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Stegmann, Carl von; Geymüller, Heinrich von; Stegmann, Carl von [Editor]; Geymüller, Heinrich von [Editor]
Die Architektur der Renaissance in Toscana: dargestellt in den hervorragendsten Kirchen, Palästen, Villen und Monumenten nach den Aufnahmen der Gesellschaft San Giorgio in Florenz; nach Meistern und Gegenständen geordnet (Band 7): Raffaelo, Antonio da Sangallo der Jüngere, Baccio d'Agnolo, Rovezzano, Giuliano di Baccio d'Agnolo, Bandinelli, Peruzzi, Vignola, Folfi — München: Verlagsanstalt F. Bruckmann A.-G., 1908

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.55573#0062
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MICHELAGNOLO BUONARROTI

Die Thätigkeit Michelangelos und seine Entwickelung zer-
fällt in sechs Phasen'), die er in regelmässiger Abwechselung in
Florenz und Rom verlebte. Es sind die folgenden:
Erste Florentinische Phase, 1475—1496
Erste Römische Phase, 1496 25-/6. bis 1501
Zweite Florentinische Phase, 1501 —1505
Zweite Römische Phase, 1505—1516 (Ende)
Dritte Florentinische Phase, 1516—1533 (Ende Dezember)
Dritte Römische Phase, 1533—1564.
Das Alternieren dieser beiden Hauptquellen der Renais-
sance und das frühe Datum seiner ersten Römischen Phase, waren
für die Genesis seiner Kunst von grösster Wichtigkeit. Die drei
ersten Phasen bilden die Entwickelungs- und Vorbereitungszeit.
Mehrere Male hebt Michelangelo hervor, dass die Archi-
tektur nicht sein Beruf sei1 2). Man darf jedoch diesen wie so
manche andere seiner Aussprüche nicht wörtlich nehmen; sagte er
doch wiederum, seine Fassade von S. Lorenzo werde die Leuchte
von Italien sein, sein Juliusgrab, 1506, werde auf der Welt nicht
seinesgleichen haben, und dass weder die Griechen noch Römer
ein Werk wie das nach seinem Modelle auszuführende S. Giovanni
de’ Fiorentini vollbracht hätten3).
In jener stürmischen Diskussion über die Befestigungen
Roms, am 15. Februar 1545, oder wie Padre Guglielmotti4)
glaubt gegen Ende dieses Jahres, wirft er Antonio da Sangallo
die Worte an den Kopf, dass er von der Skulptur und Malerei
nur wenig wisse, aber von der Fortifikation glaube er infolge
seines langen Nachdenkens und dessen was er gemacht hatte
mehr zu verstehen als er, Antonio und alle jene seiner Familie5).
Im selben Jahre giebt er zu, dass jeder von ihm wisse er sei:
scultore, dipentore, ed anco architettore, non sarä mai chi creda
ehe io sia Dantista6).
Als die zwei ersten Quellen des Unterrichts waren nach
damaligen Gewohnheiten in diesem Falle vermutlich:
1) Für die ersten Elemente der Formen die Lehre bei
dem in der Architektur so bewanderten Ghirlandajo.
2) Der Unterricht unter Bertoldo in der Schule des Gartens
von S. Marco, wo auch Architektur gelehrt wurde7).
3) Die damals selbstverständliche Quelle: das Studium
Vitruvs und wohl auch Albertis. Im zweiten Punkte seiner
Kritik des Gesimses, welches Antonio da Sangallo für den Palazzo
Farnese bestimmte, sagt er: non e qualitä nessuna per
l’opera fatta . . . secondo le regole di Vetruvio8).
4) Das Studium der antiken Reste Roms während der
Jahre 1496—1501 und auch später. Der Ausspruch Michel-

angelos: „. . . Bramante war in der Architektur so tüchtig als
irgend einer seit den Alten“ beweist, dass für Michelangelo die
Antike der höchste Masstab war. Michelangelos Ansicht, das
Pantheon sei das Werk drei verschiedener Architekten9), deutet
auf ein archäologisches InteresseI0 *). Bruchstücke zweier Studien-
albums Michelangelos im Museo Buonarroti") und im British
Museum beweisen, dass er alte und neue Vorbilder genau studierte
wie jeder andere damalige Architekt. Aus letzterem giebt Fig. 36
ein Beispiel mit einem Säulenkapitäl Bramantes aus dem Hofe
der Cancellaria. Andere Kapitale auf den Londoner Blättern,
welche ich der Initiale auf S. 1 hier beifüge, scheinen Erfindungen
Michelangelos oder Varianten anderer Kapitale zu sein.
5) Die Rückkehr zu einer stärkeren Betonung der verti-
kalen Gliederungen lässt das Studium der Florentiner halb-
gotischen Werke vor Brunellesco wahrscheinlich erscheinen.
6) Die Beeinflussung durch moderne Toscaner. Wie
in der Skulptur, ist in einigen Architekturformen der Ein-
fluss Donatellos klar nachweisbar. An der Decke der Sistina
sind die schlanken Docken an den Ecken der Piedestale in Form
und Stellung genau denen am Sockel von Donatellos Judith ent-
lehnt. Die freie Art, wie Donatello im Tabernakel der Annun-
ziata in Sa- Croce und anderswo mit der Architektur umgeht,
steht in jener Zeit ebenso einzig da wie ihre Behandlung von
Seiten Michelangelos an der Decke der Sistina, und musste seinen
Drang nach Unabhängigkeit stärken12).
Dass mein Freund R. RedtenbacherI3) und später Justi14)
gedacht haben, es könnte Giuliano da Sangallo der Architektur-
lehrer Michelangelos gewesen sein, ist leicht begreiflich; aber
auch nicht eine Form bestätigt dies. Die gemeinsamen Ideen in
den Fassadenentwürfen für S. Lorenzo rühren vom Einflüsse
Bramantes auf beide her. Vielleicht hatte er in der Technik und
Fortifikation Kenntnisse von Giuliano erworben. Die Meister-
schaft in der Technik des Meissels und sein klarer Verstand be-
fähigten ihn besonders jene Kenntnisse in praktischen Fragen zu
erwerben, die Condivi § 61, so hochstellt.
7) Der Selbstunterricht und Gespräche mit anderen. Das
,,lange Nachdenken“ über die Fortifikation, damals ein Zweig
der Architektur, von dem Michelangelo spricht, erstreckt sich, wie
seine Werke zeigen, auf die ganze Baukunst. Seine enorme Be-
gabung, die Unabhängigkeit seines Urteils, machen es unmöglich
zu ermessen, wie tief seine Jugendintuitionen schon waren, welche
Masse von Kenntnissen Michelangelo sich auf diese Weise aneignete.
8) Der Einfluss Bramantes. Die bedeutendste Beeinflussung
Michelangelos in der Architektur kommt aus einer späteren Quelle,

1) Die erste Florentinische Phase wird durch einen längeren Aufenthalt
in Bologna, die zwei späteren durch längere Aufenthalte in Carrara und Um-
gegend unterbrochen.
2) Siehe u. a. Gotti, A., I. 165, und Condivi, § 61.
3) Ebendas. I. III, 44, und Vasari, VII. 263.
4) Siehe: Guglielmotti, Padre Alb., Storia delle fortificazioni nella spiaggia
romana ecc. Roma 1880, S. 352.
5) Vasari, G., Vita di M. A., Bd. VII, S. 217.
6) Donato Giannotti, citiert von Guasti, C. Rime, a. a. O. S. XXVI.
7) Siehe Vasari III. 272, und VIII, Ragionamento secondo S. 117.
8) Er beginnt seine Denkschrift mit einer auf Vitruv gestützten Definition
der Architektur, die aus sechs Elementen oder Eigenschaften besteht. Er unter-
sucht der Reihe nach und tadelt das Gesimsprojekt Sangallos von jedem dieser
Gesichtspunkte aus. Siehe: Lib. I. Cap. II: ordinatione-—dispositione —
belle spetie de’ membri dell’ opera — conveniente consenso de
membri ■— convenevolezza — distribuzione.

9) Vasari, G., Vita di Andrea Sansovino, Bd. IV. S. 512.
10) Über ein angebliches Modell des Tempels von Jerusalem ("Kunst-
chronik 1887—88, S. 347) habe ich keine Nachrichten.
11) Das Format des Papiers ist 0,28—0,29 m Höhe und das Doppelblatt
d. h. die ganze Breite des offenen Buches 0,43 m Breite. Es sind die Nummern
1 — 5> 7, (Doppelblatt), 9(?), io(?) und 62 in den Rahmen 22, 23, 24, 39 und 58.
Die Zeichnungen sind mit Rötel oder mit der Feder gemacht. Diese Blätter
zeigen eine Sicherheit und ein Gefühl im Profilieren, die Staunen erregt; weit
grösser z. B. als die Giuliano da Sangallos in seinem berühmten Codex.
12) Siehe meine Studie: Die architektonische Entwickelung Michelozzos
und sein Zusammenwirken mit Donatello im Jahrbuch der Königl. Preussischen
Kunstsammlungen 1894, Heft IV. Ferner im Jahrg. 1901, Heft I, Willi. Bodes
Studie: Donatello als Architekt und Dekorator, der ich ganz beistimme.
13) Siehe: Allgem. Bauzeitung. Wien, Jahrg. 1879.
14) Justi, C. Michelangelo, Leipzig, 1900, S. 211—212.

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