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Bałus, Wojciech
Krakau zwischen Traditionen und Wegen in die Moderne: zur Geschichte der Architektur und der öffentlichen Grünanlagen im 19. Jahrhundert — Stuttgart: Steiner, 2003

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https://doi.org/10.11588/diglit.57161#0075
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Monumentis Patriae naufragio ereptis

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zitierte Inschrift am Fenster der Ostfassade: CORRIGE PRAETERITUM, REGE
PRAESENS, CERNE FUTURUM3.
Nicht nur die Sammlungen, die in Krakau eine Heimstatt gefunden hatten, son-
dern auch die Stadt selbst kann man als ein aus den Stürmen der Geschichte
gerettetes überliefertes Gut bezeichnen. So verstanden, mußte die geistige Haupt-
stadt Polens bei ihrer weiteren Entwicklung den historischen Werten den Vorrang
einräumen. Als dem geretteten monumentum patriae wurde Krakau auch die Auf-
gabe zuteil, mit einer neuen Architektur seiner historischen Identität gerecht zu
werden. Die Krakauer Gebäude des 19. Jahrhunderts zeigen also die bedeutende
Vergangenheit der Stadt. Diese bedeutende Vergangenheit der Hauptstadt als der
Krönungs- und Begräbnisstätte des Königsreiches Polen verweist indessen auf die
Größe des polnischen Staates, so daß die Versuche, den neuen Bauten eine für die
Krakauer Gotik bzw. Renaissance typische Form zu verleihen, irrtümlich unter
dem Begriff Nationalstil gefaßt, mit diesem verwechselt werden konnte. Es ist
jedoch nochmals zu betonen, daß weder die Baukünstler noch die Architekturkri-
tiker im Krakau der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Nennenswertes zum
Thema Nationalstil geschrieben haben. Sie wollten nur in einheimischen Formen
bauen, was für sie bedeutete, die Vergangenheit der Stadt Krakau wiederzubele-
ben. Freilich, das Krakauische des Stils könnte man auch als das Polnische ver-
stehen. Es existieren aber nahezu keine Schriftquellen, die auf eine mögliche
Verbreitung der Krakauer Formen außerhalb der Stadt hinweisen könnten. Erst
Jan Sas Zubrzycki hat die Krakauer Gotik und die Krakauer Renaissance als all-
polnischen Nationalstil bezeichnet.
Hanna Kozinska-Witt hat zu Recht geäußert, daß die „Funktion der Stadt Kra-
kau, die mit dem Terminus ,geistige Hauptstadt1 beschrieben wurde, bewirkte, daß
die Entwicklung der Stadt eine romantische, ,allgemeinstaatliche1 Dimension
hatte. Allerdings scheint diese Mission, die sich die Stadtelite freiwillig ,aufgebür-
det1 hatte, einzig und allein vom Krakauer Stadtmilieu in ganzer Breite wahr-
genommen worden zu sein. Die für polnische Städte charakteristische traditionelle
Polizentrität wurde in den Teilungszeiten fortgefuhrt, fortgelebt, ja verstärkt, so
daß die Großstädte der anderen Teilungsgebiete - Posen und Warschau - auch
weiterhin als polnische Hauptstädte wahrgenommen wurden“4. Krakau, vom
Wawel oder von seinem Hauptmarkt aus betrachtet, galt als das geistige Zentrum
Polens. Alles dort schien autentisch polnisch zu sein, und dies nicht nur für die
Stadtbewohner, sondern auch für die Polen, die aus den anderen Teilungsgebieten
der ehemaligen Adelsrepublik hierher kamen. Allerdings waren die Krakauer na-
tionalen Überlieferungen nicht übertragbar. Sie waren an diesen Ort und diese

3 SUDACKA, Aldona: Sukiennice krakowskie w XIX wieku - bazar czy swiatyma sztuki? [Die
Krakauer Tuchballen im 19. Jh. - Basar oder Kunsttempel?]. In: Rocznik Krakowski 61 (1995) 75-
95, hier 92-94.
4 KOZINSKA-WITT, Hanna: Die Stadt Krakau und ihr Umland: Entwicklungskonzepte im 19.
und zu Beginn des 20 Jahrhunderts. In: Berichte und Beiträge des Geisteswissenschaftlichen Zen-
trums Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (1999) 292-312, hier 296f. Die Autorin beruft sich
auf WAPlNSKI, Roman: Polska i male ojczyzny Polakow [Das große Vaterland und die kleine
Heimat der Polen], Warszawa 1996.
 
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