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Bałus, Wojciech
Krakau zwischen Traditionen und Wegen in die Moderne: zur Geschichte der Architektur und der öffentlichen Grünanlagen im 19. Jahrhundert — Stuttgart: Steiner, 2003

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https://doi.org/10.11588/diglit.57161#0038
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Identitätssuche in der Architektur

Westgalizien in der Pfarrkirche von Chocholow, die, von Feliks Ksi^zarski 1852
entworfen, 1853-1874 fertiggestellt wurde* * 3, also zwei Jahre vor der Kirche in Rze-
piennik Biskupi.
Das Gotteshaus in Rzepiennik war nicht ohne stilistischen Einfluß der deut-
schen Architektur konzipiert worden. Die Doppelturmfassade mit den achteckigen
oberen Turmteilen findet man erstmalig in der Kirche in Vockerode (Georg
Christoph Hesekiel unter Mitwirkung von Carlo Ignazio Pozzi, 1810-1812)4, dann
erscheint sie im Entwurf einer gotischen Kirchenfassade in der „Geschichte der
Baukunst“ von Christian Ludwig Stieglitz (1827)5, schließlich in den Werken von
Karl Alexander von Heideloff (z.B. in der heute nicht mehr erhaltenen römisch-
katholischen Kirche St. Trinitatis in Leipzig, 1845-1847)6. Das stilistisch nächste
Beispiel eines Rohbauturms mit einer vergleichbaren Dekoration und Anordnung
der Fenster bildet Hessenstein, ein Aussichtsturm im holsteinischen Gut Panker,
der zwischen 1839 und 1841 von einem unbekannten Architekten errichtet worden
war (Abb. 6)7.
Weitaus wichtiger und interessanter sind aber die Beziehungen der Kirche in
Rzepiennik zur gotischen Architektur Krakaus. Die Proportionen des Chores las-
sen an den Chor der Franziskanerkirche denken (Abb. 7, 8), und dies um so mehr,
als das Maßwerk in Rzepiennik jenem fast gänzlich glich, das in der Krakauer
Kirche der Fratres minores nach dem Großbrand, der 1850 einen großen Teil der
Stadt zerstört hatte, neu geschaffen worden war. Es war gerade die deutsche Ge-
stalt der Türme (Abb. 5), die mit den Krakauer Formen und Motiven kombiniert
wurde. Die unteren Turmgeschosse in Rzepiennik erinnern an diejenigen in der
Krakauer Marienkirche (Abb. 9), während die oberen achteckigen Partien der
Türme als vereinfachte Nachahmung des höheren Turmes der Marienkirche und
des Turmes der Silbernen Glocken am Dom zu Wawel (Abb. 10) erscheinen. Das
Wesentlichste besteht jedoch darin, daß in Rzepiennik das sogenannte Krakauer

Kölner Dom im Jahrhundert seiner Vollendung. Hg. v. Hugo BORGER, Köln 1980, Bd. 1-2, hier
Bd. 1, 225-243, hier 240. - LENIAUD, Jean-Michel: Jean-Baptiste Lassus (1807-1857), ou le
temps retrouve des cathedrales. Geneve 1980 (Bibliotheque de la Societe Fran^aise d’Archeologie
12), 120-123.
3 BIALKIEWICZ, Zbigniew Jan: Feliks Ksiqzarski - krakowski architekt epoki romantycznego
historyzmu i dojrzalego eklektyzmu [Feliks Ksiqzarski - ein Krakauer Architekt des romantischen
Historismus und der Blütezeit des Eklektizismus], In: Rocznik Krakowski 55 (1990) 163-181, hier
176.
4 KLEINSCHMIDT, Harald/BUTE, Thomas: Dessau-Wörlitzer Gartenreich. Halle 1997
(Denkmalverzeichnis Sachsen-Anhalt, Sonderband), 168f. - EISOLD, Norbert: Das Dessau-Wör-
litzer Gartenreich. Der Traum von der Vernunft. Köln 1993, 57.
5 STIEGLITZ, Christian Ludwig: Geschichte der Baukunst vom frühesten Alterthume bis in die
neueren Zeiten. Nürnberg 1827, Fig. 24. - NIEHR, Klaus: Gotikbilder - Gothiktheorien. Studien
zur Wahrnehmung und Erforschung mittelalterlicher Architektur in Deutschland zwischen ca. 1750
und 1850. Berlin 1999, 207-209.
6 MAI, Hartmut: Kirchen in Sachsen. Vom Klassizismus bis zum Jugendstil. Berlin-Leipzig
1992, 66f.
7 MESSERSCHMIDT, Thomas: Panker und Hessenstein. In: Historische Gärten in Schleswig-
Holstein. Hg. v. Adrian von BUTTLAR und Margita Marion MEYER, Heide 1996, 464-469, hier
468.
 
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