Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Bałus, Wojciech
Krakau zwischen Traditionen und Wegen in die Moderne: zur Geschichte der Architektur und der öffentlichen Grünanlagen im 19. Jahrhundert — Stuttgart: Steiner, 2003

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.57161#0109
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Dr.-Jordan-Stadtpark

105

Es war ein Park des sogenannten gemischten Stils, wie er für öffentliche Park-
anlagen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sehr typisch war6. Die Hauptallee
mit der etoile rekurriert auf barocke Formen, die auch von Gustav Meyer verwandt
worden sind, beispielsweise im Treptower Park in Berlin. Eine noch größere Affi-
nität zeigt sich zwischen dem Dr.-Jordan-Park und dem Entwurf für einen Stadt-
park in Dresden, den Carl Hampel und Eduard Hoppe 1885 erarbeiteten (und den
sie ein Jahr später veröffentlichten; Abb. 88)7.
Das Nutzungsprogramm für die Krakauer Anlage stammte, wie schon erwähnt,
von Dr. Henryk Jordan. Jordan (1842-1907), von Hause aus Frauenarzt, hatte ein
Jahr (1867) in den Vereinigten Staaten gelebt, wo er als Gynäkologe praktiziert, in
erster Linie aber in öffentlichen Übungen die sogenannte Schwedische Gymnastik
gelehrt hatte. Diese Tätigkeit öffnete ihm die Augen dafür, daß die Körpererzie-
hung der Jugend notwendig war8. Hinzu kam als eine weitere Bestrebung sein
starkes patriotisches Engagement. Schon 1884 stiftete er zwei Denkmäler, die im
Bereich der Planty ihren Platz erhielten: Lilla Weneda und Grazyna, die bereits
erwähnten fiktiven Heldinnen aus der polnischen patriotisch-romantischen Dich-
tung (Abb. 80)9. Für seinen Park ließ Jordan 45 Büsten polnischer Nationalhelden
aufstellen. „Auf diese Büsten wird die Jugend schauen“, so heißt es in einer
Beschreibung des Parks aus dem Jahre 1894, „und wer kann ermessen, wieviel Sa-
menkörner für schöne Gedanken und edle Taten die Betrachtung dieser Gestalten
auf den Grund der jungen Seelen werfen und wieviel von dieser Saat aufgehen
wird?“10
Während des Aufenthaltes im Park trugen Kinder und Jugendliche - natürlich
nur außerhalb der Sport- und Spielübungen -, sowie deren Betreuer besondere,
militärisch anmutende Uniformen (Abb. 86). Die Jugend wurde hier auch militä-
risch trainiert11, womit Jordan das Ziel verband, sie auf einen künftigen Kampf für
die Befreiung Polens vorzubereiten. Ähnlich wie in der Bewegung Turnvater
Jahns dienten hier also Sport und Gymnastik auch der patriotischen Erziehung.
Diesen Aspekt des Jordanschen Erziehungssystems hat ein deutscher Journalist
hervorgehoben, als dieser 1903 in der „Schlesischen Zeitung“ schrieb, daß diesem
Muster zufolge die Polen sehr schnell besser als die Deutschen organisiert und für
den möglichen Krieg vorbereitet sein würden12.

6 HENNEBO, Dieter: Gartengestaltungstendenzen in der deutschen Gartenkunst des 19. Jahr-
hunderts. In: Die Gartenkunst 4 (1992) 1-11. - SCHMIDT, Erika: Stadtparks in Deutschland.
Varianten aus der Zeit von 1860 bis 1910. In: Die Gartenkunst 1 (1989) 104-121.
7 HENNEBO, Dieter: Der Stadtpark. In: Die deutsche Stadt im 19. Jahrhundert. Stadtplanung
und Baugestaltung im industriellen Zeitalter. Hg . v. Ludwig GROTE, München 1974 (Studien zur
Kunst des 19. Jahrhunderts 24), 77-90, hier 86f.
8 BUJAK, Wladyslaw: Zyciorys Henryka Jordana [Das Leben Henryk Jordans]. In: Krytyka Le-
karska 11 (1907) 103-115, hier 104. - KUCIEL, Joanna: Jordanowska koncepcja wychowania
dzieci i mlodziezy [Jordans Bildungskonzeption für Kinder und die Jugend], In: Wychowawca 5
(1994) 9-11.
9 Vgl. das vorangehende Kapitel dieses Bandes..
10 LOPUSZANSKI/HOMINSKI/GUZDEK (wie Anm. 2) 5.
11 Ebd., 50f.
12 KUCIEL (wie Anm. 4) 78f.
 
Annotationen