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Bałus, Wojciech
Krakau zwischen Traditionen und Wegen in die Moderne: zur Geschichte der Architektur und der öffentlichen Grünanlagen im 19. Jahrhundert — Stuttgart: Steiner, 2003

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https://doi.org/10.11588/diglit.57161#0019
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Entwicklungsfördemde und entwicklungshemmende
Faktoren

Krakau war um die Mitte des 19. Jahrhunderts eine protoindustrielle Handels- und
Handwerksstadt. Ihre Entwicklung in der zweiten Jahrhunderthälfte konnte sich
also nicht auf für diese Zeit typische Faktoren wie Großkapital und schnelle Indu-
strialisierung stützen. Wie Jacek Purchla nachwies, gründete sich die Entwicklung
der Stadt erstaunlicherweise vor allem auf außerökonomische Faktoren15. Für
Krakaus Weg zur Modernität wurden nämlich vor allem zwei Momente entschei-
dend: einerseits ihre Rolle als geistige Hauptstadt der Polen und als Reliquiar
nationaler Überlieferungen und andererseits ihre wichtige Stellung in Wissen-
schaft und Kultur. Der Stadtpräsident Jozef Dietl gründete schon 1866 auf diese
Faktoren sein Programm. In der ersten Sitzung des Krakauer Stadtrats sagte er:
„Dieses Krakau, das nicht mehr mit der Macht der materiellen Mittel beein-
drucken kann, soll mit der Macht seiner geistigen Bestände glänzen, es soll wis-
senschaftliche Institutionen aller Art beherbergen, hauptsächlich diejenigen, die
neben den schon bestehenden die Gewinnung und Verarbeitung der Landespro-
dukte anstreben. Krakau, das innerhalb eines gewaltigen Eisenbahnnetzes liegt,
das von fruchtbaren Feldern und reichen Minen umgeben ist, ist vor allem dazu
berufen, eine herausragende Stellung in der Landesproduktion, in der Industrie
und im Handel einzunehmen. Es soll eine große nationale Werkstatt werden, die,
das Licht der Natur- und Realwissenschaften verbreitend, dem Lande die Men-
schen liefern möge, die fähig sind, seine großen Naturschätze zu fördern“16.
In der Zeit der galizischen Autonomie, d.h. zwischen 1867 und dem Wieder-
gewinn der Unabhängigkeit Polens im Jahre 1918, wurde Krakau zu einer moder-
nen Stadt. Seine Bevölkerung wuchs beträchtlich an: Hatte es 1850 39.701 Ein-
wohner, so waren es 1869 bereits 49.835, im Jahre 1900 war deren Zahl auf
85.274 angewachsen17.
Innerhalb von 50 Jahren hat sich die Bevölkerungszahl demnach verdoppelt.
Während 1862 nur zwei neue Gebäude entstanden, waren es 1871 schon 22 und
1891 sogar 6018. Große Schwierigkeiten bereitete der schon genannte Fortifika-
tionsring, der eine ungehinderte territoriale Expansion Krakaus unmöglich
machte. Dieser Ring hatte außer der Überbevölkerung viele andere negative Aus-
wirkungen19, so unter anderem auch die, daß sich in der genannten Zeit kein neues

15 Das ist die Hauptthese des Buches: PURCHLA (wie Anm. 7).
16 Mowa dra Jözefa Dietla, prezydenta miasta Krakowa, zagajajijca pierwsze posiedzenie Rady
Miejskiej [Rede von Dr. Jozef Dietl, Stadtpräsident von Krakau, zur Eröffnung der ersten Sitzung
des Stadtrats]. Krakow 1866, 10; zit. nach BIENIARZÖWNA /MALECKI (wie Anm. 5) 240; zit.
teilweise auch bei Hanna KOZINSKA-WITT (wie Anm. 12) 298.
17 DEMEL (wie Anm. 10) 307.
18 PURCHLA, Jacek: Jak powstal nowoczesny Krakow [Wie das moderne Krakau entstand],
Krakow 1990, 19f.
19 Ebd„ 83f. - DERS. (wie Anm. 7) 119f.
 
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