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Amtsbezirk Weinheim [Editor]
Der Bergsträßer Bote: Amts- u. Verkündigungsbl. für d. Bezirksamt Weinheim (6) — 1854

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Nro. 51 - Nro. 59 (2. Juli - 30. Juli)
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https://doi.org/10.11588/diglit.42485#0205

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Bergsträßer Bote.

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Sechster Jahrgang.







V! 51.

Weinheim, den 2. Juli

18 54.



Hrientaliſche Angelegenheiten.

Der Telegraph bringt uns die überraschende
Kunde, daß Rußland seine Truppen über den
Pruth zurückziehen, d. h. alſo nicht blos — was
vorauszuseben war –~ Bulgarien und die Wa-
lachei, sondern auch die Moldau räumen wird,
wozu bereits der Befehl gegeben worden. Schon
wurde die Belagerung von Siliſtria aufgegeben,
und schon wurde Giurgewo geräumt. Wenn un-
sere andere Depesche eine ausweichende Antwort
arf die öſterreichiſche Sommation vermuthen läßt,
so würde dies mit dieser thatſächlichen nicht überein-
stimmen; Rußland hätte vielmehr dem Begehren
Österreichs entsprochen, welches bekanntlich nach-

träglich gleich den Weſtmächten –~ wenn auch

nicht in derselben kategoriſchen Sprache ~ die
Räumung der Donaufürſtenthümer verlangte. Wir
wollen damit nicht sagen, daß die Forderung De-
ſterreichs allein diese Wendung der Dinge herbei-
geführt habe, ob sie gleich den Ausschlag gegeben
haben magz auch das Scheitern der Aufstands-
versuche im ottomanischen Reich , die Ankunft der
europäischen Hilfsarmeen auf dem Kriegsschauplatz,
im Augenblick, wo die verachtete türkiſche Wehr-
kraft so glänzende Proben ihrer Tüchtigkeit abge-
legt, die drohenden Gewitter , die sich im Norden
nicht minder als im Kaukasus zusammenziehen ~
alles dieses mag zu einem Entſchluß getrieben
haben, der in Wahrheit ein folgeſchwerer iſt, wie
irgend einer, den Rußland noch in dieser ver-
|Ôtrißteter Wirrsal, die es entzündet, gefaßt
at.

Sogleich drängt sich die Frage nach der Trag-
weite dieser Maßregel auf. Wir zweifeln nicht,
daß man Stimmen vernehmen wird, welche meinen:
Damit habe Rußland der Forderung Europa's
Genüge geleiſtetz denn mehr als die Räumung



der Donaufürſtenthümer sei nicht von den WeſteÖ

mächten und am wenigsten von Öeſterreich und
Preußen verlangt worden z Letztere aber würden
nicht geneigt sein, für irgend ein Mehr mit den
Waffen einzuſtehen. Auch wir glauben, dbaß O-

sterreich jetzt seine Bajonette vorderhand nicht gegen

Rußlan: kehren wird, wie es unzweifelhast ge-
schehen wäre, wenn die ruſſiſche Okkupationsarmee
nicht gutwillig die Donaufürſtenthümer verlaſſen
hätte. Aber wir wagen keine viel weiter gehende
Schlußfolgerungen. Namentlich erwarten wir
nicht, daß es sich von den Weſtmächten trennen
und von diesen etwa verlangen wird, auch diese
sollten ihre Truppen vor ausgemachter Sache von
dem türkischen Gebiet zurückziehen. Und es könnte
schon sein, daß die Absicht, die vier Mächte zu
trennen, weſentlich zu dem Rückzugsbefehl beige-
tragen hätte. Sind aber auch die ruſſiſchen Trup-
pen hinter dem Pruth, so sind damit die Schwie-

rigkeiten noch nicht gehoben, die einem endlichen
Arrangement entgegenstehen. Dann hanseltes ..
sich um „materielle Garantien- gegen die Wieder

kehr neuer Aggresſionen auf die Türkeiz dann
kommt die Frage der Kriegskoſten, der Oeffnung
des Schwarzen Meeres für alle Marinen, der
kaukasischen Völker, die man Rußland schwerlich
wird preisgeben wollen. Wir glauben, daß die
sich täuſchen, welche meinen, Ocſterreich werde
den Beruf in sich fühlen, in diesen Fragen Front
gegen den Weſten zu machen, mag es auch geneigt
sein, einen ermäßigenden Einfluß zu üben. Doch
wie sich die Zukunft auch gestalten mag, der
Entschluß Rußlands ist jedenfalls ein höchſt bedeut-

samer , ein Wendepunkt im Verlauf der orienta-

liſchen Kriſis, der zugleich die Gefahr eines weiter
um ſich greifenden Krieges wieder mehr in die
Ferne rückt. Er kann eine definitive Löſung an-
bahnen , diese ſelbſt aber iſt er nicht.
 
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