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Verein für Badische Ortsbeschreibung [Hrsg.]
Badenia oder das badische Land und Volk: eine Zeitschr. zur Verbreitung d. histor., topograph. u. statist. Kenntniß d. Großherzogthums ; eine Zeitschrift des Vereines für Badische Ortsbeschreibung — 1.1859

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Reich, L.: Die badische Landschaft Baar und ihre Bewohner
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https://doi.org/10.11588/diglit.42306#0473
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Knaben und Mädcben! Der „Kirchenplatz" und die grüne „Allee"
an den Ufern der Bregach in meiner Vaterstadt, welch' freudige
Erinnerungen knüpfen sich für mich an diese Orte! Und wie viel
haben diese freien, mannichfaltigen, mit der Jahreszeit wech-
selnden, den Körper stärkenden und die Phantasie und Geistes-
kraft beschäftigenden Spiele vor den modernen, bloß mechanischen
Leibesübungen voraus!
Indem ich mir die Jugendzeit vergegenwärtige und den
schwarzwälderischen Winter mit seinen langen Abenden, gedenke
ich auch der lobenswerthen Sitte des Vorlesens in den „Heim-
gardenstuben" "). Ueberall, da und dort in Privathäusern, wo
sich solche nachbarliche Kränzlein gebildet, fand man auch fertige
Leser, denen es weder an schönen „Geschichtenbüchern", noch an
aufmerksamen Zuhörern fehlte.
Die älteren Volksbücher und die Ritter- und Räubergeschich-
ten des vorigen Jahrhunderts bildeten den Unterhaltungsstoff,
bis sie von Christoph Schmid's einfachen und gemüthvollen
Erzählungen verdrängt wurden. Die „Ostereier", die „Rosa von
Tannenburg", das „Blumenkörbchen" — wie ungeduldig erwartet
wanderten diese Büchlein von Haus zu Haus, und wie viele
Thränen theilnehmend bewegter Herzen entlockten sie!
Ich weiß nicht, verschlingen die Fragen des Tages, Spe-
kulation und Fabrikation das Interesse der Gegenwart so aus-
schließlich, oder hat die Volksliteratur selbst diesen spekula-
tiven und fabrikationsmäßigcn Charakter angenommen (der weder
Behagen, noch innere Theilnahme zu erwecken fähig ist), daß
unser Volk so wenige Lieblingsbücher mehr hat. Dieser
einflußreiche Zweig der Literatur, zumal im Vergleiche zur dra-
matischen, bildenden und Ton-Kunst, entbehrt zu sehr der nö-
thigen Pflege und Haltpunkte (durch Vereine und dergleichen),
und ein Autor, wenn ihm nicht Rang und Vermögen unab-
hängige Muße sichern, ist lediglich ans den spekulierenden
Verleger angewiesen, wodurch das Aechte seines Berufes keines-
wegs gefördert wird.

48) Heimgarden heißt von einem Heimwesen zum andern wandeln.
 
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