bei
einer Besichtigung des Bezirkskonservators. Er wies
gegenüber dem Konsistorium darauf hin, dass sie
„ohne Gegenäußerung der Gemeinde bereits über-
malt beziehungsw. [I] durch neue Figuren ersetzt
worden" seien. Anderer Ansicht war der die Instand-
setzungsmaßnahmen leitende Architekt, Baurat
Albrecht Haupt. Er widersprach dem Vorschlag
Holtmeyers, die Architekturrahmung wiederherzustel-
len und die figürlichen Darstellungen unberührt zu
lassen. So „würden diese [die figürlichen Malereien,
Anm. d. Verf.] im ganzen unenträtselbare farbige
Schatten bleiben, die obendrein in Kürze so gut als
ganz verschwunden sein würden. ... Der einzige Weg,
um die Bilder in einer möglichen Form zu retten, ist
eben der, sie in den Umrissen nachzuziehen, sie am
Stofflichen zu retouchieren, nachzumalen und auch
zu ergänzen, soweit dazu Anhalt gegeben ist. Dann
bliebe vor allem der geistige Gehalt und die Gesamt-
konzeption gerettet, auch farbig wird eine der einsti-
gen möglichst adäquate Erscheinung erzielt ... Der
einzige Weg um diese alten Kunstwerke zu erhalten,
ist der bisher eingeschlagene: die Gemälde aus-
nahmslos so herzustellen, daß sie erkennbar sind,
andererseits eine Dauer versprechen; das Fehlende zu
ergänzen, im Ganzen aber auf eine künstlerisch ein-
heitliche Wirkung zu erstreben, die der Gemeinde zur
Erbauung gereicht. Sonst wäre die Arbeit ohne Zweck
für Gemeinde und Gottesdienst."