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Winghardt, Stefan [Hrsg.]; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]; Puppe, Josefine [Bearb.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Archäologie und Informationssysteme: vom Umgang mit archäologischen Fachdaten in Denkmalpflege und Forschung — Hameln: Niemeyer, Heft 42.2013

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Zur Arbeit mit Zeitstufen und Kulturgruppen - „reine Lehre" und praktische Umsetzung

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entsprechend sind Thesauri auch nicht unbedingt
nach den theoretischen Konzepten der Dokumenta-
tionswissenschaft, sondern nach dem Bedarf in der
Alltagspraxis der Archäologie - hier der archäologi-
schen Denkmalpflege - entstanden.
Beim Versuch der Reformierung bestehender Systeme
stößt die Berücksichtigung theoretischer Konzepte
auf die eingeführte, mehr oder weniger bewährte
Praxis. Diese ist durch unterschiedliche Ausgangssi-
tuationen für verschiedene Epochen gekennzeichnet.
Für das Neolithikum Mitteleuropas wurden die gro-
ßen, in weiten Teilen Europas vorkommenden Kultu-
ren (wie zum Beispiel Bandkeramik, Rössen und Mi-
chelsberg) auch zur zeitlichen Ordnung des Fundguts
und der Befunde herangezogen, das Material inner-
halb dieser Komplexe wurde zeitlich geordnet, eine
übergeordnete Terminologie spielte kaum eine Rolle.
Wo eine so aufgebaute Chronologie eingeführt und
bewährt ist, wo also Bandkeramik immer auch für
eine bestimmte Zeit steht, fällt es naturgemäß schwer,
zwei Thesauri zu führen, da es keinen Vorteil bedeu-
tet, wie beispielsweise in unserem Fall, in einem
Thesaurus den Begriff „Bandkeramik" als Kultur und
in einem zweiten Thesaurus den gleichen Ausdruck
oder einen davon abgeleiteten Begriff als Bezeich-
nung für eine Zeitstufe zu führen. Zwei getrennte
Attribute zu führen, bedeutet in diesem Fall eine re-
dundante Datenhaltung ohne Erkenntnis- oder
Aussagegewinn.
Andernorts (zum Beispiel im nördlichen Europa) wur-
den schon früh Epochenbegriffe neben den Bezeich-
nungen für Kulturen geführt. So entspricht die Trich-
terbecherkultur den Zeitabschnitten Frühneolithikum
und Mittelneolithikum. Andererseits werden dem
Mittelneolithikum noch weitere Kulturgruppen zuge-
ordnet.
Für die Metallzeiten wurden schon früh Begriffe für
die Zeitstufen neben die Bezeichnungen für Kulturen
gestellt (wie zum Beispiel Urnenfelderzeit - Urnen-
felderkultur, Hallstattzeit - Hallstattkultur). Die Unab-
hängigkeit der Gliederungskonzepte mag dadurch
belegt werden, dass die Hallstattkultur nicht die
Stufen Hallstatt A und Hallstatt B einbezieht, sondern
in der Stufe Hallstatt C beginnt.

Aus den geschilderten Beispielen wird klar, dass eine
getrennte Führung von Zeit- und Kulturbegriffen in
verschiedenen Attributen unter Nutzung getrennter
Thesauri in vielen Fällen durchaus sinnvoll ist, so zum
Beispiel, um innerhalb des Mittelneolithikums Be-
funde der Trichterbecherkultur von Fundstellen ande-
rer Kulturgruppen zu unterscheiden oder für eine
gemeinsame Kartierung zeitgleicher bronzezeitlicher
Gruppen. Ein weiteres Beispiel wäre der Übergang
vom Neolithikum zur Bronzezeit mit Schnurkeramik,
Glockenbecher- und Aunjetitzer Kultur.
Andererseits ist auch klar, dass eine einfache Dopp-
lung von Einträgen (Beispiel Bandkeramik) nicht wei-
terhilft. Die Angabe einer Kulturgruppe ist dort wert-
voll, wo sie ein Mehr an Information bringt.
Aus diesen beiden Gegebenheiten lassen sich für die
Praxis folgende Verfahrensweisen empfehlen: Einer-
seits sollte die Möglichkeit, Kulturgruppen als selbst-
ständiges Attribut zu führen, gegeben sein; anderer-
seits sollte die Übertragung oder „Übersetzung" von
Chronologiebegriffen (1:1) unterbleiben, da sie kei-
nen Erkenntnisgewinn bringt. Vielmehr sollten die
Eintragungen von Kulturgruppen immer eine (meist
regionale) Präzisierung der Datierungsangaben dar-
stellen. Das bedeutet, dass der Eintrag einer Kultur-
gruppe nicht obligatorisch gemacht werden kann.
Für den Datenaustausch bedeutet dies, dass es ers-
tens Systeme geben kann, in welchen Kulturgruppen
als eigenständiges Attribut geführt werden, und
andere, in denen das nicht der Fall ist. Zweitens
bedeutet dies, dass - auch bei Datengebern mit dem
Attribut „Kulturgruppe" - dieses Attribut in einigen
oder vielen Fällen keine Werte enthält.
Vor einem Einsatz von Kulturgruppen-Namen beim
Datenaustausch empfiehlt sich eine Sammlung der in
den Ämtern verwendeten Begriffe mit dem Ziel, zu
einer Werteliste zu gelangen. Die Ausdrücke sollten
definiert werden hinsichtlich ihrer regionalen und zeit-
lichen Zuordnung sowie hinsichtlich ihrer Bedeutung
(Grabsittenkreis, Werkstattkreis, Leitformen und
Formenspektrum). Dabei sollten ähnlich klingende
Begriffe gleichen Inhalts angeglichen werden.
 
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