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VALENTIN MÜLLER
die Zahl der Figuren in Vorderansicht gegenüber der ungeheuren
Zahl der Seitenansichten ganz verschwindend gering ist, noch
dazu, wenn man berücksichtigt, daß bei den pal. Beispielen
nicht nur Kopf und Oberkörper in Vorderansicht gegeben sind,
sondern lediglich die Unterschenkel mit den Füßen Seitenansicht
zeigen 1. Dagegen findet sich im ‘hethitischen’ Kulturkreis die
Vorderansicht bei Gottheiten häufiger. Beliebt ist sie vor allem
bei der nackten Göttin, die die Hände an die Brust legt. Der
Einwand, daß diese Stellung auf technische Gründe zurückzu-
führen wäre, indem im Profil die Armhaltung schwer deutlich
zu machen sei, ist nicht stichhaltig, da die Vorderansicht auch
bei bekleideten Figuren, Göttinnen wie Göttern vorkommt 2.
Der Grund wird sein, daß die Vorderansicht eine ganz andere,
eindringlichere Wirkung auf den Beschauer ausübt als die
Seitenansicht; die magische Gewalt der Gottheit wird gesteigert
und unmittelbar auf den Beschauer gelenkt 3. Allerdings wird
der Bildzusammenhang dadurch gesprengt, aber die hethitischen
Siegel zeigen überhaupt eine lose Komposition, bringen oft
mehrere Szenen auf demselben Zylinder an und streuen viel-
fach noch Füllfiguren ein 4.
In Mesopotamien finden wir auch schon früh die Vorder-
ansicht; einmal bei Tierköpfen wie dem alten Fries aus Tell
el Obeid und der Keule des Mesilim, bei denen der Grund ein
rein formaler sein wird. Der angeführte magische Wirkungs-
zweck wird dagegen bei Gilgamesch und Gottheiten wie den
Vegetations- und den Berggöttinnen Meißner, Bab. und Ass. II
1 Vgl. H. Schäfer a. a. 0.196f. v. Bissing, Text zu v. B.-Bruckmann,
Denkm. ä. Sk. Taf. 79f. Anm. 31.
2 Weber a. a. O. 113f.; AM. a. a. O.; Contenau a. a. O. Taf. VI Nr. 19;
Musee d. Louvre, Catal. d. Cyl. orient. p. Delaporte Taf. 95 Nr. 11, 22,
Taf. 98 Nr. 3.
3 Vgl. Rodenwaldt, D. Relief b. d. Griechen 9ff. u. Hoernes, Ur-
geschichte d. bild. Kunst 2 592ff., der richtig diese absichtliche Vorder-
ansicht mit magischer Wirkung von der primitiven ungewollten scheidet.
Es sei bemerkt, daß in der Kinderzeichnung die Darstellung der Vorder-
ansicht der der Seitenansicht vorausgeht, wie Walther Krötzsch in seinem
vortrefflichem Buch ‘Rhythmus und Form in der freien Kinderzeichnung’
Leipzig 1917, 80, 86 ausführt.
4 Weber a. a. O. 116; Contenau a. a. O. 120ff.
VALENTIN MÜLLER
die Zahl der Figuren in Vorderansicht gegenüber der ungeheuren
Zahl der Seitenansichten ganz verschwindend gering ist, noch
dazu, wenn man berücksichtigt, daß bei den pal. Beispielen
nicht nur Kopf und Oberkörper in Vorderansicht gegeben sind,
sondern lediglich die Unterschenkel mit den Füßen Seitenansicht
zeigen 1. Dagegen findet sich im ‘hethitischen’ Kulturkreis die
Vorderansicht bei Gottheiten häufiger. Beliebt ist sie vor allem
bei der nackten Göttin, die die Hände an die Brust legt. Der
Einwand, daß diese Stellung auf technische Gründe zurückzu-
führen wäre, indem im Profil die Armhaltung schwer deutlich
zu machen sei, ist nicht stichhaltig, da die Vorderansicht auch
bei bekleideten Figuren, Göttinnen wie Göttern vorkommt 2.
Der Grund wird sein, daß die Vorderansicht eine ganz andere,
eindringlichere Wirkung auf den Beschauer ausübt als die
Seitenansicht; die magische Gewalt der Gottheit wird gesteigert
und unmittelbar auf den Beschauer gelenkt 3. Allerdings wird
der Bildzusammenhang dadurch gesprengt, aber die hethitischen
Siegel zeigen überhaupt eine lose Komposition, bringen oft
mehrere Szenen auf demselben Zylinder an und streuen viel-
fach noch Füllfiguren ein 4.
In Mesopotamien finden wir auch schon früh die Vorder-
ansicht; einmal bei Tierköpfen wie dem alten Fries aus Tell
el Obeid und der Keule des Mesilim, bei denen der Grund ein
rein formaler sein wird. Der angeführte magische Wirkungs-
zweck wird dagegen bei Gilgamesch und Gottheiten wie den
Vegetations- und den Berggöttinnen Meißner, Bab. und Ass. II
1 Vgl. H. Schäfer a. a. 0.196f. v. Bissing, Text zu v. B.-Bruckmann,
Denkm. ä. Sk. Taf. 79f. Anm. 31.
2 Weber a. a. O. 113f.; AM. a. a. O.; Contenau a. a. O. Taf. VI Nr. 19;
Musee d. Louvre, Catal. d. Cyl. orient. p. Delaporte Taf. 95 Nr. 11, 22,
Taf. 98 Nr. 3.
3 Vgl. Rodenwaldt, D. Relief b. d. Griechen 9ff. u. Hoernes, Ur-
geschichte d. bild. Kunst 2 592ff., der richtig diese absichtliche Vorder-
ansicht mit magischer Wirkung von der primitiven ungewollten scheidet.
Es sei bemerkt, daß in der Kinderzeichnung die Darstellung der Vorder-
ansicht der der Seitenansicht vorausgeht, wie Walther Krötzsch in seinem
vortrefflichem Buch ‘Rhythmus und Form in der freien Kinderzeichnung’
Leipzig 1917, 80, 86 ausführt.
4 Weber a. a. O. 116; Contenau a. a. O. 120ff.