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Bałus, Wojciech
Krakau zwischen Traditionen und Wegen in die Moderne: zur Geschichte der Architektur und der öffentlichen Grünanlagen im 19. Jahrhundert — Stuttgart: Steiner, 2003

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https://doi.org/10.11588/diglit.57161#0052
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Eine „Perle der Renaissance diesseits der Alpen“

Die weitere Entwicklung des Bauens in Krakau ist ohne die folgenreiche Ent-
deckung der Krakauer Gotik kaum verständlich. In einem 1888 veröffentlichten
Aufsatz unter dem Titel „Gab es in Krakau Muster für die Architektur?“ schrieb
Jan Kacper Wdowiszewski: „Auch haben die vergangenen Jahrhunderte mit groß-
zügiger Hand prächtige Denkmäler der Renaissancekunst über unsere Stadt hinge-
streut. Und mehr noch: Als habe die emsige Vergangenheit den Nachkommen ein
Feld der Suche nach der wahren Schönheit baulicher Formen überlassen wollen,
verbarg sie still und heimlich die königliche Jagiellonenkapelle [d.i. die Sigis-
mundkapelle - W.B.] und zeichnete dafür vor dem Horizont der Stadt in markan-
ter Form die St.-Annen- und die St.-Peterskirche mit ihren schlanken Kuppeln ab.
[...] Es liegt in der Natur der Renaissance begründet, daß jedes dieser Baudenk-
mäler ein Gesamtbild architektonischer Formen darstellt, was für die weltliche
ebenso wie für kirchliche Bauten gilt. [...] Obwohl diese Denkmäler unter italieni-
schem Himmel geboren worden sind, so leuchtet dennoch in einem von ihnen die
Perle der Renaissancekunst für alle zivilisierten Völker, in einem anderen die
frommen Zeichen der in der Welt anerkannten palladianischen Architektur, in
einem dritten schließlich findet die Strömung des Barock Ausdruck, dessen bes-
sere Zeichen sich gleich einem Lufthauch schon seit Jahren als Morgenrot am
Himmel heutiger Stilsuche im Bauen niederschlagen. In dieser langen Reihe ar-
chitektonischer Denkmäler konnten die heimischen Baumeister von einst jede
Form und jedes Stildetail finden: edelste Pilaster, Gesimse für jeglichen Zweck,
ornamentale Friese, Gliederung der Fenster - sie hatten einfach die ganze Renais-
sancearchitektur zu ihrer Verfügung, gleich, ob Kirchen zu erbauen waren, ob
Paläste zu errichten oder bescheidenere, wenngleich wirklich schöne Häuser für
Bürger des Mittelstandes zu entwerfen waren“1.
Wdowiszewski beurteilte die Situation in der Krakauer Architektur der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts sehr kritisch. Er bemängelte die ungenügende Ausbil-
dung der Architekten und Baumeister sowie deren Jagd nach modischer Fassa-
denverkleidung. Pen Ausweg sah er in einer neuen Krakauer Architektur, die in
der lokalen Tradition verankert sein müsse. So schlug er die Krakauer Renais-
sance als eine Quelle von für diese Baukunst passenden Motiven vor2.

1 KATYLINA [Jan Kacper WDOWISZEWSKI]: Architektura III: Czy Krakow mial wzory dla
architektury? [Architektur III: Gab es in Krakau Muster für die Architektur?]. In: Sztuka 8 (1888)
4f., hier 4. - Die Bezeichnung „Perle der Renaissance diesseits der Alpen“ geht zurück auf August
ESSENWEIN: Die Domkirche zu Krakau. In: Mittheilungen der k.k. Central-Commission zur
Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale 10 (1865) 57-90, hier 80. - DERS.: Die mittelalter-
lichen Kunstdenkmale der Stadt Krakau. Leipzig 1869, 91 f.
2 KATYLINA (wie Anm. 1) 4f. - DERS.: Architektura I: Czy jest w Krakowie architektura?
[Architektur I: Hat Krakau eine Architektur?]. In: Sztuka 5 (1887) 9-11. - DERS.: Architektura II:
Dlaczego Krakow nie ma architektury? [Architektur II: Warum hat Krakau keine Architektur?].
 
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